Auf einer siebentägigen Kreuzfahrt mit der „Royal Clipper“, dem größten Segelschiff der Welt, wird vor allem Kurs auf kleinere Häfen genommen.

Der Balkon mit Sitzbank, kaum größer als einen Quadratmeter, ist einer der begehrtesten Plätze auf dem ganzen Schiff. Knapp außerhalb der Bordwand und sechs Meter über der Wasseroberfläche kann man Gedanken davonfliegen lassen und Eindrücke aufsaugen. Und Eindrücke hat die Reise wahrlich genug zu bieten. Sanft gleitet das königliche Schiff dahin, durchschneidet die dunkelblauen Fluten des Mittelmeeres. Statt Motorengeräusch ist das leichte Flattern der Segel im Wind zu hören, dazu versetzt die Hymne „Conquest of Paradise“ von Vangelis, die bei jedem Hissen der 42 Segel erklingt, die Passagiere in emotionale Stimmung. Und dann natürlich die Landschaft. Stück für Stück löst sich die „Royal Clipper“ aus der Umklammerung der Bucht von Lipari und gibt den Blick frei auf die von Vulkanen geschaffenen Äolischen Inseln nördlich Siziliens. Am Horizont steigen weiße Rauchwolken über dem Stromboli auf, einem der wenigen aktiven Vulkane Europas. In solchen Momenten kann man die Worte von Kapitän Sergey Utitsyn bestens nachvollziehen. „The ship is a lady, a nice and beautiful lady“, sagt der 55 Jahre alte Familienvater aus Estlands Hauptstadt Tallinn. Sein Schiff sei nicht nur ein großes Segelschiff, sondern eine Megayacht, sagt der Nachfolger Gerhard Lickfetts aus Hamburg. Der heute 76-Jährige stand auf der Brücke, als die „Royal Clipper“ 2000 in Dienst gestellt wurde.

Vor Lipari lässt Utitsyn, der seine Seefahrerkarriere auf dem russischen Segelschulschiff „Krusenstern“ begann, letztmals Anker lichten, bevor es mit einem Seetag zurückgeht nach Civitavecchia, Start- und Endpunkt dieser siebentägigen Kreuzfahrt mit dem größten Segelschiff der Welt. Der 134 Meter lange Stahlrumpf, 5200 Quadratmeter weißes Segeltuch, verteilt auf 42 Segel an fünf Masten, der 60 Meter hohe Hauptmast sowie Platz für 227 Passagiere und 106 Besatzungsmitglieder haben das Guinnessbuch der Rekorde bewogen, ihm das begehrte Attribut zu verleihen. Die Urkunde ist in der Piano Bar zu besichtigen.

Ihrem Anspruch, vor allem Kurs auf kleinere Häfen abseits der Routen der Megaliner zu nehmen, wird die „Royal Clipper“ auf dem Törn von Rom über Sorrent und die Amalfi-Küste, durch die Straße von Messina nach Sizilien und mit einem Abstecher zu den Äolischen Inseln zurück nach Civitavecchia voll und ganz gerecht. Lediglich vor Sorrent liegt mit der „Azamara Quest“ nebenan ein großes Kreuzfahrtschiff auf Reede.

Die nüchterne Atmosphäre des von Industrie und Fischerei geprägten Civitavecchia wird vom majestätischen Empfang in den Hintergrund gedrängt. Nicht genug, dass die „Royal Clipper“ einen königlichen Namen trägt und mit Königin Silvia von Schweden auf eine blaublütige Taufpatin verweisen kann. Auch die an der Nachbarpier liegende „Queen Mary II“ scheint dem Fünfmaster mit Vier-Sterne-Status Ehre zu erweisen.

Beim nächtlichen Auslaufen werden die Passagiere von emotionaler Stimmung gefangen genommen, die sie sieben Tage lang nicht loslassen wird. Mit einem Glas Champagner verfolgen sie das Hissen der Segel. In den 114 vom englischen Designer Donald Starkey im edwardianischen Stil eingerichteten, zehn bis 33 Quadratmeter großen Kabinen und Suiten der „Royal Clipper“ wird so lange geträumt, bis der Kuss der Sonne durch die Bullaugen den Startschuss gibt für einen Tag auf den Inseln Ponza und Palmarola. Nach dem Frühstücksbüfett in der unteren Ebene des dreistöckigen, für ein Segelschiff beeindruckenden Atriums – von oben dringt Licht durch den Glasboden des größten von drei Swimmingpools auf dem Sonnendeck – geht es im Tenderboot hinüber zum kleinen Fischerhafen.

Ponza bietet italienisches Flair mit kleinen Geschäften in engen Gassen, Cafés und Fischrestaurants. Spektakuläre Gesteinsformationen und eine Herde weißer Ziegen an steilen Hängen sind die Höhepunkte der Bootstour um die Nachbarinsel Palmarola.

Die Gesellschaft an Bord ist multikulturell: Kapitän aus Estland, Chef-Offizier aus Italien, Chef-Ingenieur aus der Ukraine, Hotelmanager aus Großbritannien, Kreuzfahrtdirektorin aus der Schweiz. Dazu kommen viele Besatzungsmitglieder aus Indonesien, der Karibik und von den Philippinen. Deutsche arbeiten nicht auf der „Royal Clipper“. Das ist bei den Passagieren anders. Die Deutschen bilden zusammen mit Amerikanern, Engländern und Franzosen das Gros. Die Bordsprachen sind Englisch, Französisch und Deutsch.

Stolz ist man bei der Reederei auf den extrem hohen Anteil sogenannter „Repeaters“. Durchschnittlich 60 Prozent, auf einigen Törns sogar 80 Prozent der Gäste fahren mindestens zum zweiten Mal mit Star Clippers. Dazu tragen Annehmlichkeiten wie das unterhalb der Wasserlinie liegende Fitnesscenter mit Spa und Sauna, Frisiersalon, Massage- und Kosmetikraum sowie Bibliothek und drei Bars bei.

Tag drei führt die „Royal Clipper“ vor die steil aufragende Küste von Sorrent im Golf von Neapel. In Sichtweite des Vesuvs legen Fähren nach Neapel oder Capri ab. Wer auf der Insel dem Trubel entkommen möchte, dem sei in Anacapri die Fahrt mit dem Sessellift auf den Monte Solaro empfohlen. Allein das 13-minütige, lautlose Hinaufgleiten wirkt beruhigend. Auf dem Gipfel bietet sich ein grandioser Rundumblick und mehr Ruhe als im Tal. Zurück in Sorrent sollte man es nicht versäumen, den Ausflugstag auf einer Aussichtsterrasse hoch über dem Hafen gemütlich ausklingen zu lassen.

Das abwechslungsreiche Menü an Bord wurde in Kooperation mit Drei-Sterne-Koch Jean Marie Meulien kreiert. Angeboten werden unter anderem Schneckenragout, Hummer, Entrecote und Wolfsbarsch. Krawattenzwang? Fehlanzeige! Locker und ruhig klingt der Tag an der Tropical Bar aus.

Tags darauf sorgt nicht nur die beeindruckende Landschaft der Amalfi-Küste zwischen Salerno, Amalfi und Positano für Wow-Effekte. Ebenso verhält es sich mit der mitten im Ort steil aufragenden Treppe zum Dom von Amalfi und der für deutsche Verhältnisse undenkbaren Kombination aus Fußgängerzone und Durchgangsstraße.

Auf dem Weg nach Giardini Naxos auf Sizilien passiert die „Royal Clipper“ die Straße von Messina, die seefahrerisch anspruchsvollste Stelle des 742 Seemeilen langen Törns. Während einige Passagiere das Glück haben, das Geschehen beim Mastklettern aus zwölf Metern Höhe zu verfolgen und einen ersten Blick auf den Vulkan Ätna zu werfen, muss Kapitän Sergey Utitsyn bei der Fahrt durch die nur drei Kilometer breite Meerenge zwischen Messina und der Region Kalabrien winzige Fischerboote, querende Fähren und die Strömung auf der in S-Form verlaufenden Fahrrinne in die Navigation einbeziehen. Auf Sizilien angekommen, begeben sich viele Gäste auf Ausflüge an die weinbestandenen Hänge des 3300 Meter hohen Ätnas und nach Taormina.

Beim Captains Dinner verweist Utitsyn noch einmal auf sein Motto: „Wir können alles möglich machen, außer Wind, Sonne und Regen.“ Als wolle ihm die Natur zustimmen, erleben die Passagiere wenig später ein fast unglaubliches Naturschauspiel, das sie tagsüber als Werbegag der Taxifahrer am Hafen von Lipari abgetan hatten. „Der Vulkan Stromboli bricht alle 20 Minuten aus“, hatten sie für ihre Inseltouren geworben. Und jetzt, bei völliger Dunkelheit, kommt es tatsächlich so. Zunächst ist es nur ein rötliches Schimmern aus der Ferne. Aber dann, gewaltig und überraschend, schießt aus einem Nebenkrater eine gewaltige Lavasäule in die Höhe. Funken sprühen, Rauch steigt auf, bevor die Glut erkaltet und aus dem Blickfeld verschwindet.