Ein Jahr nach der Markt-Liberalisierung wollten wir wissen, wie attraktiv Reisen mit dem Fernbus ist. Das Angebot hat sich bereits verdreifacht. Welche ist die beste Linie? Ein Selbstversuch.

Wer am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Berlin am falschen Schalter nach dem Bus nach Hamburg fragt, erhält keine Antwort. Nur einen stummen Blick, der sagt: Hier herrscht Konkurrenz. Warum Auskunft über eine Verbindung einer anderen Linie? Am richtigen Schalter wird dafür geflötet: „Gate 9, bitte schön!“

Kurz nach sieben Uhr morgens ist eine Menge los, ständig starten Fernbusse nach Dresden, Köln oder München, auch an den Bodensee und an Nord- und Ostsee. Und über Landesgrenzen hinaus nach Prag, Posen oder zu Zielen in Italien und bis nach Malta. Vor einem Jahr war am zugigen Busbahnhof kein Andrang, doch nach Öffnung des Marktes für Fernbusse – Busunternehmen dürfen ab Strecken über 50 Kilometer Liniendienste anbieten – brummt das Geschäft. Ausschlaggebend sind die günstigen Preise. Meine Route von Berlin nach Hamburg kostet, frühzeitig übers Internet gebucht, 15 Euro. Für das Ticket am Reisetag beim Fahrer wären bis zu 27 Euro fällig.

Auf meinem grünen Bus steht „MeinFernbus“, der Platzhirsch in der Hauptstadt. Im Januar 2013 begann das Unternehmen mit 20 Mitarbeitern, ein Jahr später sind es 140. Der Marktführer hat 2013 rund 2,5 Millionen Gäste befördert. Aber auch Aldi-Fernbus, City2City, Dein Bus, Flixbus oder die Eurolines der Deutschen Touring sind gut im Geschäft. Das Angebot hat sich seit vergangenem Januar mehr als verdreifacht, von 1540 auf 5100 wöchentliche Fahrten. Welche ist die beste Linie?

Da kommt es auf Besonderheiten an. Unser Bus hat bequeme Ledersitze, 80 Zentimeter Beinfreiheit, WLAN, Getränke und Snacks. Und er wird gefahren von Carina aus dem Allgäu, gelbe Jacke, giftgrüner Schal und gut aufgelegt. „Wunderschönen guten Morgen“, schnurrt sie, während sie sich mit Rangierkünsten in den Verkehr einfädelt. „Am Freitag stehen die Chancen, schnell durchzukommen, nicht so gut. Ich wünsche mir oft ein anderes Land – wo es nach Größe geht! Dann wären wir jetzt vorne dran.“ Erste Lacher in dem zu zwei Dritteln gefüllten Bus.

Carina spult ihre Ansagen ab: „Alle zweieinhalb Sitze finden Sie eine Steckdose. Wenn es zu eng wird, na ja, man kann auch flirten. Die Toilette ist hinten, keine Sorge, hinten ist noch drinnen.“ Gleich zwei Frauen machen sich auf den Weg. „Noch ein Tipp: Wollen Sie dicke Knie oder Thrombose vermeiden, einfach zwischendurch aufstehen und bewegen. Sie können mich alles fragen, ich bin eine Frau, ich lasse mich belästigen.“ Die Passagiere grinsen.

Die Mutter der temporären Kompanie gibt sich Mühe. Aber das Jungvolk schaut noch einmal ins leuchtende Smartphone, schiebt die Kopfhörer auf die Ohren und rekelt sich zurecht. „Gut, gut“, sagt Carina, die alles im Rückspiegel verfolgt, „dann halt ich mal die Klappe, morgens gibt es immer Nachholbedarf an Schlaf. Auf der Autobahn läuft sowieso alles wie am Schnürchen.“ Da sind die Ersten schon weggesackt.

Es ist ordentlich geheizt, das Klapptischchen stabil, die Leselampe ein bisschen funzlig. In der Netztasche steckt eine Karte mit Instruktionen zum WLAN, nach Kennwort-Eingabe läuft es. Auf zwei Bildschirmen im Gang sehen wir, was Carina auf dem Fahrersitz sieht. Sie schnurrt durch einen Tunnel, überholt Lastwagen, fährt aber kaum mehr als 80 km/h. „Eine Karosserie, sechs Räder, ein Steuer, eine Fahrerin, der Sie vertrauen können“, hat sie gesagt. Kein monotones „Thank you for travelling with...“-Gesülze.

Dicker Nebel auf den Feldern Brandenburgs, eine klebrige Masse. Doch die Erstarrung der Landschaft löst sich auf, aus mottenhaftem Grau in Grau kriecht hinter Neuruppin eierschalenfarbenes Licht. Milde Sonne zernagt den Wolkenschleier, Carinas Frontscheibe glitzert wie Gold. In der Bahn hätte man das so nicht bewundern können. Schlapp drehen sich die Arme der Windräder. Noch 200 Kilometer bis Hamburg.

Der Bus ist wirklich minutengenau am ZOB in St. Georg

Einige Passagiere haben ihr Quantum an Schlaf erfüllt und öffnen die Augen. Mein junger Nachbar klaubt sein Reclamheft aus der Tasche und liest Schillers „Die Jungfrau von Orleans“. Ein Mädchen im Fischgrätmantel zieht seine Lippen nach. Im hinteren Bereich ertönen Lachsalven, eine Freundesgruppe tratscht über nicht Anwesende. Dazu klappern einige Kunststoffteile im Bus wie eine Melodie, aber kein Fahrgeräusch erinnert an einen Bronchialkatarrh. Carina überfällt uns mit heftiger Jovialität: „Wir haben nur noch zwei Minuten Verzug, aber ich schaffe es auf die Minute genau, am ZOB Hamburg anzukommen.“ Trotz zehn Minuten vorgeschriebener Pause. Carina weist auf ihre Muffins hin. „Die sind lecker, man isst sie ja auch nicht jeden Tag.“ Dann steckt sie sich die Haare hoch, fragt noch kumpelhaft „Hat jeder seinen Nachbarn neben sich?“ – und fährt los. Wie eine Lehrerin auf Klassenausflug.

Die Fernbus-Tour wird inszeniert: Der Bus ist wirklich minutengenau in St.Georg nahe Hauptbahnhof. Die meisten steigen aus, Carina verabschiedet sich und dreht noch eine Werbespule. Mit dem Rest und neuen Gästen geht es nach Kiel weiter. Uns aber schluckt die Hansestadt. Erst mal einen Kaffee. Dann Flanieren an der Alster, in den Himmel darüber gravieren Vögel ihre Flugspur. Dann in die Kunsthalle am Glockengießerwall. Ich war schon oft in Hamburg, noch nie mit dem Bus.

19.45 Uhr zurück nach Berlin. Neben dem Fahrer sitzt eine etwas raubeinige Begleiterin. Anschnallen sei Pflicht, sagt sie. Es klingt wie ein Befehl, nicht alle folgen ihm. Der Blechkoloss gleitet am Ortsschild vorbei, noch ein Blick zurück. „Erst wenn du die Stadt verlassen hast“, hat Friedrich Nietzsche gesagt, „siehst du, wie hoch sich ihre Türme erheben.“ War der Philosoph eigentlich auch mal in Hamburg? Im Zug fällt einem so etwas nicht ein, beim gemütlichen Busfahren schälen sich im Kopf allerlei Gedanken frei. Die Fahrzeit ist mit zwei Stunden, 45 Minuten berechnet. Die Bahn wäre schneller, darum ist sie auch teurer. Und nicht immer pünktlich.

Ich will lesen, aber die Leselampe lässt sich nicht einschalten. Ich tappe im Gang zur Raubauzigen und erbitte Licht. Das ginge nicht, sagt sie. Die meisten Gäste würden schlafen wollen, deshalb sei das Deckenlicht ausgeschaltet. Stimmt nicht, auf dem Rückweg laufe ich an einem Mann vorbei, der das Licht seines Tablets dazu benutzt, um eine Zeitschrift zu lesen. Das ist nicht gut für die Augen. Vom Himmel morst der abnehmende Mond: Mach dich locker! Na gut. Mit sechs Minuten Verspätung kommen wir am hauptstädtischen ZOB an. Ganz entspannt.