Die beiden Miniatur-Staaten im Ost-Himalaja, das Königreich Bhutan und das zu Indien gehörende Sikkim, haben sich den Hauch romantischer Exklusivität bewahrt. Sie liegen inmitten von Himalajariesen.

Sikkim war bis 1975 selbstständiges Königreich und wurde dann ein Bundesstaat Indiens. Bhutan, in der Landessprache Druk Yul, Land des Donnerdrachen, ist bis heute ein autonomes Königreich geblieben. Die beiden kleinen Länder, Sikkim, etwa ein Zehntel der Größe Bayerns mit circa 600.000 Einwohnern, und Bhutan, etwa so groß wie die Schweiz mit 800.000 Einwohnern, liegen inmitten der Himalajariesen zwischen Nepal, Pakistan im Westen, Tibet und China im Norden, Birma und Bangladesch im Osten und Indien im Süden.

Unsere Reise verläuft drei Wochen von West nach Ost von der westbengalischen Tiefebene ins Himalajagebiet. Viele Pässe sind zu überqueren. Durch Bhutan führen vom Himalaja sechs Täler von Nord nach Süd, an deren steilen Berghängen sich Sträßchen entlangwinden. Unser aller Leben war 19 Tage lang abhängig von Reaktion und Muskelkraft des Fahrers sowie dem technischen Zustand unseres Kleinbusses.

Der zweitägige Aufenthalt im quirligen Darjeeling – die kleinen, engen Straßen vollgestopft mit Autos, Lastenträgern, Fußgängern und Hunden, 2134 Meter hoch gelegen, umgeben von Teeterrassen – ist ein guter Einstieg in die Himalajabergwelt. Wir bewundern bei Sonnenaufgang den Kangchendzönga, mit 8586 Metern der dritthöchste Berg der Welt, in rosafarbenem Licht, fahren den legendären Toy Train, der zur Kolonialzeit Engländer und Inder in ihre Sommerresidenzen brachte, und stehen vor dem Grab des Sherpas Tenzing Norgay, der mit Sir Edmund Hillary 1953 den Mount Everest als Erster bestieg, in Darjeeling lebte und starb.

Entlang der Sieben- und Achttausender-Bergkette geht es über Pemayangtse nach Gangtok, der Hauptstadt des ehemaligen Königreiches Sikkim. Wir bekommen einen ersten Eindruck von der buddhistischen Klosterwelt und ihrer Architekturkunst, das bekannteste Kloster des Landes ist Rumtek. Die Klosteranlagen, Dzongs, früher auch Wehrburgen, die hoch auf Bergvorsprünge gebaut allen Feinden trotzten, werden uns immer wieder in ihren Bann ziehen. Die Tempel sind häufig in einer Renovierungsphase und genau darin nicht weniger interessant als die bereits erneuerten oder noch belassenen Anlagen mit ihrer Wucht und Weitläufigkeit, den bunt bemalten Holzfassaden, den ornamentreichen, kunstvoll geschnitzten Fenstern und Türen. Ein Betrachtungserlebnis: die Bambusgerüste, auf denen Bauarbeiter die Renovierung ausführen. Schwankende Riesenbambusstangen, zusammengehalten von Sisalseilen, türmen sich an den Wänden, herbeigeschleppt auf den schmalen Schultern indischer Arbeiter, die den wippenden Rhythmus austarieren müssen, drei Meter hinter und drei Meter vor ihrem Körper biegen sich die Hohlstämme. Auf den ständig leicht zitternden Gerüsten restaurieren Arbeiter Holz und erneuern Farben.

Die Klöster sind mitunter nur mit Jeeps erreichbar. Die Wohnbereiche der Mönche sind für Besucher verboten, in den Tempel- und Außenhofbereichen sind Mönche häufig bei Arbeitsgängen oder bei Tempelritualen zu beobachten. Opfergaben müssen geordnet werden, Kerzen – aus Yakbutter hergestellt – entzündet, oder das Sprechen von Mantras wird von Musiktönen verschiedenster Instrumente begleitet.

Die Mönche Sikkims und Bhutans sind Nachfahren der aus Tibet geflohenen Rotmützen, die sich mit den in Thailand, Birma und Laos lebenden Gelbmützen entzweit hatten oder in jüngster Vergangenheit geflohene Rotmützen, die sich chinesischen Repressalien widersetzen. Von der Geschichte des Mahayana-Buddhismus erzählen Motive an den Innenwänden der Tempel, von denen besonders die alten Gemälde mit ihren warmen Farben beeindrucken. So viele Details, so viel Bedeutung im Kleinen! Der buddhistische Kreislauf des Lebens, die Dämonen, die zahlreichen Haltungen Buddhas mit Lotosblüte und weißer Muschel, das Bild der Harmonie, auf dem vier Tiere, Elefant, Affe, Hase, Rebhuhn, aufeinanderstehend dargestellt sind, sie tauchen an den Tempelwänden wiederholt auf.

Die Route führt von Gangtok über Kalimpong weiter nach Phuntsolling, dem Grenzort in Bhutan. In Kalimpong sehen wir im Lepcha Museum Thankas, Gebetsteppiche: Seidenstoffe, Farben, und Motive sind wunderbare Kunst.

Ganz Bhutan scheint Chilischoten zu trocknen. Auf nahezu jedem zweiten Haus liegen sie auf dem Dach und ziehen mit ihrer zumeist knallroten Farbe jeden Blick auf sich. Hin und wieder wird auch Fleisch auf den Dächern getrocknet, und die offene Fläche zwischen Dach und oberem Stockwerk der Häuser ist eine Art Lager für Getreide und Hausrat. Kein Tag vergeht, ohne dass wir bunte Gebetsfahnen neben, über oder unter uns sehen; an jeder Brücke, jedem kleinen Flüsschen, jedem Berghang und auf jedem Pass, den wir überqueren, flattern sie im Wind.

Auf den Passhöhen stehen Chörten (Stupas) mitten auf der Straße, jeder Autofahrer umrundet sie einmal im Uhrzeigersinn, das bedeutet sich Glück wünschen. Die Chörten haben verschiedene Bedeutungen, sie waren einst Grabhügel und gelten heute als Ort, in dem Reliquien aufbewahrt werden.

Am zehnten Tag der Reise nähern wir uns in strömendem Regen Bhutans Hauptstadt Thimphu. Wir bereisen Bhutan in der Trockenzeit – schwer vorstellbar, wie die Straßen in der Monsunzeit zu passieren sind. Überall sehen wir Aufräumarbeiten, Ausbesserungen. Erdrutsche, überschwemmte, ausgespülte Gebirgsbachbetten, durch Regenfälle aufgerissene Straßengräben, weggerissene Teerdecken, alle Monsunfolgen sind in den Trockenmonaten zu sanieren, das gelingt unter den landesüblichen Straßenarbeitsbedingungen leider nur mangelhaft.

In Bhutan verläuft eine Hauptstraße von West nach Ost, und diese ist in dem beschriebenen schlechten Zustand. Vereinzelt gehen kleine Seitenwege ab, die irgendwo in den Bergen enden. Im Verwaltungstrakt eines Dzong hängt eine Landkarte, auf der die Straßen Bhutans abgebildet sind, außer der Hauptstraße und den zählbaren Nebenstraßen gibt es keine! Fast 70 Prozent der Landesfläche ist mit Wald bedeckt, nur wenige Siedlungen, kleine Dörfchen in hohen Steillagen, manchmal nur einige Häuser. Entdeckt man sie aus dem Busfenster, kommt die Frage auf: Wie sind die Baumaterialien dorthin gekommen? Die Antwort: auf Pfaden, von Menschen getragen oder von Pferden und Mauleseln oder Yaks.

In Thimphu besichtigen wir, eingeschränkt unter Schirmen bei nahezu 24-stündigem Dauerregen, den Tashichho Dzong, die größte Palastanlage Bhutans, den Sitz des Königs, der Regierung und des Großabtes. Die Besichtigung wird zu einer kleinen Wanderung bei der Größe der imposanten Anlage. Deutlich wird der heutige gemeinsame Nutzen der zum Teil fast 400 Jahre alten Anlagen: Wie früher sind sie kirchliche und weltliche Regierungssitze unter einem Dach, die Landesverwaltungen haben ihren Platz ebenso wie die buddhistischen Lamas und Mönche.

Entsprechend gehen Bhutaner ein und aus. Heute noch sind die Dzongs Zentren des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Davon geben die buddhistischen Feste Zeugnis. Früher bildeten die Klosterburgen das Ortszentrum, da Stadtstrukturen nicht existierten.

Und weiter: Die Straße schlängelt sich bergauf, bergab über die bewaldeten Himalajapässe, durch schmale Talschluchten und wieder hinaus, ein erhabenes Gefühl. Wir erreichen Punakha, die alte Hauptstadt Bhutans mit einem der wichtigsten Dzongs, in dem Könige gekrönt wurden. Er liegt an dem Zusammentreffen zweier Flüsse und war das Winterquartier früherer Könige, Punakha liegt 1350 Meter hoch. Die Sanierung der Brücke wurde teilfinanziert vom deutschen Außenministerium, weil durch die Baufälligkeit das kulturelle Leben der Bhutaner stark beeinträchtigt war: Sie konnten ihre traditionellen Feste nicht abhalten, weil die Brücke keine Massen aushielt.

Der folgende Reisetag erfordert Sitzgeduld, die mit wunderschönen Ausblicken aus dem Busfenster belohnt wird. Unser Ziel ist Trongsa, erreichbar über den 3350 Meter hohen Pele-La-Pass nach vielen Stunden Fahrt entlang des Dämonenwaldes – Zypressen, Kiefern, Föhren, Eichen, tiefdunkler, dichter ursprünglicher Bergregenwald, den kein Bhutaner betreten darf, weil er angeblich Geister beherbergt.

Den großen Dzong Trongsas auf einer exponierten, den Berghängen vorgelagerten Anhöhe erblickt der Reisende schon Stunden vor der Ankunft. In jeder Kurve vermeint man, ihm näher zu kommen, dabei sind noch endlose Biegungen zu passieren, bevor man vor dem riesigen Klosterkomplex steht.

Die letzten Kilometer säumen an diesem Tag Menschenmassen: In stoischer Ruhe stehen in Reih und Glied Schüler, Schülerinnen in uniformierter Kleidung und Erwachsene in Landestracht, der Kira der Frauen und dem Gho der Männer, wartend auf einen hochrangigen Lama, der nach Stunden an ihnen vorbeifährt. Wir sind vom Dzong überwältigt: seiner Lage, der Größe, den Holzverzierungen, wie eine Trutzburg türmt er sich vor uns auf, und wir kommen uns klein vor.

Ein weiterer Fahrtag endet in Jakar, im Bumthangtal gelegen. Die Klosterburgen stehen hier nahe beieinander und sind gut mit kleinen Wanderungen zu erreichen. Die Rituale beim Besuch der Tempel sind bereits zur Gewohnheit geworden: Schuhe vor dem Betreten ausziehen, den Tempel im Uhrzeigersinn begehen, immer wieder Gebetsmühlen drehen. Meist bleiben wir nur für eine Nacht, am nächsten Morgen heißt es Koffer um sieben Uhr vor die Tür stellen. Die kleinen Hotels sind landestypisch eingerichtet, mit viel Holz und bedruckten und gewebten Stoffen.

Die indisch-bhutanische Küche verdient erwähnt zu werden: Jeden Tag freuen wir uns auf das Essen. Egal ob einfach oder vielfältiger zubereitet, es schmeckt immer. Fleisch spielt eine untergeordnete Rolle, mal Hühnchen, ab und zu Fisch – und viel Gemüse und Gewürze. „Spicy“ (scharf gewürzt), ja, aber eben genau richtig.

Im Bumthang- Tal bleiben wir zwei Nächte. Wir besuchen das Bumthangfest, das Klosterfest mit traditionellen Tänzen und Ritualen. Händler bieten alles feil, was Bhutaner für ihren Alltag brauchen, von Haushaltwaren über Möbel, Kleidung, Schmuck bis zu Lebensmitteln, dazwischen sind in einer kleinen Zeltstadt Essensstände aufgebaut, in denen Einheimische und Tänzer bei Mahlzeiten zusammentreffen.

Das Paro-Tal ist die letzte Station. Berühmter als Paro ist das Taktshang-Kloster, das Tigernest. Einer Legende nach soll Guru Rinpoche auf dem Rücken einer Tigerin an diesen Ort geflogen sein. Das Tigernest hängt 3070 Meter hoch an einer senkrecht abfallenden Felswand. Nicht vorstellbar, wie es von Menschenhand dorthin gebaut wurde.

Der Abschied aus Bhutan gestaltet sich noch einmal spannend: in einem kleinen Flugzeug, das das schmale Paro-Tal sicher durchfliegt. Das Wetter schenkt uns freie Sicht auf den Mount Everest. Ein erhabenes Gefühl.