Eine Symbiose aus mittelalterlicher Pracht und sieben ganz außergewöhnlichen Porzellanwelten ist Thüringens neueste Spitzen-Attraktion. In den Gemäuern wird Porzellan aus über 500 Jahren gezeigt.

Am 2. November 1904 wurde die 69-jährige Charlotte Liebermann in einer dunklen Gasse von zwei finsteren Gestalten mit den Worten bedroht: „Hey Alte, rück deine Kohle raus!“ Frau Liebermann war nach einem Nachmittag im neu eröffneten Kaufhaus Tietz am Berliner Alexanderplatz, wo sie einen Fleischklopfer aus Porzellan erstanden hatte, auf Weg zum Zug zurück nach Eisenach.

Zunächst schlug die beherzte ehemalige Fechtmeisterin den Dieben vor, das Weite zu suchen, und – als dies nicht fruchtete – den großen der beiden mit dem Fleischklopfer nieder, den kleinen, darüber völlig verschreckt, in die Flucht. Die währte allerdings kaum 30 Schritte – bis in die Arme des preußischen Schutzmanns Otto Schulze. Die beiden Ganoven verbrachten die nächsten Jahre in der Gefängnisküche der Haftanstalt Neukölln; der Fleischklopfer von Charlotte Liebermann hingegen sah niemals eine Küche von innen. Er erhielt einen Ehrenplatz auf der Anrichte neben den Soldatenbildern ihres verstorbenen Mannes.

Was für eine schöne Geschichte! Wie andere amüsante Episoden per Knopfdruck als Videoclip zu sehen am Originalexponat – dem Fleischklopfer mit seinem Kopf aus „Weißem Gold“. Eines von 350 ausgewählten und außergewöhnlichen Stücken der Leuchtenburger Porzellanwelten, die sich binnen kürzester Zeit in die Beletage der Thüringer Tourismusattraktionen katapultiert haben. Mit einem ebenso originellen wie innovativen Design- und Ausstellungskonzept rund um das weltbekannte Thüringer Porzellan.

Da wäre zum einen der Rahmen: Die 800 Jahre alte und fast vollständig erhaltene Leuchtenburg könnte man sich schöner kaum malen – sie wird völlig zu Recht als „Königin des Saaletals“ geadelt. In ihrer Frühzeit Verwaltungssitz, später Zucht-, Armen- und Irrenhaus, ab 1873 Hotel, das 1951 einer Jugendherberge wich, die 1997 geschlossen wurde, hat die Prachtburg mit ihrem fantastischen Panorama-Rundblick über all die Jahre nichts von ihrem mittelalterlichen Flair eingebüßt – allein das lohnt schon den Aufstieg.

Doch der eigentliche Clou ist all das, was seit 2010 in den alten Gemäuern peu à peu restauriert, neu gebaut, installiert und inszeniert wurde, um dem „Weißen Gold“ aus Thüringen ein weithin leuchtendes Denkmal zu setzen – mittels besagter sieben Welten nämlich, die Porzellan aus über 500 Jahren zeigen. Ganz anders als museumsüblich gehen die Leuchtenburg-Besucher dabei auf eine Abenteuer- und Entdeckungsreise durch die von namhaften Ausstellungsdesignern wie Libeskind-Schüler Michael J. Brown in jeder Hinsicht ungewöhnlich gestalteten Erlebnisräume.

Mit der Welt „Das Fremde“ beginnt die Expedition. Ein Schattentheater versetzt Besucher ins ferne China, das Ursprungsland des „Weißen Goldes“. Von dort gelangte das Porzellan auf Handelswegen zu Lande und zu Wasser an die europäischen Königshäuser und Fürstenhöfe. Doch nicht immer kamen die Schiffe an, und so erlebt man hier auf 425 Metern über dem Meeresspiegel die mediale Show einer Schatzsuche auf dem Meeresgrund, bei der 700.000 Stücke wertvollstes Porzellan aus dem 16. Jahrhundert in einem Wrack vor Indonesien entdeckt wurden.

Auch das älteste Exponat der Leuchtenburg nahm einen Umweg über die Tiefen des Ozeans – Hollywoodstar Kevin Costner, der sich seit Jahren für die Rettung von maritimem Kulturgut einsetzt, überreichte dem Leuchtenburg-Team im Juli 2014 eine Ming-Schale von 1558 aus dem Wrack einer portugiesischen Karavelle.

Die meisten der weißen Kostbarkeiten landeten seinerzeit übrigens als exotische Raritäten in den höfischen Wunderkammern, und der Nachbau eines solchen Schatzkabinetts gehört zu den zweifellos entzückendsten Ideen der Leuchtenburger. Weil diverse Figuren und Gemälde zum Leben erwachen.

Ein kleiner Fehler bei der Mischung oder Temperatur – und die Vase zerspringt

Ein überdimensionales Filmplakat mit vier Männern vor mystischer Waldkulisse, darunter Porzellan-Erfinder Johann Friedrich Böttger, weist den Weg in Welt Nummer zwei: „Das Rätsel“. Sie kreist um Versuche, Irrwege und Erfolge der Forscher, die Formel zur Porzellanherstellung zu finden. In einem schummrigen Alchemistenlabor kann sich jeder an Wiegeschalen an der richtigen Mischung probieren und im Brennofen an der korrekten Temperatur. Ein kleiner Fehler, und die Vase zerspringt. Wie andere misslungene Stücke landet sie im „Raum des Scheiterns“ bei krummen Tellern, schiefen Kannen und beinlosen Pferden.

Wertvolle Porzellane der frühen Thüringer Manufakturen schmücken die dritte Welt: „Das Kostbare“. Rund um eine festlich gedeckte barocke Tafel wird der Besucher Teil einer höfischen Inszenierung; er erlebt, wie das Porzellan die Esskultur veränderte und zum Status- und Machtsymbol wurde. Größte Kostbarkeit hier sind die um 1770 gefertigten „Vier Elemente“ – Figurenpaare, die Feuer, Wasser, Erde und Luft darstellen. Auch die Frage, warum sich gerade der Thüringer Wald als Porzellanstandort so erfolgreich entwickeln konnte, wird hier beantwortet.

Eine labyrinthartige Holzkonstruktion bildet den Rahmen für die vierte Welt mit dem Namen „Das Alltägliche“. All das, was sich hier auf den markanten pinkfarbenen Balken wiederfindet, entstand, nachdem sich das Porzellan im 19. Jahrhundert vom exklusiven Einzelstück zum bezahlbaren Massenprodukt gewandelt hatte und von Thüringer Manufakturen in großen Mengen in alle Welt verschickt wurde: Tischporzellan, Spielwaren, Souvenirs, Bügeleisen, Feuerzeuge und mehr.

Auf gleich drei neue Superlative dürfen sich Besucher im Frühjahr 2015 freuen, wenn die Welten fünf, sechs und sieben eröffnet werden. Etwa mit der größten jemals aus Porzellan gefertigten Vase, die fast acht Meter messen wird – ein monumentales Vorhaben. Mit einem 20 Meter langen Laufsteg, der weit über die Burgmauern hinausragt und allerlei persönliche Wünsche erfüllen wird. Und zu guter Letzt mit einer sakral-künstlerischen Komponente, wenn nämlich die Burgkirche vollständig mit „Weißem Gold“ verkleidet und damit die im doppelten Sinn fantastische Porzellanzeitreise der Leuchtenburg komplettiert wird.