Jetzt in der Nebensaison dürfen Reiter an den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns galoppieren. Das Netzwerk „Reiten & Meer“ bietet sogar den „Sauwetter-Ritt“ an

Hernandez spitzt die Ohren und weitet die Nüstern. Er schnuppert salzige Gischt. Der braune Wallach mag Wind und Wetter, das merkt man ihm an, und den Weg zum Meer kennt er genau. Denn das Reitcamp Börgerende, in dem der sechsjährige Freiberger zu Hause ist, liegt nur wenige Meter vom Ostseestrand entfernt. Möwen kreischen, die Brandung rauscht, eine frische Bö packt Hernandez’ lange Mähne. Das Schweizer Großpony trabt munter durch den Dünenweg, der von Sanddorn und Strandhafer bewachsen ist. Die anderen Freiberger, Haflinger und Lewitzer drängen nach, alles robuste, zuverlässige Schulpferde für Erwachsene und Kinder. Endlich am Meer. Erst spielt Hernandez mit den heranrollenden Wellen am Spülsaum, dann patscht er mit den Hufen ins kalte Wasser.

„Unsere Pferde sind bei jedem Wetter draußen“, sagt Reitlehrerin Birgit Peters. In der Nebensaison von Oktober bis April sind Strandritte an Mecklenburg-Vorpommerns Küste fast überall erlaubt. Aber der Reitertraum vom gestreckten Galopp durch aufspritzendes Wasser lässt sich am steinigen Strand vorerst nicht erfüllen. „Wir können hier nur bei ablandigem Wind reiten“, sagt Peters und lenkt die Gruppe zurück zum Uferweg.

Ein flotter Galopp ins Nienhäger Holz entschädigt. Der 180 Hektar große Wald zieht sich anderthalb Kilometer an der Steilküste entlang. Dicht an dicht ragen hohe Buchen, Hainbuchen, Eichen und Eschen auf, knorrig verformt, von der steifen Brise windschnittig getrimmt und mit gespenstisch verdrehtem Geäst. Deshalb heißt er im Volksmund auch Gespensterwald.

Nicht weit von der Ostsee liegt Klein Nienhagen, ein kleines Dorf zwischen Wismar und Rostock. Umgeben von Wald, Wiesen und Feldern besitzt das ehemalige Rittergut 5,5 Hektar pure Landidylle. „Unsere Reitwege erstrecken sich auf gut 40 Kilometer platt getretenen Pfaden“, sagt Bianca Glöe vom Ferien- und Pferdehof Klein Nienhagen. Die gebürtige Schleswig-Holsteinerin ist froh, dass das Reitwegenetz nicht so stark ausgebaut ist wie anderswo. Meist werde so viel reglementiert, dass man fast nur noch in Traktorenspuren reiten könne. „Wir kooperieren eng mit den anderen Höfen“, sagt ihr Mann Jan Glöe. Auf gut 20.000 Hektar habe er mit nur fünf Bauern zu tun. „Da kann man sich schnell einigen“, sagt der Gutsherr. Das Paar verliebte sich 1998 in die denkmalgeschützte Anlage von 1700, renovierte das Gutshaus und die historischen Ställe von 1913, baute eine Reithalle und richtete Ferienwohnungen im einstigen Inspektorenhaus ein. Seit 2001 werden Reiterferien, Events und Pferde-Coaching für Führungskräfte angeboten.

Obwohl das Flächenland Mecklenburg-Vorpommern ein ausgesprochenes Pferdeland mit 300 Reiterhöfen und 250 Vereinen ist, steckt der Reittourismus noch in den Kinderschuhen. Doch das soll sich ändern, hat der Tourismusverband Ende vergangenen Jahres beschlossen. Über bisherige 6200 Kilometer Reit- und Fahrwege hinaus sollen weitere Reitstrecken kartiert und die Infrastruktur für Reiter und Pferd verbessert werden. Vom Sattel aus zeigt die Landschaft ein abwechslungsreiches Bild, das von der hügeligen eiszeitlichen Endmoränenlandschaft über die einmalige Boddenlandschaft bis zu den Ostseestränden reicht. Der Reiter kommt durch Wälder und Dörfer mit Gutsanlagen und Herrenhäusern, in denen er auch Quartier finden kann.

In Barth leitet Julia Baldauf Deutschlands einzige Jugendherberge mit Reithof. Vor ihrer Haustür liegt die südliche Boddenküste von Fischland-Darß-Zingst, eine weite Lagune aus Schilf, Salzwiesen und Zugvögeln, die zum Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft gehören. Im Stall stehen 40 Haflinger. Die kräftige Lotte, Stammmutter zahlreicher Fohlen, wird auch „flotte Lotte“ genannt, weil sie trotz ihres Alters immer zu den Schnellsten gehören will. „Galopp“, ruft Julia, und schon flitzen die Haflinger mit wehenden Mähnen am Knick entlang bis zum Schilfufer. Dort stoppt der Trupp, denn die Erde zwischen Bodden und Acker ist stark aufgewühlt. „Auf Rehe, Hasen und Wildschweine muss man hier ständig gefasst sein“, sagt die Reitlehrerin. Im Winter kann man Seeadler sehen, und im Frühjahr rauschen an die 60.000 Kraniche über das Land hinweg.

Die Kraniche und das idyllische vorpommersche Hinterland haben es auch Anne Hille angetan. Die Bildhauerin und Pferdeflüsterin, die zuvor in dicht besiedelten Gebieten wie dem Ruhrgebiet und Berlin lebte, fand die Dorfkulisse mit Kirchturm und Pfarrhaus in Starkow so umwerfend, dass sie das Backsteinhaus kaufte und ihre Pferde auf die nahe Koppel brachte. „Es gibt hier mehr Sonnentage als in jedem anderen Landstrich“, sagt sie fröhlich. Farben und Formen ändern sich zu jeder Tageszeit. Das brachte sie auf die Idee, mit Skizzenblock auszureiten. Außer den Kunstritten hat sie Kranichritte, Reitkurse und Therapiereiten im Programm. Als Mitglied des neuen Netzwerkes „Reiten & Meer“ können Wanderreiter bei ihr Quartier buchen.

Zwischen Ribnitz-Damgarten und dem vorpommerschen Küstenhinterland haben sich Reiterhöfe vernetzt, um mit Wanderreitern das naturbelassene Revier zu erkunden. Auf Feldern, Wiesen und Mooren kennt man das Gefühl von Freiheit noch. Man kann mit dem eigenen Pferd reiten oder eines der Anbieter mieten. „Reiten & Meer“ hilft auch bei der Routenplanung, beim Gepäcktransport und organisiert thematische Wanderritte wie „Auf Störtebekers Spuren“, „Reiten in Deutschlands schönster Rapskammer“ oder „Sternritt des Glücks“. Wenn sich andere im Winter hinterm Ofen verkriechen, steigen Pferdeliebhaber in die Bügel zum „Sauwetter-Ritt“ – Regencapes, Schietwetterschnaps und heiße Getränke sind in der Satteltasche.

Am Ende erfüllt sich Reiters Traum vom Strand doch. Nicht überall ist der so schön wie im Ostseebad Dierhagen – herrlich breit, kilometerlang und steinlos. Die hübsche Trakehnerstute Estelle hat ihren eigenen Kopf. Strand ist okay, aber die Hufe bitte nicht nass machen. Da hilft kein Bitten, kein Flehen, auch kein Schenkeldruck; Estelle geht keinen Schritt ins Wasser. Sie gehört zum Hof der Bernsteinreiter, auf dessen Koppeln überwiegend Trakehner grasen. Das Revier von rund 10.000 Hektar umfasst auch die Rostocker Heide und den Dierhagener Forst. „Ein besonders schönes Fleckchen Erde“, sagt Tino Leipold. Er leitet den Verein Bernsteinreiter-Hirschburg und hat die Anlage zu einer der modernsten Mecklenburg-Vorpommerns gemacht. Leipold schwört auf das edle Warmblut, weil es intelligent und menschenbezogen ist. Auf einen Galopp im leichten Sitz lässt Estelle sich dann doch ein. Der Wind pfeift durch ihre Mähne, die Ostsee brandet, und die Möwen drehen ihre Kreise.