Zur Sommersonnenwende am 21. Juni werden rund um die Tiroler Zugspitz Arena Feuer mit religiösen Motiven entzündet: ein hell leuchtendes Spektakel

Die Wettervorhersage am 20. Juni lautet: „In den kommenden Tagen ist warmes, sonniges Wetter kein Thema mehr in Tirol. Es wird abwechslungsreicher. Regen- und Gewitterhäufigkeit nehmen zu.“ Die Zugspitz Arena, ein 360-Grad-Talkessel rund um Ehrwald, Lermoos und Biberwier, verschwindet mehr und mehr hinter einer weißgrauen Nebelwand. Keine verheißungsvolle Prognose für ein feuriges Spektakel. Karlheinz Somweber, Obmann der Ehrwalder Bergfeurer, runzelt besorgt die Stirn: „Bisher hat es immer geklappt. Im schlimmsten Fall mussten wir um eine Woche verschieben. Bei Regen und Wind ist es zu gefährlich, bis auf 2000 Meter in die Berge zu steigen.“

Herz-Jesu-Feuer erinnern an die Zeit, als Napoleons Truppen Tirol bedrohten

14 Jahre war er alt, als er das erste Mal mit Feuer und Flamme beim Entzünden der Lichter dabei sein durfte. Später wurde er Tischler und zeichnet seitdem die einzelnen Motive für die Ehrwalder Bergfeuergruppen. „Wir brennen keine Scheiterhaufen ab“, erzählt der 50-Jährige, „sondern entwickeln vorrangig religiöse und Tier-Motive.“ Bergfeuer gab es in Tirol schon vor Jahrhunderten. Es handelte sich um einfache Reisigstapel. In vielen Orten werden noch heute Herz-Jesu-Feuer entzündet, um an den Schwur auf das Herz Jesu 1796 zu erinnern, als die Tiroler von napoleonischen Truppen bedroht waren.

„Dieser Brauch steht bei uns nicht im Vordergrund, sondern es sind Sonnwendfeuer“, sagt Somweber: „Mit der Motivplanung beginnen wir im April. Themen sind Kreuze, betende Hände, Madonnen, Herzen, Hirsche, Rehe, Bären. Von der Figur mache ich eine Zeichnung. Dann wird auf dem Berg die entsprechende Größe ausgemessen. Durch die Hangneigung verschiebt sich der Blickwinkel aus dem Tal. Also muss das Bild in die Länge gezogen werden, um es in der Nacht klar erkennen zu können, weil die Betrachter schräg auf den Berg schauen.“

An den rund 20 ausgewählten Stellen wird eine Woche vor dem geplanten Termin eine Schnur als Längsachse gespannt. „Dann stecken wir an den Enden und Verbindungsstücken kleine Fähnchen. Als Leuchtmittel verwenden wir je nach Ortsgegebenheiten zwei unterschiedliche Materialien“, sagt Somweber. Eine Möglichkeit ist, zwei ineinandergestellte, biologisch abbaubare weiße Kunststoffbecher – Modell „Coffee to go“ – mit Rapsöl zu füllen. Der umgedrehte Deckel dient als Schale fürs Benzin. Diese Variante bewirkt ein schwächeres Feuer, leuchtet dafür aber bis zu fünf Stunden. Sie kommt hauptsächlich an Grashängen zum Einsatz. Die Alternative sind kleine Plastiksäckchen, gefüllt mit Holzspänen oder Sägemehl, das mit Rapsöl vermischt ist. Sie geben ein helleres, stärkeres Licht, das jedoch nur maximal eineinhalb Stunden brennt. Am Tag des Sonnwendfeuers steigen die einzelnen Gruppen morgens auf die Berge rund ums Tal und stellen die Säckchen oder Becher auf, sodass sie die gewünschte Figur ergeben. Bis zu 150 Meter sind die Motive lang. Mache können auch Ausmaße von 100 mal 300 Meter haben. Je nach Bildgröße benötigt man 150 bis 800 Feuerstellen. Als Wahrzeichen lebendigen Brauchtums gehören die Bergfeuer seit 2010 zum immateriellen Unesco-Kulturerbe Österreichs.

Die Prophezeiung für den 21. Juni scheint zu stimmen. Die Nebelschwaden sind noch undurchsichtiger geworden. Am späten Vormittag wird sich entscheiden, ob die Feuer um 22 Uhr entzündet werden können oder nicht. Bis dahin bleibt Zeit für eine Fahrt zur Zugspitze, dem Grenzberg zwischen Deutschland und Österreich und Deutschlands höchstem Gipfel.

Von Ehrwald aus dauert die Tour mit der Tiroler Zugspitzbahn, einer Seilbahn, die 100 Personen pro Kabine befördern kann, nur zehn Minuten. „Oben angekommen, sollte man zunächst im Zeitlupentempo gehen“, rät Bergwanderführerin Ingrid Voelk: „Sonst wird die Luft knapp. Man bekommt Kreislaufprobleme. Denn innerhalb weniger Minuten werden 1700 Höhenmeter überwunden.“ Durch einen glasüberdachten Gang können Gipfelstürmer zwischen Österreich und Deutschland hin- und herwandern. Doch egal, auf welcher Seite man steht, der Vier-Länder-Fernblick auf zahlreiche schneebedeckte Zwei- und Dreitausender endet an der Nebelwand.

Die „Faszination Zugspitze“ beschränkt sich zunächst auf das gleichnamige Erlebnismuseum, in dem die Erstbesteigung des Berges 1820 und der Bau der Zugspitzbahn dargestellt sind. Plötzlich geschieht das Wunder. Die Sonne schiebt die Wolken zur Seite, gibt die Sicht frei aufs goldene Gipfelkreuz in 2962 Metern Höhe. Wie ein Lauffeuer spricht es sich herum, dass das glühende Schauspiel am Abend stattfinden wird.

Also nichts wie raus aus dem Schnee und noch etwas Frühlingsluft bei einer Wanderung um den fast 1700 Meter hoch gelegenen Seebensee genießen. Vor einigen Jahren wurde dieser Hochgebirgssee zum schönsten Fleck Europas gekürt. Mal schillert er grünlich, dann wieder hellblau, und manchmal spiegelt sich das Wettersteinmassiv mit der Zugspitze im glasklaren Wasser. Am Wegesrand leuchten gelbe Butter- und Trollblumen, blauer Enzian und violettes Knabenkraut. Baldrian und wilder Thymian versprühen ihren betörenden Duft.

„In der Zugspitz Arena treffen sich vier Gebirgszüge“, informiert Ingrid Voelk: „Wettersteingebirge mit Zugspitze, Ammergauer Alpen, Lechtaler Alpen und die Mieminger Kette mit der Sonnenspitze.“

Den besten Blick auf die Feuerbilder genießt man nicht von einem der Berge aus, sondern im Talkessel. Über diesem hat sich nach der Abfahrt mit der Ehrwalder Almbahn gerade wieder eine Nebeldecke ausgebreitet. Doch ein zweites Wunder geschieht. Kurz vor Sonnenuntergang beginnen die Felsspitzen rund um die Arena purpurfarben zu glühen.

Die Kalk- und Schneewände reflektieren das Dämmerungslicht. Der Himmel reißt auf. Der Vollmond zeigt sich in voller Pracht. „Dort glimmen die ersten Lichter“, schallt es über die Wiesen. Nach und nach erscheinen ein Steinbock, eine Madonna, eine Waage, ein Doppelkreuz, eine Rose,... 8000 einzelne Feuerstellen erhellen die nächtliche Bergwelt. Die Zuschauer in der Zugspitz Arena applaudieren begeistert. Und nach der kürzesten Nacht des Jahres beginnt am nächsten Morgen endlich der Sommer.