Die Nivernais-Tour mit dem Hausboot führt über einen der schönsten Wasserwege Frankreichs – und reizt den Gaumen

Nicht einmal fünf Meter breit sind die drei Tunnel von La Collancelle. Da sind Fahrkünste gefragt. Aber nach ein paar Dutzend Schleusen, die auf dem Nivernais-Kanal hinter uns liegen, haben wir etwas Übung. Die „Magnifique“ gleitet sanft durch das ruhige Gewässer. Wir fahren, ohne an den Mauern zu schrammen, durch den unterirdischen Gang. Eine zwischen den Tunneln liegende Schlucht ist paradiesisch schön. Rechts und links ragen Felswände empor. Die Bäume bilden einen grünen Baldachin, durch den diffuses Sonnenlicht dringt. Klein-Amazonien heißt der Kanal nicht ohne Grund. Selbst Mücken gibt es, nur stechen sie hier nicht.

Der Nivernais-Kanal gilt als einer der landschaftlich schönsten Wasserwege Frankreichs. Natur, Wasser und Stille bilden herrliche Stimmungsbilder. Er führt durch das Burgund und verbindet auf 174 Kilometern das Loire- mit dem Seine-Tal, erstreckt sich von Decize im Süden bis nach Auxerre im Norden. Neben dem Kanal gibt es keine Straßen, sondern nur zu beiden Seiten einen Treidelweg. Sobald der Schiffsmotor aus ist, herrscht absolute Stille.

Morgens um halb acht herrschen draußen nur sechs Grad. Der Dunst über dem Wasser hebt sich langsam und die Schleierstreifen am Himmel versprechen einen sonnigen Tag. An Deck wird es langsam lebendig. Unsere Etappenziele heißen Rochers du Saussois und Mailly-le-Château. Schleusentore öffnen und schließen sich, nach einer Stunde tauchen die ersten Kalkfelsen von Le Saussois auf. Sie ragen 60 Meter in den Himmel und gleichen mächtigen Walzähnen. An ihnen versuchen sich Freikletterer aus der ganzen Welt. Wir kraxeln einen weniger schwindelerregenden Weg zwischen den Felsen hoch. Der Blick über den Ort Saussois, den Kanal und die Wälder ist herrlich.

Mit sechs km/h ziehen wir an weinumrankten Schleusenhäusern aus Naturstein und verwilderten Gärten vorbei. Die Schleusen werden hier noch handbetrieben. Zwischen Juli und August ist fast an jeder Schleuse ein Wärter zu finden. Im Notfall wird man selbst zum Schleusenmeister. Vor manchen Häusern stehen zur Bewirtung Tische und Stühle draußen, wie vor dem von Gérard Mazières an der Schleuse sechs der beeindruckenden Schleusentreppe von Sardy. Innerhalb von 3,5 Kilometern folgen 16 Schleusen unmittelbar aufeinander. „Einmal Schleusenwärter – immer Schleusenwärter“, sagt Gérard schmunzelnd. Eigentlich ist er seit 2008 im Ruhestand. Sein Haus hat er in einen Salon de thé verwandelt, ein Rose de Marrakech kostet 2,50 Euro.

Die Langsamkeit auf dem Kanal wird zum Dialog mit der Natur. Jedes Detail ein Schauspiel: die untergehende Sonne, die eine Brücke in goldenes Licht taucht, dahintreibende Wolken, die sich im Kanal spiegeln, der Duft nasser Erde, Schwäne und Graureiher, die majestätisch übers Wasser gleiten, und weiße Charolais-Rinder, die Grasbüschel für Grasbüschel abrupfen.

Mailly-le-Château thront über dem Kanal, der unten eine Biegung von 180 Grad vollzieht. Der Ort klebt oben auf dem Felsen. Nach unzähligem Anlegen, Ablegen und Leinen Festzurren kommen wir am nächsten Tag in Accolay an.

Mit dem Taxi fahren wir in die Grotten von Arcy-sur-Cure, Hochburgen der Urgeschichte. Die Wandmalereien mit Kinderhandabdrücken und Zeichnungen von Bären und Mammuten sind älter als die von Lascaux. Ein Bild wurde auf ein Alter von etwa 28.000 Jahren bestimmt, erklärt die Führerin. Nach dem Ausflug in die Welt der Prähistorie und der verzweigten unterirdischen Gänge durch surreale Tropfsteingebilde geht es wieder zurück aufs Boot. Unsere nächste Exkursion bringt uns etwas ins Schwitzen: eine Fahrradtour von Vincelles in das fünf Kilometer entfernte Winzerdorf Irancy – mit leichter Steigung und Gegenwind.

Der 320-Einwohner-Weinort ist der einzige im Burgund, wo der Pinot Noir mit bis zu zehn Prozent César verfeinert wird, eine seltene, wahrscheinlich von römischen Legionären eingeführte Traube. Wie sie schmeckt, erfährt unser Gaumen auf dem Domaine Saint Germain. Christophe Ferrari besitzt in Irancy und Chablis insgesamt 14 Hektar Weinberge. Seine Liebe zum Wein hat er 1981 bei einer Weinlese entdeckt. Heute gären in seinen Kesseln köstliche Tropfen. Irancy La Bergère, Irancy Le Paradis oder Ratafia – schon die Namen machen Lust auf den Wein.

Was wäre eine Bootstour durch Burgund ohne einen Besuch der Weinkeller von Bailly Lapierre? „Als würde man vor dem Eiffelturm stehen und nicht hinaufgehen“, scherzt die Führerin während des Rundgangs durch vier Hektar Keller und fünf Millionen Flaschen Crémant de Bourgogne, Schaumwein aus Pinot Noir und Chardonnay.