Noch immer zieren zahlreiche kleine Reiche das grüne Westkameruner Bergland – dort findet ein Leben zwischen Polygamie, Natur und Religion statt

Comfort gleitet mit den Fingern über das Muschelarmband an ihrem Handgelenk. Um den Hals trägt sie eine Kette aus dicken Plastikperlen, die lackierten Zehen stecken in Badelatschen. Die kräftige Kamerunerin lehnt am Tor zum Versammlungsplatz im Palast von Laikom. Dort hat König Yu Vincent, Herrscher über 42 Dörfer und 130.000 Landsleute, zum Empfang geladen. Comfort bindet ihr Wickeltuch fester um die Hüften, wirft einen Blick auf die hölzerne Königinstatue, die mit schwangerem Bauch den Eingang ziert, und sagt lachend: „Hier tragen alle Königsfrauen ein Muschelarmband aus Stücken Kameruns schönster Strände Seme und Kribi. Es zeigt den Status, den wir in unserem Reich einnehmen. Je mehr Frauen ein König hat, umso bedeutsamer ist er.“ Die 40-jährige königliche Hauptfrau ruft die Kinderschar herbei, die in den sandigen Gassen zwischen den Lehmhütten spielt, und gibt Nebenfrau Anesta ein Zeichen, das Wäscheaufhängen zu unterbrechen. Dann verschwinden sie gemeinsam durch das Tor.

Im Westkameruner Bergland, 300 Kilometer und acht Autostunden nordwestlich der Hauptstadt Yaounde, gibt es noch immer zahlreiche Königreiche. Zwischen tropischem Regenwald, Palmenplantagen und ausgedehnten Grasflächen, neben Kraterseen und Wasserfällen schmiegen sie sich fernab der Städte in das grüne Hinterland der größten Erhebung Westafrikas, des Kamerunbergs. Eine holprige Rundpiste, die Ringroad, verbindet sie – ein Relikt aus deutscher Kolonialzeit. Rotfarbene Sandpisten zweigen von ihr ab und führen hinauf zu den kleinen Reichen aus gemauerten Lehmhütten. Die Einheimischen nennen sie Fondoms und ihre Könige Fons. Sie sind stolz darauf, dass hier Frauen Körbe mit Kartoffeln und riesigen Kohlköpfen auf dem Kopf balancieren und Männer armlange Maniokwurzeln aus dem Busch schleppen. Ein Wohlstand, den es im trockenen Norden des Landes nicht gibt. Dort dörren Hirsefelder vor sich hin, stehen dürre Ziegen in der mageren Steppe. Choa-Nomaden ziehen mit ihrem spärlichen Hausstand auf Eseln umher, ständig auf der Suche nach einem fruchtbaren Rastplatz – unvorstellbar im Westkameruner Bergland und dem kleinen Königreich Laikom.

Hier wartet der 92-jährige Fon Yu Vincent heute seelenruhig auf seinem Thron, einem Gartenstuhl mit buntem Überwurf, auf seine Hauptfrau. Ein hölzerner Baldachin schützt ihn vor der brennenden Sonne. An den Balken hängen handgeschnitzte Figuren und traditionelle Masken. Der Versammlungsplatz, so groß wie ein halbes Tennisfeld, ist gut gefüllt an diesem Januartag: Zwölf Königsfrauen, 60 Kinder, Berater und Gäste hocken gespannt im Schatten der Palastmauern. Sogar die fünfköpfige Leibgarde mit ihrem 87-jährigen Chef Anchang Asama ist dabei. Sie bewacht den Fon zu offiziellen Anlässen. Schließlich ist der alte Mann hier, wo der Stamm der Bamileke heimisch ist, sogar einflussreicher als der kamerunische Staatspräsident.

Die Bamileke, unter mehr als 200 Ethnien Kameruns größte Volksgruppe, blicken auf eine lange Geschichte zurück. Im 18. Jahrhundert von befeindeten Stämmen aus dem Norden in die Hochebenen gedrängt, haben sie die einträglichen Regionen um die Ortschaften Bamenda, Bafoussam und Dschang schnell für sich entdeckt. Heute leben sie hier als angesehene Geschäftsleute, die neben dem Christentum noch immer Naturreligionen anhängen. Dem Animismus ist jeder religiöse Überbau fremd. Heilig im Sinne von Respekt gebietend, aber auch Respekt fordernd, ist die Natur in allen ihren Ausprägungen.

So kommt es nicht selten vor, dass man die Bamileke im Blätterkostüm auf den Straßen tanzen oder zu den Menchum-Wasserfällen pilgern sieht, die sich im dichten Buschland der westlichen Ringroad verbergen. Dort werfen sie Maiskuchen, Kolanüsse und Salz an den Wegesrand, die nackten Oberkörper mit knallrotem Puder bestreut, um Stirn und Hals geflochtenes Gras. Sie blasen in Bambusflöten, schütten Palmöl aus Plastikkanistern in das Wasser und klettern unter den heiligen Strahl – ein Kraftort für Animisten. Die meisten laufen den weiten Weg barfuß aus der Provinzhauptstadt Bamenda, manche kommen aus dem näheren Bafut.

Das Nachbarkönigreich Bafut an der Ringroad entdeckte Eugen Zintgraff im Jahr 1889. Der deutsche Afrikaforscher, der wegen der brutalen Behandlung seiner Träger in der Kritik stand, hatte es unterwerfen wollen. Doch Fon Abumbi I. gab seine Palastschätze nicht kampflos auf, vergrub sie im Wald und steckte anschließend zahlreiche Gebäude in Brand. Mehr als 1000Königsgetreue starben, weitere 300 wurden als Zwangsarbeiter auf deutsche Plantagen in den Süden verschleppt. Den Fon nahmen die Deutschen als Kriegsgefangenen. Erst 20 Jahre später kehrte Abumbi zurück und baute den Palast wieder auf. Im Jahr 2006 eröffnete sein Nachfolger zusammen mit dem deutschen Botschafter das frühere Gästehaus als Museum – eine späte Wiedergutmachung der ehemaligen Kolonialherren.

An den Traditionen im Königreich hat sich derweil nicht viel verändert. „Wir glauben zwar nicht mehr an Wasserzauber oder daran, dass sich unser Fon in eines der königlichen Tiere wie Löwe oder Elefant verwandeln kann, um unser Reich zu schützen. Doch mit dem Ju-Ju-Tanz rufen wir noch immer die Geister“, erklärt Constance, Erstfrau des heutigen Königs Abumbi II. Dabei schlagen junge Männer auf ein leiterlanges Holzxylofon, flöten auf armdicken Bambusrohren, tanzen barfuß oder auf Stelzen in Mänteln aus Milan-Federn – wie in Trance, die traditionelle Maske vor dem Gesicht. Ein lautes und staubiges Spektakel vor dem schönsten Gebäude des Königreiches: dem Zeremonienhaus.

Das ist typisch für die Fondoms im Westkameruner Bergland. Ein Bau prächtiger als der andere, haben die Stammesmitglieder überall ganze Arbeit geleistet: Hunderte von Bambusstreben mal kreisförmig, mal rechteckig aneinandergebunden, Dutzende Holzsäulen mit filigranen Schnitzarbeiten verziert und darauf ein üppiges Strohdach gesetzt. Das Innere des sogenannten Achum bleibt auch heute noch dem Fon und seinen Beratern für Geheimbünde vorbehalten – so, wie es die Tradition verlangt. In Bandjoun, einem der südlicheren Königreiche, hat Fon Honore Kamga die Fußballnationalmannschaft Kameruns auf den Säulen verewigt. Allen voran den Starspieler Samuel Eto’o.

„Vor acht Jahren ist das Zeremonienhaus abgebrannt. Anstatt lange zu trauern, hat jedes Mitglied unserer Sippe daraufhin Holz für neue Säulen hergebracht. In einer Abstimmung haben wir dann beschlossen, Bedeutendes aus unserem Leben in die Balken zu schnitzen“, berichtet Kamga. Und so sieht man Dorfbewohner den Brand verkünden, Aufbauhelfer Stroh binden und Eto’o den Ball kicken. Die Kameruner wissen eben, wie man die Natur zu afrikanischer Kunst macht, ob mit Holz oder Muscheln.