Keiner zeigt Liverpool so cool wie Phil Hughes: mit knochentrockenem Humor, überraschenden Geschichten über die Fabelhaften Vier sowie als wandelnde Wikipedia

„Scouser“ nennen sich die Liverpooler – nach einem Eintopf aus Lamm, Kartoffeln und Möhren. „Scouse“ heißt auch ihr Dialekt, so abgehackt und verwaschen, als sprächen sie mit vollem Eintopf-Mund. Daher braucht es schon ein, zwei Tage Hörprobe, um den derb-schwarzen Scouser-Humor der Marke „ruppige Hafenspelunke“ zu kapieren. Es sei denn, man lässt sich von Phil Hughes durch die britische Hafenstadt kutschieren: „Komm, wir mussen quick in the Liverpool Cathedral“, sagt er in fast fehlerfreiem Deutsch. Weil sie die größte evangelische der Welt ist? Oder weil drinnen Beatles-T-Shirts verkauft werden? Nein, das mit den T-Shirts sei mehr so Notwehr, sagt Phil trocken: „Wir haben ja keine Kirchensteuer…“ Er zeigt den weinroten Prunkbau, weil Paul McCartney hier in den 50er-Jahren beim Vorsingen für den Kirchenchor scheiterte. 1991 dann Pauls kleine Revanche: die Uraufführung des „Liverpool Oratorio“, seines ersten klassischen und halb autobiografischen Werks in ebendieser Kathedrale. „Der Kantor, der den Noch-nicht-Beatle einst als Chorknaben ablehnte, hat sich während des Oratoriums im Turm verkrochen“, sagt Phil.

Beim Verlassen der Kirche deutet er auf die gewöhnungsbedürftige, an einen Bodybuilder erinnernde Jesus-Figur überm Portal: „Darf ich vorstellen – Frinkenstein“, sagt er – die Verballhornung zulasten der Schöpferin Elisabeth Frink. Eine der drei Grazien, Liverpools Vorzeigegebäude am River Mersey, nennt Phil KGB-Bunker, das Finanzamt VATican – ein Wortspiel mit der Kurzform der britischen Mehrwertsteuer Value Added Tax. Am Denkmal zweier Bischöfe an der Hope Street stellt Mr. Hughes die beiden als „Fish and Chips“ vor – „so nennen wir sie, weil sie ebenso oft in der Zeitung waren wie der Imbiss-Klassiker“, der ja traditionell in Altpapier eingewickelt wird. Diese Pointen setzt der 52-jährige Tourguide mit weitgehend regungsloser Miene. Keine Posen, kein Feixen, keine „Achtung, jetzt haue ich den nächsten Brüller raus“-Rampen. Vielleicht spitzen seine Gäste gerade deswegen stets die Ohren, wollen keinen Witz, keine Story verpassen.

Schon gar nicht, wenn es um die Beatles geht. Ihretwegen kommen die meisten nach Liverpool, über sie weiß Phil alles. „Die erste Bühne der Beatles in Liverpool?“ „Cavern Club“, antwortet ein deutscher Fab-Four-Fan vorlaut und muss prompt sein Beatles-Wissen korrigieren. „Ja, im Cavern sind sie zwar 292-mal aufgetreten“, aber ihre Premiere hatten sie woanders“, erklärt Phil und erzählt die Cavern-Story im Zeitraffer: Das Ex-Lagergewölbe für Obst und Gemüse war so feucht, dass die Gitarren laufend Rückkopplungen hatten. In den 70ern wurde der Club abgerissen – zugunsten eines Abluftschachts für eine U-Bahn-Linie. Der wurde dann doch nicht gebraucht, und so entstand der Cavern Club wieder neu, ist heute aber eher der „Cover-Club“, meint Phil, weil hier täglich Cover-Bands das Werk der Beatles nun ja – entfernt erkennbar wiedergäben.

Und der erste Auftrittsort? Phil zeigt dort echte Originale: Im Casbah Coffee Club leuchtet eine von Paul McCartney handgepinselte Kellerdecke in Regenbogenfarben. Johns eingeritzter Namen findet sich im Holz. Beide waren von Mona Best, der resoluten Mutter des damaligen Beatles-Trommlers Pete Best, zur Renovierung verpflichtet worden. Zuvor hatte sie angeblich ihren Schmuck verkauft, den Erlös beim Pferderennen auf den krassesten Außenseiter gesetzt und vom Gewinn ein Haus im Stadtteil West Derby gekauft, wo sie im Keller einen Rock-’n’-Roll-Club einrichtete. Zur Eröffnung am 29. August 1959 kamen 800 Leute. Die Beatles spielten – damals noch als „Quarrymen“. „Wer im Casbah zum Klo musste, wurde über die Menschenmenge hinweg unter der Decke zum Ausgang durchgereicht – eine frühe Zeitlupen-Variante des Crowd-Surfens“, sagt Phil. Er erzählt diese Story, als sei er selbst dabei gewesen. Doch dafür ist er erstens zu jung und diente zweitens jahrelang als Soldat in Dortmund; BVB-Fan ist er immer noch – in zweiter Reihe, denn vor allem fiebert er mit Liverpools Nummer zwei, dem FC Everton.

Und heute – tauchen die lebenden Beatles manchmal in ihrer Geburtsstadt auf?“ „Ja, meist zweimal im Jahr kommt Paul McCartney nach Liverpool“, antwortet Phil, während er das von dem Ex-Beatle in dessen Ex-Schule gegründete Liverpool Institute of Performing Arts zeigt. Hier spielt Paul im Sommer Schuldirektor und verteilt Zeugnisse. Zu Silvester sei McCartney häufig inkognito in der Stadt und schaue gelegentlich bei seinem Elternhaus vorbei. Einmal, erinnert sich Phil, habe er um die Ecke am Straßenrand in einem unauffälligen Auto gesessen, als eine Göre an die Scheibe klopfte: „Hey, Mister, für fünf Pfund zeige ich dir das Haus von Paul, diesem Beatle…“