Saurierspuren, Fossilien unterm Hammer und geknautschter Urzeit-Strand – Geologe Timo Kluttig präsentiert die Höhenzüge rund um Osnabrück als lehrreichen Abenteuerspielplatz

Wir kraxeln durch bewaldete, graue Felsknubbel, 40 Meter hoch, zerfurcht und verklumpt – die Dörenther Klippen, Folgeschaden eines Urzeit-Auffahrunfalls, wie wir lernen: „Afrika rammte Europa vor etwa 40 Millionen Jahren, türmte im Süden die Alpen und hier Strände zur Knautschzone auf“, sagt Timo Kluttig. Nanu, Strände bei Osnabrück? „Ja, lange bevor es Menschen gab, war dies Küste, ihr Sand wurde zu Sandstein gepresst – da, unter der grauen Felskruste rieselt er noch hervor!“ Wir staunen, und Geologe Kluttig freut’s, weil er die erstarrte Erdgeschichte des Teutoburger Waldes kurz in Bewegung bringt – fast wie im Daumenkino. Der erste Aha-Moment auf den Terra Trails – Entdecker-Radtouren, meist entlang versteinerter geologischer Phänomene. Kluttig hat sie mit Kollegen recherchiert, gestaltet und beschildert – für ihn ein Herzensprojekt.

Trail Nr. 5 führt auf den 188 Meter hohen Piesberg, die höchste Erhebung bei Osnabrück. Vor dieser „Bergetappe“ müssen wir im Piesberger Gesellschaftshaus, einer ehemaligen Bergwerkskneipe, noch Rucksäcke abholen. Der Inhalt? „Später“, raunt Timo Kluttig geheimnisvoll, kündigt uns als Belohnung fürs Aufwärtsstrampeln zunächst das „offene Buch der Erdgeschichte“ an. Und verspricht nicht zu viel: Die Aussichtsplattform bietet den Blick in einen Mondkrater von Steinbruch mit gut 100 Meter tiefer Abbruchkante in Baumkuchen-Optik: Sandfarbene, schwarze, braune Schichten übereinander. „Ablagerungen aus 300 Millionen Jahren“, erklärt der Geologe und zoomt uns mit anschaulichem Kurzvortrag durch XXL-Epochen voller Überflutungen, drin versunkener, zu Kohle gepresster Wälder, drüber gerutschter Gletscher und Eiszeiten.

Dann kommt der Hammer – und zwar zum Einsatz. Das Schlagwerkzeug, Handschuhe und Schutzbrille stecken in den Rucksäcken. Sachte hauen wir auf herumliegende Schieferton-Stücke. Schichtweise platzen sie auf, zeigen eingeschlossene Libellenflügel und Farnblätter. Fossilien „to go“ – man darf sie mitnehmen. Also ab ins Auto mit den Steinen. Wir wollen noch ein, zwei andere Terratrails ausprobieren und müssen diese erst ansteuern. Unterwegs, im Vorbeifahr-Panorama, erscheint der Teuto als liebliches Hügelketten-Ensemble mit Fachwerkdörfern in Wald-und-Wiesen-Patchwork – von Erdgeschichte keine Spur. Oder? „Doch, reichlich“, sagt Timo Kluttig und hält sofort an – mitten im Örtchen Rulle, um uns am Wegesrand die Augen zu öffnen.

„Wer sieht den Unterschied zwischen diesem Acker und dem dort unten, 200 Meter weiter?“ Nun, der erste ist sandfarben, der zweite rotbraun. „Genau“, sagt der Geologe, „denn Nummer eins hat viel Kalkstein drin, Nummer zwei hingegen Tonerde. Hier hat sich vor Urzeiten Schlamm abgelagert, der ist dann in einer Epoche mit Tropenklima heiß geworden, sodass das enthaltene Eisen mit dem Sauerstoff der Luft oxidierte – auf Deutsch: Es verrostete. Daher diese Farbe und der Straßenname: Am roten Hügel.“ Den Kalkstein von Acker Nummer eins wiederum zeigt Kluttig um die Ecke in einem Mini-Steinbruch. „Hier konnte man ihn in Blöcken herausholen, gerade so, wie die Leute ihn zum Bauen brauchten. Deshalb stehen bis heute hier viele Wohnhäuser, Ställe und Scheunen aus Kalkstein.“

Weiter geht’s ins nördlich von Osnabrück gelegene Wiehengebirge, über das Spötter schon mal sagen, es heiße so, weil’s nur aussähe „wie’n Gebirge“, witzelt Kluttig. Plötzlich lugt ein täuschend echter Dino aus Baumwipfeln bei Barkhausen – als Wegweiser zu Saurierspuren: Auf mindestens Schuhgröße 67 schätzen wir die Abdrücke im steil aufragenden Fels. Konnten die Echsen Wände hochlaufen? „Wohl nicht“, sagt Timo Kluttig lachend, „genau hier im Wiehengebirge bekam die Erdkruste eine Falte, ihre Schichten wurden bei der Kontinente-Kollision hochgeklappt.“ Der Geologe zeigt, dass wir bei den Saurierspuren genau in dieser Falte stehen. Zu beiden Seiten driftet das Gestein weg, liegt schräg in der Landschaft, als habe ein Riese irgendwo darunter seinen Dosenöffner angesetzt.

Nicht nur hier, während der ganzen Tour verströmt Timo Kluttig ein vitales Erdgeschichts-Feeling getreu dem einstigen Slogan eines TV-Sportkanals: „Mittendrin statt nur dabei“. So einer früher als Lehrer – dann wären Bronze- und Eisenzeit nicht so bleiern langweilig gewesen. Am Ende des Teuto- Tages sind sie sogar noch zum Anbeißen – in Bad LaersCafé Dodt: Timo Kluttig lässt „Piepstein“ verkosten. Diese krokantige Sahne-Praline ähnelt dem gleichnamigen porösen, aber harten Stein der Kirche nebenan. Er entstand vor 10.000 Jahren: Mineralien umschlossen Pflanzenreste. Deren Stängel im Stein sehen aus wie Pfeifen – auf Plattdeutsch „Piep“.