Das Hotel am Steinplatz in Berlin-Charlottenburg war schon exklusives Wohnhaus, Kasino sowie als Szenelokal ein Prominententreff

Heinrich Böll trank in dem Lokal Kaffee, Günter Grass paffte Pfeife. Brigitte Bardot probierte deutsche Küche, selbst Luciano Pavarotti, der Pasta- Liebhaber, tat das. Nur Romy Schneider und Alain Delon stand der Sinn nicht danach. Noch heute gibt es am Steinplatz Anwohner, die sich daran erinnern, dass das Paar sich nachts heftig gestritten habe, sogar vor der Tür.

In den 1960er-Jahren war die „Volle Pulle“ im Erdgeschoss des Jugendstilhauses das, was man heute ein Szenelokal nennt. Die erste Künstlerbar, der die Alliierten nach dem Krieg zustanden, die Sperrstunde nicht einzuhalten. Es war in bester Lage im Bezirk Charlottenburg, keine zehn Gehminuten vom Bahnhof Zoo entfernt. Rings um den Steinplatz überstanden die meisten Altbauten die Bombenangriffe, hier sieht Berlin noch so bürgerlich aus wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

1907 entstand das Haus, das heute das Hotel am Steinplatz ist, das erste Haus der Marke Autograph Collection in Deutschland, betrieben von Marriott International. Ende Dezember war Eröffnung – nach drei Jahren Bauzeit und einer Investition von 32 Millionen Euro. Das denkmalgeschützte Gebäude, dem ein sechstes Geschoss aufgesetzt wurde, ist Berlins 27. Hotel mit Fünf- Sterne-Glanz. Fast kein Zimmer hat denselben Grundriss wie ein anderes, sie wurden vom Innenarchitekten Tassilo Bost individuell eingerichtet. Die Deckenhöhe liegt bei 3,40 Metern.

Anfangs war der prachtvolle Bau ein Wohnhaus für betuchte Bürger. Architekt August Endell, der auch die berühmten Hackeschen Höfe schuf, konnte pompös bauen. 1913 wurde das Haus zum ersten Mal als Hotel eröffnet. Die Geschichte danach war wechselhaft: Die Nazis machten daraus ein Offizierskasino, nach dem Krieg wurde es Grand Hotel, 1976 Altenheim, um die Jahrtausendwende musste es schließen wegen Verfalls. Nun leuchten die floralen Ornamente wieder, mit denen die Frontfassade übersät ist, aber auch viele Teilbereiche im Innern.

Die neuen Betreiber haben diesen Gestaltungswillen aufgegriffen, bis hin zur Auswahl des Mobiliars und der Vasen gibt sich das Hotel total floral. Anstelle von Bildern in den Fluren gibt es in jeder Etage dasselbe digitale Bild einer Vase, die auf dem Bildschirm schwebt. Zur alten Handschrift des Hauses, modern übersetzt, gesellt sich die Top-Technik von Marriott. Selbst der Türspion ist digital; klopft jemand, sieht man auf einem Mini-Bildschirm, wer vor der Tür steht.

Das Interieur interpretiert die 20er-Jahre zeitgenössisch, damals war Berlin die in Europa am meisten bewegte Metropole. Für die Ausstattung der Räume fand man das beste Holz und Leder, dazu in die Wand eingelassene Flachbildschirme, iPod Docking Station, kostenfreies WLAN, großzügige Bäder mit hochwertiger Bio-Kosmetik. Ein Gag ist die Mini-Bar, gefüllt mit Säften und Alkoholischem aus der Region: Local Vodka, die Kreation eines Berliner Start-ups, oder Mineralwasser aus der Preußenquelle im brandenburgischen Rheinsberg.

Auch im Restaurant dominiert Regionales. Sternekoch Stefan Hartmann setzt auf modern inspirierte deutsche Küche mit saisonalen Schwerpunkten. Im Hof wird ein Kräutergarten angepflanzt. Selbst die Bar greift das auf: Cocktails tragen Namen wie „1913“ oder „Volle Pulle“, der Martini mit Steinpilzen erfreut sich großer Beliebtheit. Die meisten Mitarbeiter stammen nicht aus der klassischen Hotellerie, sondern aus der Berliner Szenegastronomie. Überhaupt begeht das Management einen Sonderweg: „Wir kooperieren mit der C/O-Galerie, die aus Mitte in die City West ins Amerikahaus gezogen ist“, sagt PR-Frau Sarah Weinknecht. „Bilder junger Fotografen stellen wir in der Lobby aus.“ Mit der Universität der Künste ist das Programm „Artist in Residence“ geplant, zudem werden Architektur- und Kiez-Touren angeboten.

Während das 400 Meter entfernte Hotel Waldorf Astoria auf den angelsächsischen Markt schielt, will das Hotel am Steinplatz auch russische Geschäfts- und Privatreisende anziehen. Nach der Oktoberrevolution war Charlottenburg von emigrierten vermögenden Russen zu „Charlottengrad“ gemacht worden, Hunderte Familien aus dem untergegangenen Zarenreich drängte es in den Westen der Stadt. Noch heute leben viele Russen hier. Ältere kennen das Gebäude noch von früher, haben seinen Verfall erlebt und nun seinen neuen Anfang.