Es dampft und riecht nach Schwefel auf White Island in Neuseeland. Unsere Autorin begab sich auf ein imposantes Abenteuer

„Hier, hängt die schon mal um den Hals, wir sind gleich da“, sagt Keris Adams und drückt den rund 50 Schiffspassagieren der „Pee Jee IV“ gelbe Atemmasken in die Hand. Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Noch wenige Kilometer, und wir erreichen White Island, Neuseelands einzige aktive Vulkaninsel. Schon aus der Ferne hat sie etwas Mystisches: Dichte Rauchwolken steigen langsam in den blauen Himmel auf. Ein ähnliches Bild muss sich James Cook geboten haben, als er die Insel 1769 als erster Europäer erblickte. „Wir nannten sie White Island, weil die Insel aus der Entfernung weiß aussah“, schrieb er ins Logbuch. Dass es sich um einen Vulkan handelt, ahnte Cook damals nicht.

Tatsächlich ist die Insel Teil des Pazifischen Feuerrings, eines Vulkangürtels, der den Pazifischen Ozean umringt und sich von Neuseeland über Indonesien bis nach Japan sowie entlang der Westküste Amerikas erstreckt. Der Großteil des 150.000 bis 200.000 Jahre alten Vulkans befindet sich unter Wasser, doch auch so ragt White Island mit einer Höhe von 321 Metern und einem Durchmesser von zwei Kilometern aus dem Meer. Da die Insel sich seit 1936 in Privatbesitz befindet, ist sie lediglich im Rahmen geführter Touren zu erreichen. Die Zahl der Besucher ist reglementiert, sie kommen per Helikopter oder mit dem Boot. Keris Adams, die Frau mit den Gasmasken, arbeitet als Tourguide bei White Island Tours, dem einzigen Anbieter, der die Insel auf dem Seeweg ansteuert. Von dem Küstenort Whakatane geht es eineinhalb Stunden übers Meer, begleitet von Delfinen und fliegenden Fischen. Im Schlauchboot setzt man auf die Insel über.

Vor uns liegt eine surreale, mondähnliche und geradezu lebensfeindliche Landschaft. Helme und festes Schuhwerk sind für den Rundgang Pflicht. „Die Gasmasken müsst ihr nicht tragen, aber wenn es euch schwerfällt zu atmen, dann solltet ihr sie aufsetzen“, erklärt Keris Adams. Der hohe Gehalt an Kohlendioxid in der Luft würde einen Hustenreiz auslösen. Gefährlich oder ungesund sei das zwar nicht, aber lästig. „Das Wichtigste ist, dass ihr immer hinter mir bleibt“, sagt Adams weiter. „Die Hügel, die ihr überall seht, sind von innen hohl, und wenn ihr einbrecht, landet ihr in heißem Schlamm.“

Heißer Schlamm? Bevor ich mir darüber den Kopf zerbrechen kann, marschiert Keris Adams auch schon los. Es geht vorbei an grauen Felsen und rötlichem Geröll. Dazwischen wächst kein einziger Grashalm. An einigen Stellen ist der Boden mit einer Schicht aus gelben Schwefelresten überzogen, an anderen Stellen zischt heißer Dampf aus der Erde. Man könnte denken, man sei auf dem Filmset eines Hollywood-Blockbusters über den Weltuntergang gelandet – wenn da nicht dieser intensive Schwefelgeruch wäre. Er erinnert an faule Eier und brennt in der Nase.

Rein theoretisch könnte der Boden unter uns jeden Moment zu vibrieren beginnen. Derzeit befindet sich White Island auf Stufe eins der fünf Warnstufen für vulkanische Aktivität. Das bedeutet geringe, aber konstante seismische Unruhen. White Island steht unter ständiger Beobachtung, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Neuseelands Institute of Geological and Nuclear Sciences hat hier Seismografen und Kameras installiert. Die letzte große Eruption im Jahr 2000 liegt schon eine Weile zurück, doch kleine Ausbrüche gab es seitdem viele. Der letzte, der vor allem Dampf produzierte, wurde im August 2013 verzeichnet.

Tatsächlich wirkt der Vulkan verdammt aktiv. Schlammpfützen köcheln und blubbern vor sich hin, heiße Bäche fließen über die Insel. Und je näher man dem Krater des Vulkans kommt, desto mehr Dampf entweicht dem Boden. Fumarole nennen sich diese Austrittstellen. Die Temperaturen der Gase können bis zu 300 Grad betragen. Der Kratersee ist vor lauter Dampf kaum zu sehen. Unentwegt steigen dichte, weiße Wolken auf. Ich nehme kurz die Gasmaske ab – und bekomme direkt einen Hustenanfall. Der Dampf brennt in den Augen. Kein Wunder. „Das Wasser enthält so viel Säure“, verrät Adams, „dass man sich einfach auflösen würde, wenn man hineinfallen würde.“

Andere Teile von White Island sind weniger giftig: Adams reicht den Gruppenteilnehmern ein Stück Schwefelkristall zum Kosten. Es schmeckt salzig. „Und jetzt probiert mal den Bach hier“, sagt sie. Das Wasser hat eine bittere Note, schmeckt wie Eisen. „Die Arbeiter konnten es nicht trinken“, sagt Adams. Ja, tatsächlich hat es auf White Island mal Arbeiter gegeben. Seit 1885 haben die Menschen immer wieder versucht, hier Schwefel abzubauen. Und eines Tages passierte das Unvermeidliche: Bei einem Ausbruch kamen zehn Bergarbeiter ums Leben. Die Ruinen der Fabrikgebäude nahe der Anlagestelle sind die letzte Station des Rundgangs. Sie sind vom Schwefel zerfressen. „Selbst die Luft ist voller Säure“, sagt Adams. „Der Kleber und der Stoff an meinen Turnschuhen lösen sich nach spätestens zwei Monaten auf.“

Die Naturkraft ist auf White Island stets spürbar. Auch nach der Abreise: Meine Lippen schmecken nach Schwefel, meine Haut riecht danach. „Der einzige Nachteil an meinem Job“, sagt Adams lachend. „Ich stinke abends nach Schwefel. Nicht gerade sexy!“