Kleine Fluchten In Sankt Peter-Ording hält das vor wenigen Wochen eröffnete Strandresort Zweite Heimat, was sein Name verspricht

Die Deichgrafen von heute sind keine Einzelgänger wie in Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“. Die Deichgrafen von heute sind Freunde. Hauke Kock, Sven Olaf Kohrs und Maximilian Raab kennen sich schon lange, sie haben in Hamburg zusammen Wirtschaftsingenieurwesen studiert, und dann stehen sie im Sommer 2011 auf dem Deich von Sankt Peter-Ording und blicken von oben auf ein Grundstück, das vom Bauamt als „Sahnestück“ bezeichnet wird. Hier solle es entstehen, sagt der eine. Der Zweite fragt: „Was?“ Und der Dritte sagt: „Eine kleine Flucht.“ „Da habe ich erst verstanden, warum ich wirklich an die Nordsee kommen sollte“, erzählt Hauke Kock, der Zweite im Bunde, der in Hamburg das Hotel Alsterblick am Schwanenwik betreibt. „Mir hatten sie gesagt, wir würden Geburtstag feiern.“ Aber in Wirklichkeit ging es um die Geburt eines Hotels. Zu dritt planten sie einen Ort, an dem man sich so wohlfühlen soll wie in den eigenen vier Wänden – nur eben mit Meerblick. Seit Ostern ist diese 6,5 Millionen Euro teure Investition nun eröffnet; aus dem Arbeitstitel „Kleine Flucht“ wurde „Zweite Heimat“, und auch wenn es während der Bauphase weitere Änderungen und Komplikationen durch Wind und Wetter gab, eines blieb bestehen: „Trotz des Stresses sind wir noch befreundet“, sagt Kock, der nun mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zwischen Hamburg und Sankt Peter-Ording pendelt.

Von außen sieht das Strandresort aus wie ein schickes Hotel in den Hamptons, ähnlich dem nahe gelegenen Beach Motel, das seit seiner Eröffnung vor gut einem Jahr regelmäßig ausgebucht ist und bewiesen hat, dass Nordsee-Urlauber ihre Zeit nicht länger in verstaubten Apartments mit 70er-Jahre-Fliesen im Bad verbringen wollen. Die Unterschiede zu einem normalen Hotel fallen dem Besucher der Zweiten Heimat vor allem drinnen auf: Es gibt keine Zimmer, sondern 28 große und 17 kleine Stuben. Keine Scheckkarten, sondern handfeste Schlüssel, und anstatt Mini-Bar ist auf dem Flur eine richtige Hausbar mit eigener Bier-Zapfanlage rund um die Uhr geöffnet. Das Bar-Konzept ist ein Highlight des Hauses. Unbekannte Reisende stehen plötzlich nebeneinander und helfen sich bei der Bedienung der Kaffeemaschine, um dann – ein paar Begegnungen später – in „ihrer“ Küche gemeinsam ein Bier zu trinken. Was man konsumiert hat, kreuzt man einfach auf einem Bierdeckel an (ein Jever kostet 1,80 Euro, eine Flasche Weißwein acht Euro), wirft diesen in einen Kasten mit der Aufschrift „Ehrlichkeit hält die Preise klein“ und zahlt bei der Abreise. Gute Ideen entstehen durch gute Freundschaften.

Ebenso kreativ und kommunikativ ist der Ansatz von Kock, Kohrs und Raab, die Geschichte und Traditionen der Region Eiderstedt zum Thema der Innengestaltung zu erheben. Klingt bemüht, sieht aber super aus! Alte Fotos wurden extrem vergrößert als Tapeten an die Wände gebracht. „Monatelang haben wir im Archiv von Sankt Peter gewühlt und uns selbst gewundert, was für Schätze da zutage traten“, sagt Kock. So sieht man die ersten Bustouristen aus den 20er-Jahren, Männer beim Befestigen („Besticken“) der Deiche mit Reet oder die Ordinger Giftbude, die 1911 eröffnet wurde und so hieß, weil es in dem Laden „wat gift“. Am Eingang hängt außerdem eine Tapete mit einer Turnstunde am Strand aus den 70er-Jahren. Diese Aufnahme führte bereits zu einer rührenden Szene, als ein Ehepaar plötzlich wie paralysiert davorstand und sich wiedererkannte: „Das sind ja wir vor 40 Jahren!“ So gelingt dem neuen Hotel ein Bezug zu den alten Geschichten und zu den Einheimischen, besonders zu den sieben Familien, die als Namenspatrone für die Zimmer ausgewählt wurden. Der Gast bekommt also keine Nummer. Er übernachtet zum Beispiel bei Wattführer Georg Werner Jensen, beim Tourismus-Pionier Peter Fedders oder bei Paul Kühl. Der 1872 geborene Fischer übte einen tollen Nebenerwerb aus: Er trug betuchte Touristinnen zur Sandbank, damit ihre Stiefel trocken blieben. „Bei wem schläfst du denn?“ ist so eine Frage, die sich Gäste in anderen Hotels wohl eher selten stellen. Lustige Döntjes finden sich auch im Restaurant, Esszimmer genannt, oder auf dem Weg zum Spa. Wer wusste etwa, dass es in den 30er-Jahren nur einen befestigten Weg von Garding nach Ording gab, den die Postkutschenpferde schon so gut kannten, dass sie teilweise auf den Kutscher verzichten konnten? Er wurde häufig in den Kneipen der beiden Orte gesehen, während seine Kutsche fahrplanmäßig unbemannt unterwegs war.

Neben dem eingebauten Geschichtsunterricht punkten die Unterkünfte mit einer hochwertigen Innenausstattung der niederländischen Einrichtungsmarke Rivièra Maison. „Unsere Gäste sollen sich auch bei schlechtem Wetter wohlfühlen, daher haben wir viel in die Auswahl der Möbel investiert und die Zimmer relativ groß gehalten. So bekommt man bei Dauerregen keinen Koller,“ sagt Daniela Kock. Manche Zimmer haben sogar eine Glassauna, einen Kamin oder eine Badewanne mit Blick aufs Meer und auf den Deich. Auf den Ort, wo einst drei Freunde standen.