Die Kaltbadehäuser an der südschwedischen Küste haben Tradition. Schon die Wikinger liebten die Kombination aus Saunieren und Baden. Jetzt erlebt diese besondere Kultur eine kleine Revolution.

Die Luft ist exakt genauso kühl wie das Wasser. Nur 13 Grad Celsius zeigt das Schild am Eingang an. Doch Eva Moure fackelt nicht lange. Sie legt ihr buntes Handtuch beiseite, steigt furchtlos über die Leiter in die frischen Fluten und klettert nach ein paar Schwimmzügen wieder hinaus. „Das ist anregend und erfrischend“, sagt die zierliche Schwedin sichtlich erfreut, während die Farbe ihrer Lippen doch langsam von rot auf bläulich umschlägt. „Mit den neuen Liegestühlen werde ich im Sommer wahrscheinlich fast das Gefühl haben, dass ich im Urlaub im Süden bin.“ Im Moment erfordert dieser Gedanke allerdings reichlich Fantasie. Denn statt zwischen Palmen an einem Mittelmeerstrand steht sie auf der Terrasse eines sogenannten Kallbadhus im südschwedischen Helsingborg, wo der weite Panoramablick über die Öresund-Meerenge bis nach Dänemark und zum Hamlet-Schloss Kronborg reicht. Erst vor fünf Jahren wurde es ganz neu in einem reduziert modernen Stil mit Glas und Holz wieder aufgebaut. Die Kaltbadehäuser, die in einigen Orten entlang der Küste in der Region Skåne zu finden sind, haben aber Tradition.

So unterschiedlich das Design dabei auch ist: Es gibt immer mindestens eine Sauna, einen direkten Zugang zum Meer und Räume zum Ausruhen. Meist sind die Holzkonstruktionen auf Stelzen ins Wasser gebaut und über einen langen Steg erreichbar. Für viele Einheimische ist das Kaltbadehaus zudem ein Treffpunkt – allerdings einer, der in der Regel in Bereiche für Männlein und Weiblein getrennt ist.

Nach Erkenntnissen des Historikers Anders Reisnert gab es die belebende Kombination aus Saunieren und anschließendem Bad bereits bei den Wikingern. Im frühen Mittelalter hatten viele schwedische Städte ein Badehaus, die allerdings aufgrund einer Syphilis-Epidemie Anfang des 17. Jahrhunderts geschlossen wurden. Eine Renaissance erlebten die Häuser und die Badekultur dann im frühen 19. Jahrhundert.

In Malmö hat das Kallbadhus Ribersborg von 1867 als Einziges drei weitere Badehäuser überlebt und ist heute nicht nur das älteste in der Stadt, sondern sieht mit dem Steg und dem flachen Holzbau in pastelligem Grün und Gelb auch immer noch aus wie damals. Außerdem trennen sich an der Kasse hinter dem Restaurant nach wie vor die Wege von Männern und Frauen. Kontakt zur anderen Seite gibt es in Ribersborg nur über zwei Möglichkeiten. Entweder in den wenigen Sekunden, die man in den kühleren Jahreszeiten im Wasser aushält. Oder über eine gemeinsame Sauna, die die spiegelverkehrten Badehaushälften miteinander verbindet. Denn was nach deutschen Gewohnheiten nichts Besonderes ist, scheint in der schwedischen Badehauskultur fast schon eine kleine Revolution zu sein, die sich offenbar noch nicht bis zu den Frauen herumgesprochen hat.

Zumindest heute Vormittag unterscheidet sich die gemischte Trockensauna nicht von den anderen drei Trocken- und Dampfsaunen im Herrenbereich – abgesehen davon, dass sie viel voller ist als alle anderen. Während die Frauen offenbar lieber unter sich bleiben, schwitzen die Männer darin auf viel zu kleinen Handtüchern, gießen eifrig auf und unterhalten sich angeregt. Dabei blicken sie durch ein großes Fenster unter anderem auf die eindrucksvolle Öresundbrücke, die Schweden mit Dänemark verbindet.

Anders als zur Hochzeit, als bis zu 5000 Besucher täglich das Bad stürmten, ist es heute insgesamt ziemlich ruhig. Vor allem Stammbesucher unterschiedlichen Alters pendeln zwischen Sauna, Erfrischungsbad und entspanntem Aufsaugen der Sonnenstrahlen dieses klaren Tages. Der wohl Älteste heute ist schon 87, mittlerweile etwas schwerhörig, und ins Wasser geht er nicht mehr – wegen der Knie. Seit fast zwei Dritteln seines Lebens besucht er regelmäßig das Ribersborg Kallbadhus und hat auch die schwierigen Zeiten miterlebt. Beinahe wäre dieses Schmuckstück in Holz konservierter Zeit vor 25 Jahren abgerissen worden. Erst durch einen Volksentscheid wurde es mit überdeutlicher Mehrheit gerettet, und die nötigen Reparaturen konnten durchgeführt werden.

Überhaupt sind diese Badehäuser sehr anfällig für Schäden, weil sie Wind und Wetter von der Meerseite her ausgeliefert sind. Auch das Kallbadhus in Bastad wurde wiederholt von Stürmen in Mitleidenschaft gezogen und ist in den 1960er-Jahren sogar einmal komplett niedergebrannt. Immer wieder wurde es aber hergerichtet und wieder belebt. Heute hat es außen ein nordisch-reduziertes und stylish-rustikales Holzdesign. Innen entpuppt es sich jedoch als schicke Kaltbadehaus-Variante – passend zum Ort, der so etwas wie das Saint-Tropez Südschwedens ist, und zum Skansen-Hotel, zu dem es gehört. Auch hier gibt es auf beiden Seiten je eine Sauna, in denen man sich ordentlich aufheizen kann, um den Körper dann kurz furchtlos ins Meer zu stippen. Wer sich nicht traut, kann sich unter freiem Himmel mit unverbaubarem Ausblick auf die raue Kattegat-Küste auch einfach im gemischten Whirlpool besprudeln lassen.

Nach all den Kaltbadehäusern stößt man neben dem Hafen im kleinen Ort Torekov zur Abwechslung mal auf ein Warmbadhus. In dem bereits 1876 gebauten Holzhäuschen, das einst als Erholungsmaßnahme von einem Kapitän ins Leben gerufen und heute auch um einige Spa-Angebote erweitert wurde, fließt aber nicht nur wohlig temperiertes Wasser in die vierfüßigen Wannen. Seit jeher badet man hier zusammen mit einem Eimer voll Algen, die vor kurzer Zeit noch unbehelligt im Meer vor der rauen Küste trieben und dann für das Bad eingesammelt wurden. Das klingt nach einer intensiv in die Nase kriechenden Angelegenheit. Doch überraschenderweise riecht das grünbräunliche Bad, das Spa-Managerin Charlotte Andersson eingelassen hat, überhaupt nicht unangenehm. Und obwohl das Wasser durch die Algen eine fast schon gelartige Konsistenz hat, ist es furchtbar angenehm, sich in das 38 Grad warme Bad gleiten zu lassen.

Irgendwann kommt die pensionierte Lehrerin und Warmbadhus-Mitarbeiterin Inge wieder in das Zimmer, das in vorsichtigem Lindgrün schimmert und dabei auf ganz reizende Weise aus der Welt gefallen scheint. Sie massiert die Schultern mit dem triefenden Algengestrüpp und streicht damit immer wieder über die Haut. „Die Algen sind so etwas wie ein natürlicher Schwamm und nehmen Mineralien und Vitamine auf, die sie in das Badewasser wieder abgeben“, erklärt sie dabei. „Solch ein Bad soll entschlackend wirken und Hautkrankheiten wie Schuppenflechte lindern.“

Während die benutzten Algen nach dem Bad zum Quasi-Recycling wieder ins Meer geworfen werden, schlüpft man ohne abzuduschen und mit deutlich sanfterer Haut in einen Bademantel. Am Ende des Flures steht die Hintertür des Warmbadehauses offen und ermöglicht einen gerahmten Blick auf die raue Küste.

Drei Männer, knapp über 50, sitzen bereits draußen, unterhalten sich und trinken Bier. „Das hier ist der schwedische Sommer“, kommentiert einer von ihnen die zwölf Grad Außentemperatur lachend. Sonderlich kälteempfindlich sind viele Schweden offenbar nicht. Trotzdem muss es glücklicherweise doch nicht immer gleich die Kälteschock-Badevariante sein. Wir sind schließlich nicht alle so tapfer wie früher die Wikinger.