Wie gut lernt man eine Insel kennen, wenn man nur wenig Zeit auf ihr verbringen kann? Unsere Autorin erlebte New Providence mit der Bahamas-Hauptstadt Nassau in vier Stunden. Ein Ausflug mit Vorspultaste.

Countdown: 3, 2, 1, go! Zum Start schnell die wichtigsten Zahlen: Die Bahamas sind ein 700 Inseln umfassender Inselstaat, 36 sind bewohnt, die bekannteste davon werde ich heute besuchen, und dafür bleiben mir gemütliche vier Stunden Zeit. Vier Stunden minus der kostbaren Minuten, die beim Verlassen des Schiffes und Wiedereinchecken verloren gehen. Wenn 3500 Gäste gemeinsam in dieselbe Richtung streben, bilden sich Schlangen, die gefühlt von Hamburg bis nach Berlin reichen. Oder eben von unserem schwimmenden Hotel bis nach Nassau, der Hauptstadt der Bahamas. Einst ein lauschiges Dorf, heute einer der wichtigsten Kreuzfahrthäfen der Welt. Bis zu sechs Schiffe können hier festmachen. Morgens strömen die Touristen rein ins Paradies, das dann wegen des Gedränges kein richtiges mehr ist, und abends wieder raus. Paradiese leiden bekanntlich unter Platzangst, kein Wunder, dass sie sich während des Tages vom Gedränge zurückziehen, umso schöner zum Feierabend wieder zurückzukehren.

Anreise und Erlebnis scheinen in keinem ausgewogenen Verhältnis zu stehen

Von dieser himmlischen Ruhe werden wir nichts mitbekommen, denn unser Kapitän Alessandro scheint es eilig zu haben und will bereits um 13.30 Uhr alle zurück an Bord sehen. Ob das sinnvoll ist, erst elf Stunden Flug nach Miami, anschießend eine Nacht Fahrt übers Meer, um sein Traumziel nur so kurz zu betreten? Anreise und Erlebnis scheinen in keinem ausgewogenen Verhältnis zu stehen, doch das hat man davon, wenn man eine günstige „Fun-Cruise“ bucht. Teure Liegegebühren in den Häfen sind da einfach nicht drin. Dafür bietet das Party-Schiff seltene Eindrücke wie ambitioniert ausgetragene Wettbewerbe im Tarzan-Schreien oder „Wer hat die schönste behaarte Brust?“. Cocktail-Karten prägen die Aufschrift „Anekdoten sind zu 17 Prozent lustiger mit Alkohol“. Ansagen aus den Lautsprechern werden gesungen, und Frauen tragen Bikini-Oberteile beim Dinner. Nein, keinesfalls die Sorte, die bauchfrei tragen sollte. Doch ich schweife ab, und dazu haben wir keine Zeit. Betrachten wir den Bahamas-Trip also positiv und als Herausforderung. Wie viel kann man von einer Insel kennenlernen, wenn man ihr nur kurz „Hello!“ zuruft? Es wird ein Ausflug mit Vorspultaste. Bitte schneller sehen, verstehen, reden, gehen, weiter im Text.

Die einheimischen Führer verkaufen genau die gleichen Ausflüge wie an Bord für die Hälfte

Welche Sehenswürdigkeiten ich besuchen möchte, weiß ich bereits, nun brauche ich nur noch jemanden, der mich hin- und herkutschiert. Die öffentlichen Busse, Jitneys genannt, kommen leider nicht infrage, weil die Fahrer zu nett sind. Nettigkeit kostet Tempo. Will ein Schuljunge nach Hause, machen sie gerne mal einen Umweg, um ihn direkt vor die Tür zu fahren. Hat ein Gast oder der Fahrer selbst Hunger, hält man schon mal bei Burger King. Die vom Schiff organisierten Ausflüge fallen ebenfalls aus, weil ihr Preis eine Beleidigung für jeden vernünftig denkenden Menschen darstellt.

Ich setze auf einen der Koberer am Landesteg. Die einheimischen Führer verkaufen genau die gleichen Ausflüge wie an Bord, nur um die Hälfte billiger und meistens viel kompetenter, denn sie kennen sich im Gegensatz zu den amerikanischen Reiseleitern in ihrer Heimat aus. Ich entscheide mich für einen großen schwarzen Mann, weil er den besten Namen von allen auf seinem Jackenschild trägt: Marco Polo. Wer, wenn nicht er, könnte mir souverän eine Highspeed-Einführung in die Bahamas verpassen? Sein richtiger Name lautet Marco McIntosh, erklärt er mir, doch weil er eben schon lange als Gästeführer arbeitet, nennen ihn alle nur noch Marco Polo.

Wir haben das alles in zwei Stunden zu erledigen, bitte

Wir einigen uns auf 35 Dollar für das Abfahren aller Dinge auf meiner Must-see-Liste, die ich ihm in die Hand gedrückt habe. „Okay, das wird ein schöner Tag für Sie, Miss Yvonne!“ sagt er, und ich erwidere: „Nein, wir haben das alles in zwei Stunden zu erledigen, bitte.“ Denn anschließend bin ich noch mit James Bond und ein paar Piraten verabredet. Das scheint Marco Polo, den ich schon jetzt uneingeschränkt super finde, zu verstehen, und er gibt Gas. In seinem Van liegt eine Bibel, im Radio hört er manchmal Live-Messen. Die Bahamians sind sehr religiös, überall stehen Kirchen und Kreuze. Petrus meint es deshalb gut mit dem karibischen Inselstaat. Nie wird es kälter als 22 Grad. „Wir haben vier Jahreszeiten“, sagt Marco Polo. „Frühsommer, Hochsommer, Spätsommer und noch mehr Sommer.“

1973 wurde der Staat unabhängig, doch die Verehrung für Königin Victoria besteht weiter

Als Erstes fahren wir in Nassau entlang der wichtigsten Regierungsgebäude. Sie erkennt jeder, der nicht farbenblind ist, da sie alle in Rosa gestrichen sind. Rosa scheint die Landes-Lieblingsfarbe zu sein, auch die Türme des gigantischen Atlantis-Hotels tragen sie. Direkt neben dem Parlament liegt das Gericht, das durch den Anna-Nicole-Smith-Fall traurige Berühmtheit erlangte. Eine weitere bekannte Frau steht als Statue auf dem Rawson Square: Königin Victoria. Die Bahamas waren britische Kronkolonie; Nassau erhielt seinen Namen nach dem Stammhaus des englischen Königs William von Oranien-Nassau. 1973 wurde der Staat unabhängig, doch die Verehrung für Königin Victoria besteht weiter. Sie war es nämlich, die die Sklaverei vor Ort abschaffte. Als Dank errichteten die ehemaligen Sklaven ihr eine Treppe mit 65 Stufen für all ihre Regierungsjahre. Es waren genau genommen zwar nur 64 Jahre, aber wer will bei einem Geschenk schon zum Erbsenzähler werden? Die „Queens Staircase“ liegen beim Fort Fincastle, das wir uns als Nächstes anschauen. Eigentlich ein schauriger Ort. Nicht die Festung an sich, sondern die Schlucht, die sich Erbauer Lord Dunmore als Fluchtweg in den Fels hatte schlagen lassen. 600 Sklaven schufteten dafür 16 Jahre lang, viele starben, die Schlucht wurde zum Massengrab. Komischerweise herrscht heute in dem Canyon eine fast friedliche Stimmung. „Wir glauben, dass Gott diesen Ort gesegnet hat. Daher fühlt man die Grausamkeiten der Vergangenheit nicht mehr“, sagt Marco Polo.

In „The Bottoms“ leben die Leute teilweise ohne Strom und fließendes Wasser

Weiter geht’s durch verschiedene Stadtteile. In „The Bottoms“ leben die Leute teilweise ohne Strom und fließendes Wasser. Man trifft sich an den Pumpen, um Wasser zum Kochen oder zum Duschen zu holen. Hier präsentieren die Bahamas nicht das Bild einer pastellfarbenen Welt der Reichen und Schönen, sondern man sieht diejenigen, die für einen höheren Mindestlohn kämpfen. Zurzeit beträgt er fünf Dollar die Stunde. Dabei sind die Lebenshaltungskosten auf den Bahamas extrem hoch. Alles muss importiert werden, die Energiekosten sind immens, an den Tankstellen werden die Preise nicht mal mehr angeschrieben, damit sich niemand erschreckt. Bei McDonald’s gibt es, anders als in den USA, keine Ein-Dollar-Menüs. Als ich zwischendurch schnell einen Apfel kaufen will, verlangt die Verkäuferin 3,50 Dollar. Sie grinst nicht, sie meint es ernst. Ein Apfel. Ob es sich vielleicht um den Apfel handelt, den Eva Adam untergejubelt hat? Das würde seinen Preis erklären.

In Cable Beach thronen zwischen Mango- und Bananenbäumen hübsche Villen

Obst und junges Gemüse satt gibt es im nächsten Stadtteil Cable Beach, wo immer je eine hübsche Villa zwischen 1000 Mango-, Bananen- und Kokosnussbäumen thront. Manchmal sieht man junge, hübsche Frauen einem Gärtner Anweisungen erteilen. Baumwolle schwebt durch die Luft, es scheint, als würden riesige Schneeflocken auf karibische Blüten fallen. Am Strand (ganz leer, wo sind denn alle?) lassen chinesische Investoren gerade auf 400 Hektar ein neues Mega-Resort errichten. Ende des Jahres soll das Hotel Baha Mar fertig sein. Baha Mar hießen die Bahamas übrigens früher, flaches Wasser. Dank der flachen Gewässer waren die Inseln um 1700 jahrzehntelang das beliebteste Zuhause der Piraten. Mit falschen Feuern lockten sie Handelsschiffe in die Nähe des Strandes. Die Schiffe liefen auf Grund und wurden so leichte Beute.

Erst mussten die Piraten vertrieben werden, damit der Handel wieder hergestellt werden konnte

Doch 1718 war das Rauben und Saufen vorbei, als König George I. Woodes Rogers zum britischen Gouverneur ernannte. Ein kluger Schachzug der Engländer, denn Woodes Rogers war früher selbst Pirat gewesen, und er machte kurzen Prozess mit seinen ehemaligen Kollegen, die laut „Verräter!“ riefen, bevor sie aufgehängt wurden. 1729 hatte Rogers seine Mission erfolgreich ausgeführt und rief das erste National-Motto aus: „Expulsis Piratis, Restitua Comercia!“ („Piraten vertrieben, Handel wiederhergestellt!“) Rogers’ Statue steht heute vor dem British Colonial Hilton Hotel. Auf dem Weg dahin halten wir am Fort Charlotte, dessen vier auf den Hafen gerichteten Kanonen nie zum Einsatz kamen, sowie in Arawak Cay. Die Ansammlung von 20 bunt gestrichenen Holzbuden am Meer wird auch Fish Fry genannt, denn darum geht es hier, ums Fischbraten und -essen. Immer frisch, immer lecker, sehr beliebt bei Einheimischen und Touristen. Fast jedes Restaurant ist voll, in manchen spielen Live-Bands, jetzt erklärt sich auch, warum es am Strand so leer war. Die Spezialität heißt Conch. Das Fleisch der Meeresmuschel im rosafarbenen Gehäuse (da ist sie wieder, die Bahamas-Lieblingsfarbe) wird in allen erdenklichen Varianten zubereitet und gilt als Viagra-Ersatz. „Conch macht aus jedem Mann einen Rambo!“, weiß Marco Polo. Den besten Conch-Salat und das beste Bahamian-Chicken soll es im Restaurant Twin Brothers geben.

Die Bridge Suite im Royal Tower gilt als teuerstes Hotelzimmer der Welt

Zum Probieren bleibt keine Zeit, jetzt geht es über die Brücke hinüber nach Paradise Island. Den werbewirksamen Titel trug die vorgelagerte Insel nicht immer. Früher, als hier nur Müll lag, hieß sie Hog Island, doch dann wurde aufgeräumt und das versunkene Atlantis errichtet. Der 1998 eröffnete Komplex stellt eine Mischung aus Hotel und Freizeitpark dar – mit Aquarium, Wasserfällen, Maya-Tempel, Luxusboutiquen, Clubs, Kino, 21 Restaurants und dem größten Kasino der Karibik. Die Bridge Suite im Royal Tower gilt als teuerstes Hotelzimmer der Welt. Wer hier nächtigen möchte, zahlt 25.000 Dollar pro Nacht bei einem Mindestaufenthalt von fünf Tagen. Einer, der sich sehr häufig in diese Kunstwelt einbuchte, war Michael Jackson. Er gab hier Konzerte genauso wie Gloria Estefan, Justin Bieber, Katy Perry und Paul Potts. Was auf den ersten Blick wie ein Ort des reinen Hedonismus klingt, wird im Gespräch mit den Angestellten revidiert. Das Atlantis reduzierte die Arbeitslosigkeit auf den Bahamas mit einem Schlag um 60 Prozent, es ist der wichtigste Arbeitgeber und ein Motor des Tourismus, des immerhin größten Wirtschaftsfaktors der Inseln. Sechs Millionen Touristen kommen jedes Jahr, die meisten von ihnen wie ich mit dem Kreuzfahrtschiff. Hoffentlich sind die anderen nicht genauso in Eile. Sie könnten sich die Villen der Prominenten auf Paradise Island anschauen, zum weltweit drittgrößten Riff „Cat Island“ tauchen, einen kulinarischen Rundgang mit Tru Bahamian Food Tours unternehmen, die schwimmenden Schweine auf Exuma Island besuchen oder wie Daniel Craig in „Casino Royale“ den Fluten am Cabbage Beach entsteigen.

Bahamas benötigt kein Bildbearbeitungsprogramm. Ihre Schönheit ist Realität

Gleich sechsmal besuchte Agent 007 die Bahamas in geheimer Mission. Als Erstes drehte Sean Connery „Thunderball“ (1965), Roger Moore kam für „Der Spion, der mich liebte“ (1977), es folgte wieder Sean Connery in „Sag niemals nie“ (1983), dann Timothy Dalton mit der „Lizenz zum Töten“ (1989) und schließlich Daniel Craig. Sein Landeanflug im Wasserflugzeug mit dem Atlantis im Hintergrund wirkte im Film wie am Computer erstellt. Jetzt, da ich die Szenerie selbst gesehen habe, weiß ich, dass die Bahamas kein Bildbearbeitungsprogramm benötigen. Ihre Schönheit ist Realität. Wer einmal schlafen und verführen möchte wie James Bond, sollte sich eine Nacht im One & Only Ocean Club leisten, wo verschiedene Szenen von „Casino Royale“ gedreht wurden. „Die Filme waren die beste PR der Welt für die Bahamas“, sagt Marco Polo zum Abschied.

Es war einfach die Filmcrew von James Bond auf die Bahamas zu bekommen

Er setzt mich am Tourismusbüro ab, wo ich mit Craig Woods verabredet bin. Er ist für die Filmproduktionen auf den Bahamas zuständig. 190 sind es pro Jahr, jeden zweiten Tag wird also irgendetwas Neues gedreht. Warum hier? „Wir bieten das, was man den Hot Look nennt. Nirgends gibt es mehr unberührte Strände und unmatched Shorelines“, sagt Craig. Auch „Der weiße Hai“ wurde hier gedreht, aber keine Angst, ist nur ein Film. In Wirklichkeit sollen alle Haie der Bahamas Vegetarier sein. Sagen die Bahamians. Craig Woods erzählt, wie einfach es war, die Bond-Crew hierherzubekommen. So ziehen die Inseln zu jeder Zeit Bösewichter wie Magneten an. Heute die fiktiven, früher die Freibeuter.

Im Piratenmuseum ist eine Replik des berühmtesten Schiffes „Revenge“ in Originalgröße zu bewundern

Im Piratenmuseum an der George Street in Nassau wird ihre Geschichte interaktiv dargestellt. Schon am Eingang versucht ein einäugiger Pirat, einen Touristen zu köpfen, und so geht es auch drinnen mit vielen nachgestellten Szenen aus dem Leben der Freibeuter weiter. Herzstück der Ausstellung ist eine Replik des berühmtesten Schiffes aus dem 18. Jahrhundert, der „Revenge“, in Originalgröße. Beim Rundgang verliere ich ein paar Klischees. Zum Beispiel vergruben die Piraten so gut wie nie Schätze, weil sie ihre Beute meistens sofort vertranken und verspielten. Ihre Opfer ließen sie auch nicht über die Planke ins Meer laufen, und für alles und jeden hatten die, die sich außerhalb des Rechts sahen, fast spießige Regeln. Papageien trugen die Piraten allerdings tatsächlich sehr gerne auf ihren Schultern umher.

„Wir servieren keine Energiedrinks. Du bist auf die Bahamas gekommen, um zu relaxen“

Auf dem Weg zurück zum Schiff könnte ich noch schnell ein paar Dollar auf dem Strawmarket oder der Bay Street ausgeben. Neben den üblichen Souvenir- und Überflüssiges-Läden liegt ein Shop, der wirklich sinnvoll erscheint in der Karibik: Cariloha. Die T-Shirts sind aus Bambus, fühlen sich so weich an wie eine Hülle aus Creme und sollen die Haut kühlen. „Drei Grad kälter als in Baumwoll-Shirts!“, verspricht die Verkäuferin. Cool. Beim Bezahlen frage ich nach der Uhrzeit. Noch 20 Minuten. Das reicht, um mir etwas zum Trinken zu kaufen. Am Kiosk entdecke ich ein Schild: „Wir servieren keine Energiedrinks. Du bist auf die Bahamas gekommen, um zu relaxen.“ In meinem Kopf macht es „tick, tack, tick, tack“. Nicht jeder Wunsch geht auf den Inseln in Erfüllung. Vielleicht beim nächsten Besuch, in einer anderen Zeit.