Usbekistan glänzt mit Perlen wie Buchara und Samarkand. Doch ansonsten ist das Land ein unbekannter Exot. Eine Gebrauchsanweisung

Ein bronzener Mann sitzt vor dem Westtor von Chiwa. In einem langen Gewand, mit Turban, spitzem Bart und einem Dokument in der Hand sinniert er über Gott und die Welt.

Das tat er leibhaftig im 9. Jahrhundert, doch die Folgen seiner Geistesblitze sind für die Menschheit bedeutsam bis heute. Der Mathematiker, Astronom und Geograf Muhamad Ibn al-Charizmi nämlich ist nichts weniger als der „Vater“ der Algebra und des Algorithmus. Außerdem brachte er die indischen Ziffern inklusive der Null in seinen Kulturkreis ein, von wo aus die dann arabisch genannten Ziffern ihren Siegeszug durch ganz Europa und in die Welt antraten. Ein wahres Genie also.

Der junge Mann, der uns all dies – wie vieles andere – haarklein auseinanderklamüsert und für die gesamte Reise unser umsichtiges Mädchen für (fast) alles ist, heißt Jurabek und hat nach sechs Monaten Goethe-Institut und nur einem Jahr intensiver Stadtführer- und Reiseleitertätigkeit so unglaublich viel Deutsch akkumuliert, dass es sogar schon für bitterböse Schwiegermutterwitze reicht. Durchaus passend zur traurigen Geschichte, dass er die Frau, die er als Student in Taschkent liebte, nicht heiraten durfte, weil ihre Mutter strikt dagegen war.

Traditionen und Neuzeit – in diesem Spannungsfeld bewegt sich Usbekistan, und auch Jurabek steckt fest in diesem Spagat. Einerseits zum Beispiel irrwischt er wie ein Kobold über die Tastatur seines Laptops und kennt sich bestens aus im Universum des Internets. Andererseits lebt er in einem Dorf in der Nähe von Chiwa mit Frau und Tochter bei seinen Eltern,die er per ungeschriebenem Gesetz zu versorgen hat, bis sein jüngerer Bruder heiratet und diese Pflicht auf ihn übergeht.

Zum Rauchen aber muss er sich heimlich in die Apfelplantage hinterm Haus verdrücken, „sonst ich kriege Maulschellen von Vater und bösen Blick von die Mama“. Ein gestandener Mann von Ende 20 – unvorstellbar für Westeuropäer!

Unglaublich auch, wie akrobatisch Jurabeks Daumen und Zeigefinger durch die dicken Geldbündel wirbeln, die hier jedermann bei sich trägt. Für 100 Euro nämlich bekommt man 300 Scheine à 1000 Sum, so viel Papier muss man erst mal bändigen und korrekt abzählen lernen. „Ihr müsstet mal sein dabei, wenn hier gekauft wird Auto“, sagt Jurabek und lacht schallend, „dann die Leute rücken an mit Reisetaschen und Rucksäcken und Handwagen sogar. Alles voll mit bares Geld.“

Orientalisch und bildschön – das sind die touristischen Pfunde, mit denen Usbekistan wuchert und wofür das Land an der Seidenstraße auch einigen Aufwand betreibt. Jurabek zeigt uns alte Fotos von Bauwerken, die unter dem Gewicht der Jahrhunderte unrettbar zu zerbröseln drohten. Bereits zu Sowjetzeiten begannen deshalb die besten Restauratoren des Landes mit der Konservierung der zahlreichen Prachtstücke in Chiwa, Buchara und Samarkand, und seit der Unabhängigkeit 1991 investiert auch der neue Staat erhebliche Summen in sein weltbekanntes exotisches Füllhorn: Moscheen, Minarette, Paläste, Nekropolen und Medressen – solche Lehranstalten für Theologie, Koranstudien, Jura und Logik gab es einst zu Dutzenden in jeder Stadt. Einige dieser islamisch-geistlichen Schulen sind immer noch in Betrieb, die weitaus meisten dienen heute Souvenirhändlern als schattige Refugien – und sind übrigens auch ein stimmungsvoller Rahmen für das eine oder andere Abendmahl. Wenn dazu dann wie am prächtigen Islam-Hodscha-Minarett in Chiwa sowas Himmlisches serviert wird wie Dillnudeln, kann der Tag schöner nicht ausklingen.

Apropos Essen: Die Restaurants, in die uns Jurabek führt, sind samt und sonders auf Touristen fixiert und demzufolge unbedenklich für westliche Bäuche. Oft steht Plow auf der Speisekarte, das Nationalgericht aus Reis, Möhren, Zwiebeln, Lamm- oder Rindfleisch, Koriander und Kümmel, das es in zahlreichen regionalen Variationen gibt. Schmeckt durchaus gut, schlägt nicht auf den Magen, auf Dauer aber aufs Gemüt. So wie die häufig extrem zackige Bedienung: Suppe, Hauptgang, Nachtisch – das alles kommt und geht rucki, zucki. Trotz häufig durchaus atmosphärischer Kulissen nichts für Romantiker also.

Was man in Usbekistan auch unbedingt braucht, ist eine anständige Portion Stehvermögen. Für all die ausgiebigen Spaziergänge unter brutzelnder Sonne durch Chiwa, Buchara, Samarkand und Taschkent. Für all die Besichtigungen der imposanten Grab-, Kultur- und Kultstätten aus längst vergangenen Dynastien. Und für all die Fakten, Zahlen und Geschichten – allein Timur füllt ganze Tage: jener grausame Eroberer, der sich als Erbe Dschingis Khans verstand, mit Feuer und Schwert ein islamisches Großreich in Zentralasien schmiedete und als eine Art Nationalheld des neuen Usbekistans unübersehbar inszeniert wird.

Bei allem Glanz und aller Pracht – am schönsten sind eigentlich die ungeplanten Erlebnisse und spontanen Begegnungen mit den Menschen. Wenn zum Beispiel der schnelle Reingucker beim alten Silberschmied in Buchara bei Tee und Keksen ausufert zum interessanten Halbstundenpalaver über Gott und die usbekische Welt. Wenn der Musiklehrer, der sein mickriges Gehalt als Instrumentenverkäufer aufbessert, seine alten Saiten-Schätzchen hervorkramt und ein virtuoses Privat-Ständchen gibt. Oder wenn die charmante Germanistik-Studentin in Samarkand die Gelegenheit beim Schopfe ergreift und das deutsche Paar bittet, ihm Löcher in den Bauch fragen zu dürfen, um die Sprache zu üben…

Wer also Augen und Ohren offen hält, wird ziemlich sicher belohnt mit Eindrücken und Geschichten, die kein Reiseführer vermitteln kann. Freund Jurabek zum Beispiel zeigt uns zu guter Letzt voller Stolz sein zweistündiges Hochzeitsvideo und bedauert von ganzem Herzen, „dass ihr nicht habt mitgefeiert in Kreis von die 300 Leute von die Familie und das Dorf“. Und das haben wir dem jungen Mann wirklich aufs Wort geglaubt.