Welttheater Rom: die große Bühne, die vielen schönen Plätze, Goethes Café und das wunderbare Chaos zwischen Spanischer Treppe und Trastevere

Geruhsamer Auftakt oberhalb der Spanischen Treppe. Der Ober im teuren Lokal vor Santissima Trinità dei Monti, der Franzosenkirche, flirtet mit der Signora aus Deutschland wie einst Marcello Mastroianni mit der Loren. Der Signor macht gute Miene zum altbekannten Spiel, genießt den Blick aufs Gotteshaus und auf das legendäre Hotel Hassler, hat ansonsten aber wenig zu sagen und umso mehr zu zahlen.

Am Abend, auf der anderen Seite des Tibers: Arien zu Ossobuco oder Saltimbocca alla romana. Der Kellner im Sabatini von Trastevere, mindestens seit 40 Jahren im Dienst, macht sich einen Spaß daraus, die wunderbaren und völlig überteuerten Traditionsgerichte singend zu servieren. Direkt vor den Markisen, auf der Piazza di Santa Maria, zeigt ein Feuerschlucker seine heißen Künste, ein anderer junger Mann lässt die größten Seifenblasen der Welt in den Abendhimmel steigen.

Die Piazza Navona gilt Rom-Enthusiasten als schönster Platz der Stadt. Stunden lassen sich damit verbringen, die Details des Vierströme-Brunnens zu studieren, ein Meisterwerk Berninis, des wohl genialsten Künstlers im Rom des 17. Jahrhunderts. Oder man kauft sich ein Eis, wandert von einem der 20 und mehr Schnellzeichner zum anderen und staunt über die Karikaturen von Touristen, die da in zehn, 15 Minuten entstehen.

Drei Impressionen, drei von vielen Augenblicken. Momentaufnahmen, die doch typisch sind für die unendlichen Möglichkeiten, sich dieser Stadt zu nähern. Man mag Plätze „sammeln“: solche, auf denen das Leben tobt wie auf der Piazza del Minerva, wo sich afrikanische Jungpriester gerade vor dem Elefantenbrunnen fotografieren, andere, durch Zufall entdeckt, auf denen sich ein paar alte Herren aus der Nachbarschaft wundern, dass sie Besuch beim Kartenspiel bekommen. Man mag Kirchen entdecken, für die der Baedeker keine Zeilen übrig hat, wie jene im Gassengewirr hinter dem Campo de’ Fiori, die weniger wegen ihrer Kunstschätze, vielmehr wegen ihrer Atmosphäre zu Minuten der Einkehr verführen.

Vor gut 2000 Jahren hat der römische Dichter Vergil seiner Stadt das ewige Leben vorausgesagt. Aber zeitlos ist Rom deswegen nicht geblieben. Jeder Tag überrascht, jedes Viertel hat sich verändert, wenn man gerade mal ein Jahr nicht vor Ort war. Und wenn man noch nie da war ? Dann wird es Zeit, sich auf irgendeinen Weg zu machen, denn angeblich führen sie ja alle nach Rom.

Von der Spanischen Treppe und der Piazza di Spagna durch die Altstadt zur Fontana di Trevi. Was für ein Schauspiel in der Dämmerung, wenn dort die Wasserspiele ausgeleuchtet werden. Im Brunnen herrscht Okeanos übers nasse Element, neben ihm die Symbole der Reinheit und des Überflusses. Vor dem Brunnen herrscht friedliches Chaos um den besten Fotoblick; jeden Tag, vor allem abends, versammelt sich hier die Welt vor dem Meeresgott, wirft Münzen ins Wasser und hofft auf Wiederkehr.

Angekommen in der Ewigen Stadt? Darauf einen Espresso, natürlich in einer Bar, natürlich im Stehen. Dabei den Barista bewundern, wie er die Bohnen mahlt, das Pulver durch die zischend-laute Maschine jagt und dann exakt 25 Milliliter in Tässchen abfüllt, die auch als Fingerhüte geeignet wären. Kaffeekultur in Rom, so oder auch ganz nobel und mit literarischer Nostalgie: im Antico Caffè Greco an der Via Condotti etwa, wo schon Goethe Pause machte.

Nirgendwo in Italien war er so glücklich wie hier. Später, in seinen Römischen Elegien, hat er behauptet, „mit meinem Zustand in Rom verglichen ... nie wieder froh geworden“ zu sein. Auch Hermann Hesse und sein „intensiv erhöhtes Glücksgefühl ... beim Betreten italienischen Bodens“ wird gern zitiert. Über Jahrhunderte haben an der Via Condotti deutschsprachige Bohemiens ihre Liebe zu Italien beim Kaffeeklatsch ausgelebt. Das Caffè-Greco-Gemälde des Österreichers Ludwig Passini aus dem Jahre 1865 erzählt davon; es ist seit 1930 im Besitz der Hamburger Kunsthalle, kann aber derzeit nur im Internet angeschaut werden, weil das Original im Depot am Glockengießerwall schlummert.

Rom-Anfänger machen häufig den Fehler, sich zu viel Sehenswertes in ihr Programm zu packen. Die Stadt aber wurde, wie jeder weiß, nicht an einem Tag erbaut. Und auch nach einer Woche wird man allenfalls „das Wichtigste“ gesehen haben, aber nicht unbedingt der Seele der Metropole nahegekommen sein. Rom bietet Abwechslung für viele Reisen. Es macht Sinn, sich jedes Mal auf ein anderes Viertel einzulassen.

Wir haben diesmal den Vatikan von der Liste gestrichen. Stattdessen schlendern wir am Vormittag durch eben diese Condotti, Luxus schnuppern. Die üblichen Verdächtigen siedeln hier: von Armani bis Vuitton. Danach – Kontrastprogramm auf dem Weg zum anderen Tiber-Ufer – freuen wir uns in der Via del Portico d’Ottavia, der schönsten Gasse im jüdischen Quartier, dass das „Ghetto“ rund um Synagoge und Piazza Mattei wieder lebt: koschere Metzger, Wein aus Israel, Geschäfte für Menora-Leuchter.

Das jüdische Viertel verwandelt sich gerade mal wieder, wird zum Kummer seiner alten Fans etwas stylish, so wie gegenüber aus dem Arbeiterviertel Trastevere fast schon ein Szenekiez wurde. Aber hier gilt, wie an allen Orten, wo Gentrifizierung beklagt wird: hinein ins Labyrinth und das „Dorf“ der alten Zeit finden, sich treiben lassen.

Rom ist eine laute Stadt, fast überall. Aber wie die Kunst, die Mode und die Tempel der Sinnenfreuden war auch die Geräuschkulisse schon früh ein Teil des römischen Welttheaters. Horaz, neben Vergil und Ovid wohl der bedeutendste Dichter im Rom des Kaisers Augustus, stöhnte bereits kurz vor der Zeitenwende über „ein Meer von Lärm“.

Die große Bühne aber gehört den Einheimischen und ihren Plätzen: Treffpunkte wie die Piazza del Popolo oder die Piazza Venezia, 100 Plätze mehr in Vierteln, auf denen von morgens bis in die Nacht hinein pralles Volkstheater gegeben wird. Und die Tavernen, Trattorien und Gelaterias. Eng sitzen wir dort, kommen ins Gespräch mit Römern und Rom-Gästen. Und verstehen wieder einmal, warum es so leichtfällt, sich in diese Stadt zu vergucken. Rom verzaubert, Rom nervt, Rom macht süchtig. Vielleicht versteckt sich der Schlüssel zu allem im Stadtnamen. Roma liest sich rückwärts: Amor.