Im Osttiroler Skigebiet Kals – direkt beim höchsten Berg Österreichs – gibt es keinen Stau vor dem Lift. Urlauber dürfen sogar nachts auf die Pisten

Der Gigant ziert sich an diesem Morgen. Die Wolken hängen einfach zu tief, und so lässt sich nicht ermessen, wie hoch sich der Großglockner tatsächlich in den Himmel streckt. Nur die untere Hälfte des mächtigen Berges ist zu sehen. „Das wird schon noch“, sagt Matthias Wurzer. Für den 29-Jährigen, der hier in Kals in Osttirol geboren ist und der seit einigen Jahren hauptberuflich als Bergführer arbeitet, ist der höchste Berg nicht mehr die große Sensation. Er muss kurz überlegen, wie oft er den Großglockner schon bestiegen hat, „aber mehr als 200-mal bestimmt“.

Der kleine Ort Kals war bislang vorwiegend Bergsteigern ein Begriff, denn von hier starten die Touren auf den 3798 Meter hohen Großglockner, den sie hier nur den „Glockner“ nennen. Und auch wenn in Kals, das im Nationalpark Hohe Tauern liegt, bereits seit den 1970er-Jahren Ski gefahren wird, war es bis vor ein paar Jahren ein sehr kleines Revier. Erst seit 2008 ist es mit dem Skigebiet Matrei zum Großglockner Resort Kals-Matrei verbunden. Der 1200-Einwohner-Ort macht derzeit einen bemerkenswerten Wandel durch. Bis vor gut einem Jahr gab es etwa 1500 Gästebetten. Mit der Eröffnung des Gradonna Mountain Resorts hat Kals ein Hotel und etwa 40 Chalets mit zusammen etwa 500 Betten auf einen Schlag dazubekommen.

Für den Bürgermeister ist das Gradonna ein Projekt, das die Zukunft von Kals sichern soll. „So romantisch es klingt, in einem Bergdorf zu leben, es ist schwer, ein gutes Angebot zu erhalten“, sagt Bürgermeister Nikolaus Unterweger. In Kals gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Sportgeschäfte, eine Schule, Wirtshäuser. Vor allem gebe es durch das große Resort für viele Kalser wieder Arbeitsplätze im Ort, sagt er. Und: „Wenn sich jemand gegen das Gradonna gewandt hätte, hätte er sich gegen unsere Zukunft gewandt.“

Erstmals urkundlich erwähnt wurde Kals 1197, „aber archäologische Funde beweisen, dass es hier schon vor 6000 Jahren Menschen gegeben haben muss“. Bei Arbeiten für eine Kapelle wurden 1975 Dutzende Steinbockschädel gefunden, die kreisförmig um eine Feuerstelle angeordnet waren. Dieser Platz der Felsenkapelle trägt den Namen Gradonna, der italienisch klingt, aber ein alter Flurname und nun Namensgeber des neuen Resorts ist.

Matthias Wurzer, der vor seiner Ausbildung zum Bergführer eine Schlosserlehre abgeschlossen hat, ist froh, dass er und viele andere Kalser ihren Heimatort nicht mehr verlassen müssen, um arbeiten zu können. „Wir sind ziemlich viele junge Leute. Wir müssen jetzt im Winter nicht mehr weg“, sagt Matthias Wurzer, als wir mit den Skiern Richtung Blauspitz, den Kalser „Hausberg“, starten. Wenn er „Kals“ sagt, klingt es wie ein kehliges „Kolls“. Vom Skidepot des Gradonna geht es direkt auf die Piste und zum Sessellift, der uns hinauf auf 2575 Meter befördert.

Es hat geschneit über Nacht, die Piste ist bestens präpariert. Keine Wartezeiten an den Liften. In der Hochsaison werde es zwar etwas voller, aber Gedränge wie in großen Skigebieten gebe es hier nicht, versichert unser Bergführer. Dafür manche Attraktion, wie man sie nicht überall findet. Den Nachtskilauf bei Vollmond, beispielsweise – naturbedingt eine absolute Rarität, denn die seltenen Termine gibt die Natur vor (nächstes Mal am 13. März).

Oben auf der Adlerlounge in fast 2500 Meter Höhe kocht Walter Hartweger. Der 36-jährige gebürtige Kärntner ist der Chef des Haubenrestaurants, wie Sterne-Restaurants in Österreich genannt werden. Die Rundumverglasung bietet einen fantastischen Blick auf das Alpenpanorama, jedenfalls solange es hell ist. „Wir bieten alles an“, sagt Hartweger bescheiden, „von der Gulaschsuppe bis zur Tom Ka Gai, vom Germknödel bis zum warmen Schokoladenküchlein“, es gibt Hüttengerichte, Fondue, aber eben auch Sterneküche.

Für Gäste, die gleich morgens auf die Skier steigen und die Ersten auf der Piste sein wollen, gibt es ein paar Zimmer und Suiten. Nach einem vorzüglichen Vier-Gänge-Menü ist der Gedanke, es sich gemütlich zu machen, verlockend, aber das größte Abenteuer steht uns noch bevor – die Abfahrt ins Tal. Jeder Teilnehmer bekommt eine helle Stirnlampe, der Vollmond, der uns den Weg leuchten sollte, ist hinter den Wolken versteckt, es schneit. Andreas „Ander“ Hanser, ein weiterer Bergführer, fährt vorneweg. Dahinter bleiben wir in seiner Spur auf der frisch präparierten Piste. Matthias Wurzer macht das Schlusslicht der Glühwürmchenparade. Als wir unten ankommen sind, ohne einen Sturz, sind wir alle völlig euphorisch. Die Bergführer haben uns sicher ins Tal geleitet.

Der Kalser Berg- und Skiführerverein besteht schon seit 1869. Von den 19 Mitgliedern arbeiten sechs hauptamtlich als Bergführer. „Im Sommer ist brutal viel los“, sagt Matthias Wurzer, dann bieten er und seine Kollegen Bergtouren, alpines Wandern, Klettern und Gletscherkurse an.

Die Bergführer sind zudem alle ehrenamtlich bei der Bergrettung. „Meistens führen uns die Einsätze auf den Glockner“, sagt sein Kollege „Ander“, der Vizeobmann des Vereins. Häufig kämen die Notrufe, „wenn wir gerade gemütlich sitzen, beispielsweise beim Abendessen“. Aber egal ob tagsüber oder nachts, dann brechen die Bergretter auf. 300 Höhenmeter, das sei die normale Aufstiegsgeschwindigkeit pro Stunde, Bergretter schaffen nach Angaben von Hanser 1000 Meter pro Stunde. Selbstüberschätzung oder Erschöpfung der Bergsteiger seien die häufigsten Ursachen, die den Einsatz der Bergretter nötig machen, so seine Erfahrung.

Darum gehen wir am nächsten Tag wieder in professioneller Begleitung auf unsere Schnupper-Skitour. Das bedeutet, erst einmal ab in den Skiverleih und die Ausrüstung tauschen. Jeder Teilnehmer benötigt Tourenski und -schuhe und einen speziellen Rucksack mit einem Klappspaten sowie ein LVS-Gerät, ein Lawinenverschüttetensuchgerät, um den Oberkörper geschnallt. „Ohne gehen wir nicht ins Gelände“, sagt Matthias, da ist er unerbittlich.

Dann lässt er uns antreten, um die Funktionsfähigkeit der Geräte zu überprüfen. Und er macht uns klar, dass jeder mithelfen muss, wenn eine Lawine jemanden verschüttet. Im Vierer-Sessellift zur Mittelstation, von wo aus wir starten wollen, herrscht kontemplative Ruhe. Während man sich vorher nur Gedanken über die Abfahrt durch den Tiefschnee gemacht hat, wird jetzt klar, dass man ja vorher hochmuss. An der Mittelstation rät Bergführer Matthias, unsere Skijacken in den Rucksäcken zu verstauen. Als Nächstes müssen die Felle an die Skier. Sie sehen aus wie ein alter Teppich, der seine besten Zeit hinter sich hat, aber sie sind gummiert und haften gut an den Skiern. Danach muss die Bindung noch in den Steigmodus gebracht werden. Spätestens jetzt versteht man, warum die Bergführer nicht mehr als vier bis sechs Gäste zu einer Skitour ins Gelände mitnehmen. Matthias Wurzer muss sich fühlen wie im Kindergarten, weil er allen Anfängern helfen muss, aber er bleibt dabei freundlich und gelassen.

Schnell wird klar, warum die Skistöcke länger sind als üblich. Sie versinken, als wir durch den Tiefschnee wandern. Faszinierend sind die Löcher, die sie hinterlassen, sie leuchten türkisblau. Je feuchter der Schnee, umso blauer, sagt der Bergführer. Vor lauter Begeisterung über dieses Phänomen lässt die Konzentration nach. Weil der Schuh hinten lose ist, kippe ich zur Seite, raus aus dem rechten Ski, und plötzlich steckt das rechte Bein bis zum Knie im Schnee, während das linke noch am Ski hängt. Und rechts der Abhang. Eine verzwickte Situation, doch der Bergführer ist schnell zur Stelle. Danach geht es weiter – hoch konzentriert. Wir überqueren Gebirgsbächlein – vorsichtig, damit die Felle nicht nass werden; der Schnee würde festkleben. Leise zieht die Prozession den Berg hoch, links und rechts stehen Bäume, der Schweiß tritt aus allen Poren. Es ist still, man hört nur unseren Atem. Als es Zeit wird, umzukehren, kommen die Felle in den Rucksack. Dann geht es – mit Jacke und Helm – den Berg runter. Der Schnee ist schwer, die Schwünge gar nicht elegant, dem Stolz, die erste Skitour geschafft zu haben, kann das aber nichts anhaben.

Steinböcke tummeln sich hier auf den Bergen, außerdem gibt es Steinadler. Im Sommer sieht man Edelweiß, die unter Naturschutz stehen, erklären die Bergführer. „Der Lebensfrau darf man eines schenken“, hat Ander uns gesagt und gelächelt. Viel schöner als ein Edelweiß ist nach der Skitour aber die Massage im Spa des Gradonna. Und danach das Schwimmen im Außenbecken, während der Schnee blitzt. Nur der Glockner verweigert sich bis zum Schluss. Vielleicht ist es eine stille Aufforderung, noch einmal wiederzukommen.