An den schönsten Stränden im Nordosten von Brasilien geben nicht nur Fußballer Gas, sondern vor allem die Beach Buggys

Odualdo fährt Schlangenlinien um ein paar Badelaken, lässt seinen Wagen einen Haken vorbei an Strandfußballern schlagen, und mehr als eine Sekunde lang scheint es so, als wollte er einen Schuss aus der Ferne unbedingt mit der Motorhaube aufnehmen und ihn ins aus zwei Stückchen Treibholz im Nirgendwo der brasilianischen Küste improvisierte Tor bugsieren: Er winkt, lacht, lenkt, ruft etwas, lacht wieder, lenkt noch mal – und hat das Spielfeld mit seinem blauen Buggy schon wieder hinter sich gelassen.

Die Feierabend-Fußballer hier am Strand bei Morro Branco im Nordosten kennen das schon, finden das lustig, rufen Kalauer, die der Wind in die Gegenrichtung verschleppt, ehe die Worte Odualdo Almeida hinter seinem Fahrersitz erreicht haben: Sie kennen sich, und die Grenzen sind fließend. Wer nicht gerade Fußball spielt, ist entweder Fischer oder Buggy-Fahrer. Und wer nicht gerade fischt oder motorisiert bei Ebbe über den harten, flachen Sand rast und irgendwann hinter den Dünen in Richtung Lagune von Uruau verschwindet, der spielt Fußball im Sand. Ob sie wissen, dass die deutsche Nationalmannschaft eine Autostunde von hier in Fortaleza, der fünftgrößten Stadt des Landes, gegen Ghana antreten wird (21.Juni)? „Klar“, sagt einer, „natürlich“, ein anderer. Wer gewinnen wird? Sie lachen und sind sich einig: „Ganz am Ende Brasilien. Natürlich.“

Der Sand, das Salz – einmal im Jahr braucht der Buggy einen neuen Motor

Bei Ebbe ist der Strand hier fast 100 Meter breit, der Sand bretthart. Und Dutzende Kilometer lang ist er sowieso. Dann kurven hier ein paar Dutzend von den Buggys entlang: in Dunkelblau wie der von Odualdo, in knalligem Orange, in Rot, in Weiß. Und manchmal ist einer dazwischen, der schwarz-weiß lackiert ist und ein blaues Blinklicht auf dem Holm hat: Dann mischt die Polizei mit und ist auf Patrouille.

Ein paar Leute, die es sich leisten können, besitzen solche Buggys als persönliche Spaß-Fahrzeuge. Das sind die, die in Fortaleza leben und am Wochenende in ihr Ferienhaus hierherkommen. Die meisten der Gefährte aber kurven als Strand-Taxi hin und her: um Fahrgäste mal eben die zehn Kilometer am Wasser entlang nach Barra do Sucatinga zu bringen, statt die dreifache Strecke um den Dünengürtel herum im herkömmlichen Auto über die Landstraße nehmen zu müssen. Mehr noch aber nutzen Urlauber die flotten Cabrios mit der harten Federung und den unbequemen Sitzen: um ein oder zwei Stunden lang auf große Fun-Fahrt an den Wellen des Südatlantik entlang und hinein in die Dünen zu gehen. Vermietet werden sie nach dem Taxi-Prinzip: mit Fahrer. Und selbst die stecken oft genug im Dünensand fest. Aber anders als Selbstfahrer kennen die Profi-Piloten ein paar Tricks, um wieder herauszufinden... Wie oft das geschieht? Odualdo sagt grinsend: „An guten Tagen einmal. An schlechten Tag gar nicht, weil wir neben der Beach-Bar erfolglos auf Passagiere gewartet haben.“

Preiswert sind die Buggy-Expeditionen nicht. Mit 50 Euro pro Stunde muss man kalkulieren. Die Fahrer haben trotzdem genauso wenig davon wie die Besitzer der Gefährte. Das Geld fließt vor allem in Reparaturen. Odualdo ist beides zugleich, hat vor acht Jahren seinen derzeitigen Buggy gebraucht gekauft und umgerechnet 3000 Euro dafür hingeblättert. Gebaut wird das Modell auf Basis der Bodenplatte des alten VW-Käfer seit 1995 nicht mehr. „Das Fiberglas hält gut“, sagt er, „aber die Metallteile müssen oft ausgetauscht werden, korrodieren im Seewind, und manchmal fahren wir durchs seichte Wasser. Das macht Spaß – aber gut für den Buggy ist das nicht. Einmal im Jahr brauche ich einen neuen Motor: der viele Sand, das Salz. Das setzt ihm zu.“

Was den Reiz der Buggyfahrt ausmacht? Es ist dieses Gefühl, es ist der warme Fahrtwind und der Ausblick in alle Richtungen – nicht der Komfort, denn der ist in fast allen Achterbahnwagen dieser Welt größer. Vor allem ist es diese Straße, die es gar nicht wirklich gibt – diese Piste, die erst beim Fahren entsteht und auf der man nur mit diesen Dingern unterwegs sein kann. Der Reiz liegt auch darin, etwas zu tun, was zu Hause nicht geht – weil es nicht erlaubt ist. Weil der eigene Wagen es nicht mitmacht. Und weil das Wetter nicht passt.

Odualdo dreht erst die Musik lauter, lässt Sambaklänge aus den übergroßen Boxen schallen, steuert ein kleines Strandrestaurant an, beschallt es vom Wagen aus, während er längst an einem der wackeligen Holztische Platz genommen hat: Zeit für einen Boxenstopp und für eine Stärkung, für frittierte Camarão – fangfrische Krabben – mit einem Dip aus Kokosmilch, Koriander und Zwiebeln zum Beispiel, für Antarctica-Bier für die Passagiere, eine große Cola für den Fahrer.

Fischer haben die Krabben vor ein paar Stunden aus dem Atlantik gezogen, waren mit ihren flachen Jangada-Segelbooten draußen, hocken jetzt am Nebentisch und prosten sich mit Cachaça zu: Feierabend. Und weil einer so nett fragt, dreht Odualdo schnell mal eine Runde mit ihm durch den Sand.

Die Dörfer am Meer haben zwar Straßenanschluss Richtung Hinterland, doch die meisten Leute verlassen ihre Welt aus ein paar Häusern, dem Tante-Emma-Laden und der Kapelle allenfalls mal zu Fuß über den Strand Richtung Nachbarort oder segeln mit ihrer Jangada hinaus. Und abends sitzen sie zum Plaudern zusammen – oder vorm Fernseher. Die Kinder sehen mehr von der Welt als die Generation ihrer Eltern und Großeltern: Sie holt morgens der Schulbus ab.

Die Sonnenbrille mit Goldrand nimmt man erst zum Schlafengehen ab

Hotels haben an der Küste des Bundesstaates Ceara abseits von Fortaleza Seltenheitswert. Es gibt ein paar, aber viele sind es nicht – erstaunlich wenige für einen so prachtvollen Strand. Brasilianer auf Inlandsurlaub kommen hierher, Wochenendgäste aus der Großstadt, ein paar Argentinier. Deutschsprachige Urlauber sind die Ausnahme.

Wird die Fußball-WM das ändern? Raimundo Tomas von der Assoziation der Buggy-Fahrer aus dem Ort Beberibe hofft das: „Wir sind knapp 90 Leute, organisieren uns, helfen einander, nehmen dieselben Preise. 20 Prozent sind Angestellte, den meisten aber gehören die Wagen, die sie fahren. Wenn nach der WM mehr Urlauber unsere Strände entdecken, werden wir mehr, verdienen besser. Das wäre gut!“ Er strahlt. Die Vorstellung gefällt ihm.

Warum unterdessen Odualdo die Sonnenbrille mit dem Goldrand nicht abnimmt? „Tut man nicht“, sagt er und grinst, „ist uncool.“ Cool zu sein ist hier wichtig – vor allem, wenn man Beach Buggy fährt. „Die nehm ich nur zum Schlafengehen ab“, sagt der schlaksige Typ. „Nicht mal nachts in der Bar, erst im Bett. Und im Dienst schon gar nicht.“