Die „Hamburger Skihütte“ liegt mitten im Salzburger Land, einem der schönsten Wintersportgebiete Österreichs. Nach Liftschluss genießen die Gäste hier exklusive Einsamkeit

Unvermittelt hat heftiger Schneefall eingesetzt. Ohne erkennbare Choreografie drehen Flocken Pirouetten, fahren kalt in den Kragen, nehmen die Sicht und bald auch den Spaß. Die Sehnsucht nach dem wohlig warmen Zuhause ist groß, doch vom Gasteiner Tal im Salzburger Land liegt Hamburg rund 1000 Kilometer entfernt. Eigentlich.

Wenn nicht wie eine Fata Morgana durch den weißen Flockenvorhang die rot-weißen Fensterläden einer ganz besonderen Vertretung der Hansestadt leuchten würden: die Hamburger Skihütte! Sie ist eine Anlaufstelle für Wintersportler mitten im Salzburger Land, einem der schönsten Skigebiete Österreichs, ein Haus des Deutschen Alpenvereins (DAV) und eine von insgesamt fünf Hütten der Sektion Hamburg und Niederelbe e.V. Man muss sich die Hütte verdienen, denn nur über die Skipiste ist sie erreichbar. Eine einfache Abfahrt führt von der Bergstation der Seilbahn von Bad Hofgastein dorthin, das Gepäck wird mit dem Skibob abgeholt.

Noch eine konzentrierte Abfahrt im Schneegestöber auf der Schlossalm bewältigt und dann den Einkehrschwung genommen! In der urigen Hütte ist schon Frohsinn angesagt, und für die Neuankömmlinge gibt es kein Entrinnen vor dem schrägen Cocktail „Istwan“, den der Hüttenwirt ungefragt auf den Tisch stellt. Vorglühen auf den Sommer in St.Petersburg? Karibik-Feeling im tiefen Winter auf 1970 Metern über dem Meeresspiegel? Wie auch immer: Ist das Glas geleert, sind selbst schockgefrostete Zehen wieder aufgetaut. Daheim! Der gemütliche Teil kann beginnen.

Gegen 16 Uhr setzen die meisten Tagesgäste zur Talfahrt an. Ein leichtes Bedauern ist zu spüren. Lieber würden auch sie jetzt hier übernachten, ungestraft noch „a Glaserl Roten“ trinken und morgen früh die ersten Spuren ziehen im frisch gefallenen (oder von Skikanonen erzeugten) Schnee. Lange bevor sie unten einen Parkplatz suchen und sich einreihen müssen an der Standseilbahn von Bad Hofgastein.

Ein bisschen schadenfroh rücken die verbliebenen Hüttenhocker in der warmen Stube noch enger zusammen, genießen den Hauch von exklusivem Abenteuer in einer einsamen Berghütte und das Gefühl der Überlegenheit hoch über all den schicken Hotels im Gasteiner Tal. Werner Wirth wirbelt als Chef in der Küche herum, um mit dem Küchenteam Wiener Schnitzel zu bereiten, Cordon bleu, Linseneintopf mit Knödel oder – die Spezialität des Hauses – Kalbs- und Schweineripperl. Nein, er hat sich seinen Beruf nicht nach dem Namen ausgewählt, versichert Werner Wirth. Sondern weil er ihm Spaß macht. Und zwar nun schon seit fast drei Jahren, nachdem er als Journalist und in der Versicherungsbranche tätig war. Seit März 2011 verbringt er gemeinsam mit Beate Spörr als Pächter die Wintersaison auf der Schlossalm. Fast eine Familiensaga. Denn schon 1948 übernahm Werners Onkel Hans die Hütte. 1935 wurde sie als Jagdhütte gebaut und 1939 vom DAV als Hamburger Skiheim erworben. 1987 erhielt sie eine große Holzterrasse, der altbackene Name wurde in Hamburger Skihütte umgeändert. 2010 war eine weitere Modernisierung fällig. „Wir waren so naiv zu glauben, mit 250.000 Euro auszukommen“, bekennt Hüttenwart Horst Hass vom DAV Hamburg und Niederelbe e.V. „Insgesamt belief sich die Sanierung schließlich auf eine halbe Million Euro. Da haben wir erst mal gezuckt. Doch schließlich haben wir es gern gezahlt, weil das Haus jetzt in puncto Sicherheit und Umweltfreundlichkeit auf neuem Stand ist.“

45 Personen finden Unterkunft in Doppelstockbetten, Warmwasserduschen gibt es auf jedem Flur. Ausgezeichnet ist die Qualität des Wassers, das aus der eigenen Quelle am Haus sprudelt.

80 Prozent der Klientel sind Stammgäste – darunter auch viele Familien der Hamburger Polizei –, und die lieben ihre Hütte. Das verrät nicht nur der Blick ins Gästebuch, sondern auch das Gespräch mit Holger und Stefanie Jaap aus Geesthacht, die mit ihrer zehnjährigen Tochter Anneke nun schon zum dritten Mal hier oben Winterurlaub machen. Vor zwei Jahren haben sie dann auch ihre Freunde Katrin und Björn Keller aus Oststeinbek mit den Kindern Torben, 14 Jahre, und Birte, zwölf Jahre, mitgebracht. „Uns gefällt die Superlage und das gute Essen – hier fühle ich mich wie zu Hause“, sagt Torben.

Wenn sich die beiden Familien bis zur Sperrstunde um 23 Uhr mit Brettspielen beschäftigen, klinkt er sich schon mal aus, um sich über den Tablet-Rechner mit seinen Freunden auszutauschen (WLAN gibt’s in der ganzen Hütte). Tagsüber gehen die Kinder in die Snowboardschule, und wenn das Wetter zu schlecht ist, besuchen alle zusammen die Felsentherme Gastein. Doch solange kein Schneesturm die Sicht versperrt, wird gewedelt, was das Zeug hält. Am nächsten Morgen hält es niemanden mehr am Frühstückstisch. Schließlich gilt es, den unbezahlbaren Vorteil auszunutzen, direkt vor der Hütte die Bretter oder die Schneeschuhe, die Werner Wirth ausleiht, anzuschnallen und als Erster durch den unberührten Neuschnee zu gleiten. Allein die Schlossalm verfügt über zehn Liftanlagen und 51 Kilometer Piste – davon sind die meisten vom Anspruch her mittelschwer.

Der Ausgangspunkt zur Hohen Scharte Nord, mit 10,5 Kilometern und 1460 Metern Höhenunterschied die längste Abfahrt der Ostalpen, liegt nur einen Lift entfernt oberhalb der Hütte. Jeden Montag laden die Gasteiner Bergbahnen und die Schneesportschule zu einer kostenlosen Skisafari ein, um das Areal zumindest teilweise zu erkunden. Nicht zu schaffen an einem Tag sind die vier Skigebiete im Gasteinertal mit insgesamt 220 Pisten-Kilometern – und erst recht nicht der riesige Verbund Ski amadé mit 760 Pisten-Kilometern.

„Manche Gäste machen es auch umgekehrt“, sagt Werner Wirth. „Sie genießen Wellness in den Thermen im Tal und fahren erst abends wieder zur Hütte, um dort zu essen, zu feiern und zu übernachten.“

Erholung zwischen Skisafari und Abreise beim letzten Topfenstrudel, dem köstlichen fetten Quark, mit Zwetschgen auf der Sonnenterrasse. Fröhlich geht es wieder zu, der Fokus scheint nicht auf der Zeit zu liegen. Trotzdem muss man jetzt höllisch aufpassen, um den Absprung nicht zu verpassen. Nach 17 Uhr lässt der Hüttenwirt(h) niemanden mehr ziehen. Zu groß ist seine Verantwortung, dass seine Gäste heil bleiben; zu leichtsinnig werden die Gäste nach ein paar Gläsern „Schusswasser“. Einige bleiben also wieder oben hängen, obwohl ihr Hotelbett im Tal steht. Sie werden es mit einem Achselzucken hinnehmen, einfach weiterfeiern, den Sonnenuntergang über den Bergriesen genießen und im Grunde genommen ganz froh über ihre Festsetzung sein. Reue sieht anders aus.