Gstaad im Berner Oberland erfüllt in Teilen das Klischee vom Luxus-Ort, bewahrt sich aber die Romantik eines urigen Schweizer Bergdorfs

Sonnengeküsste Berge und pudrige Pisten: Die Schweiz ist in der kalten Jahreszeit ein Winterwunderland. Während der Hamburger Skiferien pilgern viele Familien in die schneeverwöhnte Alpennation. Seit Februar hat diese Stippvisite ins Nachbarland jedoch einen leicht bitteren Beigeschmack erhalten. Die Schweizer haben kürzlich per Volksentscheid entschieden: Nur eine begrenzte und ausgewählte Anzahl von Zuwanderern soll in Zukunft in der Schweiz leben und arbeiten dürfen. Rund 15 Prozent der dauerhaft im Alpenland lebenden Ausländer sind laut Schweizerischer Eidgenossenschaft Deutsche. Natürlich kommt da bei Urlaubern aus der Bundesrepublik die Frage auf: Bin ich in der Schweiz überhaupt noch willkommen? Kerstin Sonnekalb, Leiterin der Abteilung für Public Relations beim Gstaad Saanenland Tourismus, sieht es pragmatisch. „Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, wie genau das Abstimmungsergebnis politisch umgesetzt wird. Fakt ist, dass zahlreiche touristische Leistungsträger ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland nur einen deutlich abgespeckten Service bieten könnten“, sagt Sonnekalb.

In Gstaad und Umgebung gibt es rund 250 Kilometer Abfahrten

Guten Service zwischen Hotel- Rezeption, Lift und Bergrestaurant erwarten Urlauber in der Schweiz genauso wie Rohmilchkäse und die sahnig schmelzende Schokolade – das gilt auch für das beschauliche Bergdorf Gstaad im Berner Oberland. Seit das 1913 erbaute schlossähnliche Palace Hotel auf einem Hügel über Gstaad schwebt und den anspruchsvollen Gast ins Saanenland zieht, ist der Tourismus in der Region aufgeblüht. Neben guten Skipisten und frischer Bergluft mag dies auch am bodenständigen Erscheinungsbild des Ortes liegen. Bis auf das Palace Hotel sind so gut wie alle Häuser im typischen Chalet-Stil gebaut. Strenge Bauvorschriften bewahren seit den 50er-Jahren die Holzbaukunst. Berühmtheiten wie Roger Moore und Bernie Ecclestone fühlen sich hier wohl, und auch Madonna soll schon in Skimontur auf dem Hausberg Eggli gesichtet worden sein. Im Gegensatz zu Orten wie St. Moritz oder Zermatt übt man sich im Saanenland Prominenten gegenüber aber eher zurückhaltend. Hier geht es mehr um das Sehen als um das Gesehenwerden. Die Promenade im Dorfkern von Gstaad lässt jedoch keinen Zweifel offen: Viele Urlauber haben auch das nötige Kleingeld, um nach der Abfahrt einen Shopping-Stopp bei Aigner oder Prada einzulegen.

Auf der Piste ist es allerdings egal, welche Kreditkarte im Portemonnaie steckt – wichtiger ist hier die Schneebeschaffenheit und welche der insgesamt 250 Kilometer Abfahrten in Gstaad und Umgebung als Nächstes in Angriff genommen werden sollen. Wer unsicher ist, mietet sich einen Skilehrer. Der 25-jährige Christian von Siebenthal, Skilehrer in dritter Generation, stand mit drei Jahren das erste Mal auf Skiern und kennt jede Piste. Kindergruppen bringt er nicht nur das Skifahren, sondern auch die heimische Flora und Fauna nahe. „Manche sehen das erste Mal eine Kuh und sind ganz erstaunt, dass Heu aus Gras besteht“, sagt Siebenthal. Nützlich sind natürlich auch Hinweise wie dieser: Wer seinen Skipass zurückgibt, erhalte entweder das Pfand von fünf Schweizer Franken zurück – oder erfreue sich an drei Tafeln Schweizer Schokolade.

Herzhafte Stärkung gibt es am Hausberg Eggli ebenfalls. Wer die einfachen und breiten Pisten einige Male absolviert hat, lässt sich ein Rösti im Bergrestaurant schmecken. Mit vollem Magen kommt man den Berg dann natürlich leichter herunter als hinauf: Ein vier Kilometer langer Schlittelweg zurück ins Tal hilft beim Verdauen des aromatischen, aber durchaus schweren Käseschmelzes.

Der Käse wird in dieser Region noch traditionell gefertigt. In der Käse-Grotte, dem ehemaligen Wasserreservoir der Gemeinde, reifen rund 3000 Laibe des Berner Hobelkäses. Die Milch liefern verschiedene Bergbauern der Umgebung, rund 120 Liter sind für einen einzigen Laib Käse nötig. Und während bei uns Ernährungsberater empfehlen, bloß nicht zu viel tierisches Fett zu sich zu nehmen, sehen die Schweizer ihre Milchprodukte sogar als hochwirksame Medizin. „A Nidle, Ches und Anke cha me nid erchranke“, auf Hochdeutsch etwa „An Sahne, Käse und Butter kann man nicht erkranken“, beschreibt eindrücklich, welch gesundheitsfördernde Wirkung die Einheimischen ihren Produkten zuschreiben. „Die Kühe hier fressen nur die heimischen Gräser“, erklärt Fremdenführerin Karin Bach, die selbst auch einen Hof bewirtschaftet. „Im Sommer grasen sie auf den Almwiesen, im Winter bekommen sie das Heu – deshalb enthält die Milch dieser Kühe einen besonders hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren“, sagt Bach. Und diese gesunde Kost, die fein gehobelt und zu einem Glas Weißwein und knusprigem Bauernbrot gereicht wird, behalten die Schweizer gerne für sich. Die Käsemenge ist begrenzt und die Einfuhr in die EU schwierig. Man bekommt ihn nur in der Schweiz oder über ausgewählte Online-Shops. Ein Souvenir gibt es beim Besuch der Käse-Grotte gratis dazu: Noch Stunden später riecht die eigene Kleidung wie ein großes Stück Hobelkäse.

Nicht nur Käse, auch Seeigel und Flusskrebse sind das ganze Jahr über auf rund 1000 Meter Höhe in einem der Feinkostläden erhältlich – eine Folge des gehobeneren Tourismus der vergangenen Jahrzehnte. Im Heimatmuseum in Saanen, dem ruhigeren und weniger mondänen Nachbarort, bekommen Großstädter ein Gefühl für das einfache Leben der Bergbauern, bevor in der Region Skilifte und Fünf-Sterne-Hotels gebaut wurden. Hinter dem Souvenirshop betritt der Besucher einen ehemaligen Kellerraum, dessen durch Glas geschützte Rundlingspflasterung noch vor dem 16.Jahrhundert gelegt wurde. Hier zieren die charakteristischen Scherenschnitte die Wände. So filigran sind die Landschaftsmotive, man mag sich kaum vorstellen, dass jemand diese von Hand geschnitten hat. Oft vertreten ist ein Scherenschnitt der Saanenziege. Diese hornlose Hausziege ist ein so effizienter Milchproduzent, dass sie aus dem Saanenland als Zuchttier in die ganze Welt exportiert wurde.

Auch wenn die Glieder vom Wintersport am Abend schwer sind, lohnt sich ein nächtlicher Ausflug mit dem Pferdeschlitten. Es hat etwas von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, wenn man, in dicke Schaffelle gehüllt, durch die stille Schneelandschaft gezogen wird – einzig das Schnauben der Pferde und die Glöckchen an ihrem Geschirr hallen durch das Tal. Eine knappe Stunde geht es von Lauenen immer höher zum Mattestübli hinauf.

Hier ist alles genau so, wie man sich als Nordlicht eine urige Schweizer Berghütte vorstellt – mitsamt Schweizer Volksmusik und eiskaltem Plumpsklo. Das Trockenfleisch und das Käse-Fondue aus heimischen Käsesorten schmeckt so natürlich noch viel besser. Veronika Brand betreibt die Hütte in Eigenregie. Sie arbeitet jeden Tag von zehn Uhr morgens bis die letzten Gäste gehen – oft weit nach Mitternacht. „Die Arbeit hier ist genau das, was ich immer machen wollte,“ erzählt die Schweizerin, „ich habe in den letzten Jahren freiwillig nur zwei Tage Urlaub gemacht.“ Oft kehren Wanderer vom Bärentreck oder der Via Alpina für eine kräftigende Rast ein – und fühlen sich, unabhängig von politischen Ereignissen, mehr als willkommen.