Ein anderer Blick auf die Region eröffnet sich Besuchern, wenn sie das Abenteuer wagen und an Bord eines Schiffes gehen. Angebote gibt es genug

Plötzlich taucht er am Horizont auf. Das große bunte Segel leuchtet weit über die Bucht von St.-Malo. Majestätisch gleitet er zwischen Inseln und Schiffen heran, wird schnell größer und größer. Und nur wenige Minuten später klingt schon eine fröhliches „Willkommen an Bord“ von dem beeindruckenden Drei-Rumpf-Boot herüber.

Wenn das nur so einfach wäre. Das große schwarze Schlauchboot, auf dem die Besucher zu dem Trimaran gebracht werden, nähert sich dem Segler von der Seite. Eine Leine wird herübergeworfen. Dann heißt es für die beiden Bootsführer Konzentration. Einige Minuten müssen sie es schaffen, direkt nebeneinanderher zu fahren. Denn das Übersteigen vom Schlauchboot zum Segler erfolgt bei flotter Fahrt auf dem Wasser. Zumindest eine Hand reicht Skipper Gilles Lamiré seinen Besuchern. Den großen beherzten Schritt müssen die dann selbst machen.

Geschafft. Schon befindet man sich auf einem besonderen Schiff vor der bretonischen Küste. Auf einer Regattayacht, mit der Skipper Gilles Lamiré in diesem Herbst wieder an der Einhand-Transatlantikregatta Route du Rhum von St.-Malo nach Guadeloupe teilnehmen will. Wackelig ist es auf dem Netz, das zwischen den drei Rümpfen gespannt ist, unter einem nur das Meer.

Deshalb ist das erste Kommando des Skippers auch „Hinsetzen“. Und dann: „Willkommen auf der ,Rennes Métropole – Saint-Malo Agglomération‘.“ Ein wirklich sperriger Name für eine solch elegante Yacht. Nun gibt es ein paar Sicherheitseinweisungen. Aber nach wenigen Minuten fängt Gilles an zu strahlen und fragt beinahe schelmisch. „Seid ihr bereit zum Segeln?“ Schnell wird das mächtige Vorsegel ausgerollt. Jetzt rauscht das Wasser nur so unter dem großen Netz hindurch.

Die „Rennes Métropole – Saint- Malo Agglomération“ ist ein schneller Trimaran. Vor vier Jahren gewann sie die Route du Rhum. Lamiré will am 2.November zum ersten Mal mit der Yacht an der Wettfahrt teilnehmen. Mit anderen Schiffen ist der erfahrene Skipper bereits 2010 und 2006 mitgesegelt. Wenn Lamiré nicht mit den Vorbereitungen für die Wettfahrt beschäftigt ist, fährt er auf seinem Trimaran oder dessen Schwesterschiff Touristen und andere segelinteressierte Besucher vor der Küste von St.-Malo hin und her. Die gesamte bretonische Küste ist ein wunderbares Segelrevier. Kein Wunder also, dass die Bretonen ständig auf und am Wasser zu sein scheinen. Und dass es sich lohnt, hier einen oder mehrere Tage auf See zu verbringen.

Zurück zu Gilles Lamiré. Der freundliche Mann mit dem gewinnenden Lächeln hat erst mit etwa 25 Jahren beinahe zufällig den Segelsport für sich entdeckt. Nach der Schule begann der heute 43-Jährige ein Wirtschaftsstudium. Beim Militärdienst landete er dann auf einer Segelyacht der Marine. „Das hat mir unglaublich gut gefallen“, sagt Lamiré. Also habe er angefangen Bücher zu wälzen und Geld gespart, um sich ein eigenes Boot kaufen zu können. Die Hochzeit eines Freundes brachte ihn auf die Karibikinsel Martinique und damit zu seinem ersten Schiff. „Noch am Abend der Feier hatte ich einen Job auf einem Bananenfeld. Und schon ein Jahr später genug Geld zusammen.“ Es folgten verschiedene Skipper-Jobs auf Yachten im Mittelmeer und der Karibik. Bis Lamiré sich seinen ersten Regatta-Trimaran kaufte. „Ein Freund sagte zu mir, das sei doch ein Schiff für dieRoute du Rhum. Ob ich da nicht mitfahren wolle.“ Gesagt, getan. Vor acht Jahren ging Lamiré zum ersten Mal an den Start. „Und was soll ich sagen, ich bin angekommen“, so sein trockener Kommentar zu der Teilnahme.

Mit diesen und anderen Geschichten vergeht die Zeit viel zu schnell. Die bretonische Küste rauscht vorbei. St.-Malo mit seiner eindrucksvollen Stadtmauer rückt näher, die Segel werden geborgen und dann ist das Erlebnis im Hafen schon wieder zu Ende.

Die Stadt ist eigentlich mehr als nur einen kurzen Abstecher nach einem Segeltag wert. Sie ist in zwei Teile geteilt, den historischen Stadtkern hinter den Mauern und die Neustadt. Namensgeber für St.-Malo ist der walisische Einsiedlermönch Mac Low, der sich im 6.Jahrhundert hier niederließ. Im Lauf der Jahrhunderte errichtete man die Festungsmauern. Zur Hauptstadt der Korsaren wurde St.-Malo dann Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts, als die Seeräuber von der Küste aus die Meere unsicher machten. Eine Geschichte scheint den Bretonen besonders wichtig zu sein: Von hier aus stach Jaques Cartier 1534 und 1535 in See und entdeckte Kanada. Bis heute sind die Verbindungen nach Quebek sehr eng.

Die dunkle Seite der Geschichte St.-Malos ist allerdings auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Im Sommer 1944 zerstörten alliierte Bomber etwa 80 Prozent der historischen Innenstadt. Doch die Bretonen ließen sich nicht entmutigen. In einer beispiellosen Aktion bauten sie ihre Stadt nach historischem Vorbild wieder auf. So sind viele der historischen Gebäude in Wahrheit erst vor wenigen Jahrzehnten entstanden. Interessant ist auch ein Blick auf die Einwohnerzahlen der Stadt: Nur rund 2000 Menschen leben innerhalb der historischen Mauern, die anderen der insgesamt rund 50.000 haben Häuser und Wohnungen auf dem Festland. Viele wohlhabende Pariser sollen in dem kleinen Örtchen Wohnungen und Häuser besitzen, aber nur in den Sommermonaten hier Zeit verbringen.

Das seglerische Kontrastprogramm – für alle, die gern auf Wasser sind, aber nicht ganz so schnell – gibt es etwa 150 Kilometer entfernt in Perros-Guirec. Im Hafen wartet der Langustenfänger „Sant C’hireg“. Eine alte Dame, zumindest optisch. Das Willkommen an Bord ist nicht minder freundlich, und pünktlich um zehn geht es mit dem ablaufenden Wasser raus aufs offene Meer. Das Ziel: die sieben Inseln, die dem kleinen Ort vorgelagert sind.

Schon nach kurzer Zeit wird klar, die „Sant C’hireg“ sieht zwar deutlich gemütlicher aus, das Wasser hier vor der Küste ist es allerdings nicht. Obwohl nur ein leichtes Lüftchen weht, stampft das schwere Schiff durch die Wellen. Skipper Denis Le Bras scheint jede Bewegung seines Schiffes zu genießen. Er hat die „Sant C’hireg“ zusammen mit einem Freund 1986 nach Plänen aus dem Jahr 1920 bauen lassen. So auskunftsbereit er zu den Daten seines Schiffes ist, um sein eigenes Alter macht der Mann mit dem verschmitzten Lachen ein Geheimnis. „Ich bin älter als 20“, sagt er knapp. Und auf Nachfrage: „Ja, vielleicht dreimal so alt.“

Die vielen Jahre vor der Küste von Perros-Guirec haben ihn zu einem Experten des Reviers gemacht. Und so kann er nahe an die Inseln navigieren. So nah, dass seine Besucher von Bord die Tiere genau beobachten können. Da liegen Robben auf den Steinen und sonnen sich, andere schwimmen am Bug vorbei. Die Papageientaucher, Pinguine und Basstölpel machen ordentlich Lärm, sie können sich sicher fühlen, denn an Land dürfen die Besucher nicht.

Faszinierend: Aus der Ferne sieht eine der Inseln aus, als sei sie mit Schnee bedeckt. Wenn Le Bras allerdings heranfährt, wird klar, es sind Basstölpel, die hier sitzen.

Auf der größten Insel, der Ile aux Moines, darf man an Land gehen. Bei Le Bras gibt es nach dem Festmachen erst einmal für alle ein kleines Glas Wein mit Cassis, bevor auf dem Festland das Picknick eingenommen wird. Dann lädt er Interessierte zu einem Rundgang über das Eiland ein. Mit viel Liebe zum Detail beschreibt er das Leben der Mönche, die der Insel ihren Namen gaben. Und wie sich die Armee dort niederließ. Am späten Nachmittag geht es wieder an Bord und mit dem auflaufenden Wasser zurück in den Hafen.

Allerdings nicht ohne einen kleinen Schwenk an der berühmte Rosa-Granit-Küste entlang. Die ist von Wasser genauso wie von Land mit ihren riesigen Felskolossen aus Granit sehr imposant. Acht Kilometer lang erstrecken sie sich entlang der Küste. Das Lustige: Nur in einem bestimmten Licht leuchten die Felsen wirklich rosa, bei einem anderen Einfall eher gelblich oder sogar bläulich. Die großen Brocken sollen vor etwa 300 Millionen Jahren entstanden sein, als vulkanisches Magma aus dem Erdinneren emporstieg. Und sich zu den skurrilsten Formen entwickelte. Da gibt es riesige Steine in Flaschenform, als Pilz oder sogar eine Hexe. Entlang der großen Gesteinsbrocken windet sich ein gemütlicher Wanderweg. Der ist nicht anspruchsvoll, aber sehr beeindruckend. Und sogar für Rollstühle und Kinderwagen ausgebaut. Und auf jeden Fall hat man dann endlich wieder festen Boden unter den Füßen …