Polignano a Mare ist ein auf einen Felsen montiertes apulisches Postkartenmotiv-Städtchen zwischen Bari und Brindisi. Die knapp 18.000 Einwohner kennen nur eine Melodie: „Vooolaaaare – o-o-o-ooo!“ Der Welthit plärrt aus den Fenstern, Restaurant-Kellner pfeifen ihn – mehr oder weniger treffsicher – über die Piazza.

Am Lungomare, der Uferpromenade, trällern viele sogar mehr als nur den Refrain dieses Grand-Prix-Gassenhauers, US-Nummer-eins-Hit von 1958. Hier steht überlebensgroß Domenico Modugno, der schnauzbärtige, 1928 in Polignano geborene Sänger dieser Hymne vom azurblauen Himmel, als Kupferstatue – ein beliebtes Fotomotiv. Die Knips-Sessions der Besucher werden amüsiert beobachtet von Cosimo, Giuseppe und Bartolo, drei Rentnern auf einer Bank. „Gute Abend, gnaadige Frrrauu“, ruft Cosimo, als er deutsche Wortfetzen aufschnappt. Unbedingt ans Meer gehen sollen wir, rät er, immerhin habe Polignano den schönsten Innenstadtstrand Italiens – „si si, musse gugge, da drübbe“. Und wirklich: Sichelförmig umschlungen von hellem Tuffstein geht weißer Kieselstrand sanft über in smaragdgrünes Wasser.

Keine Ahnung, warum wir dort nach einigen „Ah“- und „Oh“-Momenten sowie diversen Fotos nicht einfach bequem die Treppe hoch und ins Centro Storico geschlendert, sondern über wackelige Steine zurückgekraxelt sind zu den drei vergnügten Bankdrückern. Von da an führt offenbar ein unsichtbarer Reiseleiter Regie. Cosimo erzählt von seiner Zeit als Bäcker in Stuttgart, damals vor 40 Jahren. Dann Heimkehr, Bäckerei in Polignano eröffnet – die typische Geschichte.

So eine will Giuseppe nun auch loswerden, und wir wollen eigentlich weiter, aber der unsichtbare Regisseur lässt Wörter an unsere Ohren dringen, die neugierig machen. In Norddeutschland lebe sein Sohn, erzählt Giuseppe und radebrecht einen Ortsnamen heraus, den wir nicht sofort verstehen: „Lutschise“, sagt er immer wieder und animiert unsere Hirne, die Landkarte abzuscannen, wo es sein mag, dieses „Lutschise“. „Vielleicht Lütjensee?“, versuche ich zaghaft. „Si, si, certo“, sagt er, zückt seinen Schlüsselanhänger, um stolz eingerahmte Fotos seiner Enkelkinder zu zeigen.

Eigentlich ist die Geschichte hier zu Ende, aber wir fragen nach, was der Sohn beruflich mache, da oben bei Hamburg. Statt zu antworten, nestelt der kleine Mann in seiner Gesäßtasche, holt das Portemonnaie heraus, kramt eine Visitenkarte hervor und präsentiert sie mit den Worten „Manager, Manager!“ Wir trauen unseren Augen nicht: „Francesco Monteverde, Betriebsleiter“ steht auf der Karte – und zwar bei Brunello, unserer Trattoria um die Ecke in Hamburg-Sasel.

„Com'è piccolo il mondo“, ruft Giuseppe, als wir’s ihm erzählen. Ja, so klein kann sie sein, die Welt. Und irgendjemand führt unsichtbar Regie.