Neulich auf einem Polterabend in der Nähe von Lübeck. Das Brautpaar schmettert mit Elan Teller, Tassen und Vasen zu Boden. Zwischendurch geben beide sich Küsschen, alles scheint rosarot beziehungsweise porzellanfarben-glücklich. Laut zerschellt ein Stück nach dem anderen, als der Bräutigam plötzlich ruft: „Stopp! Die nicht!“ Hastig entwendet er seiner Zukünftigen eine Tasse, wiegt diese beschützend in seinen Armen und wirft nun anstatt Geschirr mit bösen Blicken um sich. Die Gäste sind irritiert, die Braut fragt: „Was ist los? Was willst du mit der ollen Tasse?“ Das sei keine olle Tasse, zischt er zurück, und wer das nicht erkenne, habe keine Ahnung von deutscher Handwerkskunst. „Das ist von Rosenthal, genau das Service hatte meine Oma. Maria Weiß mache ich nicht kaputt!“

Hastig bemühen die Gäste ihre Smartphones, um herauszufinden, wer diese Maria sei. Eine Geliebte? Die Braut fordert die Tasse zurück, der Mann lässt sie nicht los. Es kommt zum Gerangel unter dem Paar und fast zum Zerwürfnis beim Zerwerfen. Der Trauzeuge versucht zu schlichten und liest schnell die Erklärung aus dem Internet vor, die Maria Weiß als die erfolgreichste Serie des Porzellanherstellers Rosenthal beschreibt: „Die vieleckige Grundform wird von einem zierlichen Granatapfel-Relief eingefasst, das Gestaltungselemente des Biedermeier aufgreift.“ Die Gäste fordern einen genauen Blick auf die Tasse, der Bräutigam gibt zögernd nach. Wirklich zu hübsch sei diese Tasse, befinden alle einvernehmlich, und so überlebt Maria Weiß den Polterabend.

Wer nach dieser krachenden Einleitung denkt, die haben ja nicht alle Tassen im Schrank, wird seinen Kaffee vermutlich aus Ikea-Bechern trinken. Alle anderen sollten im Sommer ins Fichtelgebirge reisen. Dort werden in der Porzellan-Hauptstadt Selb an diesem Sonntag die „Wochen des Weißen Goldes“ eröffnet. Zu feiern gibt es das 200-jährige Bestehen einer bayerischen Industrie, die einst ganz Deutschland mit Keramik versorgte. In dieser steinreichen Ecke gibt es die Materialien, die für die Herstellung des Weißen Goldes wichtig sind: Kaolin, Feldspat und Quarz. Kommen ein ordentlicher Streit und eine gute Wurftechnik hinzu, entstehen so übrigens fliegende Untertassen. Aber das nur am Tellerrande.

Gefeiert wird rund um Selb mehrere Wochen lang. Es gibt Porzellanmalkurse, zahlreiche Werksverkäufe bei Herstellern wie Hutschenreuther und Villeroy und Boch, Führungen zur größten Kaffeekanne der Welt an der 550 Kilometer langen Porzellanstraße und eine Sonder-Ausstellung im größten Porzellanmuseum Europas, dem Porzellanikon. Hier bitte nicht die historische Bart-Tasse verpassen, eine Spezialanfertigung für den Mann mit Oberlippenbart! Höhepunkt ist das Fest der Porzelliner am 2. und 3. August mit einem riesigen Flohmarkt. Übernachten könnte man in Deutschlands erstem Porzellan-Designhotel. Sollte die Hochzeit trotz des turbulenten Polterabends noch stattfinden, scheint jawohl klar, wohin die Flitterwochen gehen.