Ein ehemaliger Schweizer Militärbunker unter dem Gotthard wurde zum Vier-Sterne-Erlebnishaus La Caustra umgebaut

Mitten in der grandiosen Bergwelt unter dem Gotthard führt der Weg in eine andere Welt. Schroffe Gipfel ragen in den Himmel, schierer schwarzer Fels lugt hier und dort durch gleißenden Schnee. Es ist eine wilde Weltverlorenheit im Schweizer Hochgebirge. Der Weg endet vor einem in Ochsenblutrot gestrichenen Holztor. Der Eingang ist gefasst von grauen Steinquadern, darüber lugt eine Scharte hervor, alles ist auf Abwehr eingerichtet und: „… in dem Maschinengewehrstand da vorn möchte ich eine Bar einrichten!“ Das sagt Rainer Geissmann und zeigt auf den Fels, man sieht sonst nichts. Ein Maschinengewehrstand mit Bar?

Tor und Wand sehen aus wie eine Burg. Und das ist es auch: eine Festung. Geissmann öffnet eine kleine Tür im Tor, dahinter lauert ein dunkler Stollen, groß genug für Lastwagen. Wasser tropft von der Decke, die Schritte hallen im Gewölbe. Der Gang biegt ab, wir öffnen eine massive Stahltür. Betongrau und stahlgrau. Und wieder lauern Schießscharten. „Der Eingang ist winklig angelegt, Eindringlinge konnten so besser gestoppt werden“, sagt Geissmann. Stahltüren? Eindringlinge aus Schießscharten stoppen?

Schnurgerade läuft der Stollen tiefer in den Fels hinein. Auch dieser Gang endet vor einer Tür, in dem Betonbunker sind zwei Fahrräder an die Wand gelehnt – und über der Tür leuchtet ein Schild. „Hotel“ steht darauf, ein stilisiertes Cocktailglas gibt den Hinweis auf eine Bar. Im Bunker? Im Berg? „Freu dich doch“, sagt Geissmann, „hier unten hört dich die NSA ganz sicher nicht ab! Hier hast du absolute Ruhe.“ Hier unten ist auch gar kein Empfang.

Die Wand des Bunkers ist mehr als einen Meter dick, und abermals fällt eine schwere Tür ins Schloss. Geissmann hat eine Leuchtstoffröhre in der Hand und leuchtet die Gänge aus, die schimmern in einem magischen Blau. Gang und Gäste verlieren sich im Gneis, sie verschwinden immer tiefer im Berg, getaucht in einen engen Kreis aus Licht. Vorn ist’s dunkel und hinten auch. Unterbrochen ist das totale Schwarz hinter der nächsten Stahltür jetzt von Lampions, die am Boden stehen. Geissmann öffnet zum wiederholten Male eine Tür, so schwer wie die eines Tresores und ebenso leichtgängig. „Achtung! Türe sofort schließen. Hebel sichern“ steht auf einem Schild. Die Tür fällt, tonnenschwer, sachte ins Schloss. Hinter uns und über uns sind Hunderte Meter Fels.

Verloren gegangen ist noch niemand, aber fündig geworden immer wieder

Sicherer kann ein Mensch wohl nirgends sein als tief im Berg. Rainer Geissmann öffnet die vorerst letzte Tür: Der Boden glänzt in schwarzem Industrie- Estrich, die Decke öffnet sich zu einer meterhohen, ausgesprengten Kaverne. An den Wänden flackern Kerzen, plötzlich ein unvermutet warmer Schein. Wasser plätschert und leise Musik ebenso. Ein Gang führt noch tiefer hinein und ist mit rotem Teppich ausgelegt, dort geht es zu den Zimmern und dem Wellness-Bereich. Clubsessel und niedrige Tische verströmen die Atmosphäre einer Lounge. In dieser Höhle steht ein Wohnmodul, beherbergt eine stylish-heimelige Gaststube.

„1999 hat die Schweizer Armee diese Festung aufgegeben“, erklärt Rainer Geissmann. Eine Stiftung hat San Carlo, so hieß diese Artilleriestellung, übernommen und mehr als fünf Millionen Euro investiert, um hier ein zweites Leben in den Berg zu bringen – das Seminar- Hotel La Claustra. Heute ist die ehemalige Militäranlage ein Vier-Sterne- Hotel mit Dampfbädern und außergewöhnlichem Flair. Und sie ist Geschichte zum Anfassen. „Das war eine Hilfsstellung für die Gotthardfestung“ erklärt er. Die Hauptfestung, sie liegt im Berg gegenüber und kann im Sommer besichtigt werden, sieht man von außen ebenso wenig wie diese hier. Und wie andere auch nicht: In der Schweiz sind ganze Kasernen in den Fels gebaut. Legenden zufolge sogar ein Flugplatz für Kampfflugzeuge.

Die sind spätestens seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes überflüssig, und ihre Unterhaltung ist auch für die Schweizer Armee unbezahlbar geworden. Ein großer Teil dieser Festungen wurde stillgelegt – heute werden darin Daten gelagert oder Champignons gezüchtet. Manche sind Museen, die von Ehemaligenverbänden betreut werden und durch die frühere Offiziere engagiert Führungen anbieten. Diese hier ist ein Hotel.

Nachdem die Gäste ihre Zimmer bezogen haben, führt Rainer Geissmann immer tiefer in die Bergfestung hinein. Der bewohnte Teil der alten Stellung ist gut vor der Kälte des Berges isoliert, die Schlafzimmer auf behagliche 20 Grad gewärmt. Auch wichtig, und großer Ausgabeposten im Unterhalt der Anlage, ist die Luftentfeuchtung in den Lebens-Räumen. Die Türen nach „draußen“, sprich: in die rückwärtigen Gänge und Kavernen, sind mit Isolierwolle verkleidet und mit Aluminiumfolie beschichtet. Deswegen sind auch in Friedenszeiten die Türen immer zu, aber nicht mehr verschlossen.

Und vor dem Abendessen schickt Geissmann seine Gäste mit folgendem Hinweis los: „Diesen Gang runter, dreimal rechts. Durch die Tür und dann in dem Gang die dritte Tür wieder rechts – bring dir mit, was du möchtest!“ Verloren gegangen ist auch noch niemand. Aber fündig geworden immer: Das ist der Weinkeller. „Die Armee hat mir fast 2000 Flaschen dagelassen“, sagt Geissmann und freut sich über seine Festung wie ein kleiner Junge über ein besonders ausgefallenes Geschenk.

Der Gong ruft. Heute gibt es Urner Geschnetzeltes unten im Berg. „Am alten MG-Stand draußen möchte ich eine Außen-Bar einrichten; Gotthard- Bier zapfen und Tortellini servieren“, sagt Rainer Geissmann zwischen zwei Bissen, „das soll sonst aber authentisch bleiben!“ Das alles ist kaum zu glauben, wenn’s nicht wirklich wahr wäre.