Die alte Königsresidenz Luang Prabang in Laos hat sich zum Lieblingsziel Asienreisender entwickelt – und doch ist dort die Pagode im Dorf geblieben

Auf 326 Stufen bereitet der eine Reiseführer seine Leser vor, auf 328 ein anderer, ein dritter Autor hat 329 gezählt. Und einer dieser gedruckten Guides meint allen Ernstes, auf dem Phou Si, dem heiligen Berg im Herzen von Luang Prabang, auf dessen Gipfel diese vielen Stufen führen, gäbe es „eigentlich nichts Besonderes“ zu sehen.

Gezählt habe ich die Stufen nicht, dazu war ich viel zu abgelenkt. Einmal hat mich auf dem Wege nach oben ein Kindermönch in einem Wat, wie in vielen Ländern Südostasiens die Klöster und Tempel heißen, in ein „Gespräch“ verwickelt. Er kannte gut ein Dutzend englischer Wörter, ich nicht einmal halb so viele laotische. Aber wir haben uns bestens verstanden und viel gelacht, zum Beispiel über Gesandte des chinesischen Kaisers sowie Händler und Missionare aus dem Europa des 17. Jahrhunderts, die im Wat Pa Khe am Fuße des Phou Si wie Karikaturen in die Holztüren geschnitzt sind.

Ein andermal hat mich ein alter Mann, eine Art emeritierter Mönch, ins Innere des Wat Pa Huak begleitet; das „Kloster des Bambuswaldes“ liegt unweit des ehemaligen Königspalastes direkt unterhalb des heiligen Berges. Auf großflächigen Wandmalereien ist dort unter anderem der Gott Indra zu sehen, der auf dem dreiköpfigen Elefanten Airavata reitet.

Hier der friedliebende Erleuchtete und da der Hinduheilige der Krieger, in allem das Gegenteil des Buddha. Andere Szenen zeigen Jambupati, einen legendären König, der von Buddha bekehrt und gekrönt wurde. Lange mag man den Bildern nachsinnen, die einen weiteren Beleg für die Verschmelzung der beiden großen Religionsphilosophien Asiens darstellen, wie sie in Südostasien häufig anzutreffen ist.

Ein besonders imposantes Wandbild spiegelt Luang Prabang als himmlische Stadt. Und irgendwie ist sie das auch in der Realität: viel besucht, aber noch nicht zu Tode geliebt. Für Asienreisende aller Art, für Traveller wie für Kulturpilger, ist sie ein besonders favorisiertes Etappenziel auf dem Trip durch Südostasien geworden. Erst recht für Genießer, die nachmittags über Stunden in einem der Restaurants am Mekong hocken, dem Treiben am und auf dem Strom zuschauen und dem Sonnenuntergang entgegenträumen.

Zum Beispiel am Wat Phra Bath Tay, im Süden der Stadt. Die Besucher aus dem Westen kommen weniger wegen der Legenden, die sich an dieser Stelle um einen mythischen König und eine mächtige Naga-Schlange ranken, sondern, um den Feuerball hinter den Bergen am Westufer des Mekong untergehen zu sehen – ein Schauspiel, dessen himmlischer Regisseur vor dem letzten Vorhang unglaubliche Lichtreflexe auf den Fluss zaubern lässt.

Stellt sich danach wirklich noch die Frage, was den Zauber dieser Stadt ausmacht – es ist die entspannte Atmosphäre, es sind die Bars und Cafés in den restaurierten Kolonialgebäuden und die Restaurants auf der Promenade über dem Mekong, es ist der inzwischen zwar ziemlich touristische und dennoch exotische Nachtmarkt, und es sind am Abend die verführerischen Düfte aus den vielen Garküchen zwischen alter Post und Mekongufer.

Luang Prabang, um 1350 als Hauptstadt des legendären „Königreichs der eine Million Elefanten“ gegründet, liegt auf einer Landzunge am Zusammenfluss von Mekong und Nam Khan. Bereits beim Anflug beeindruckt der breite Strom, Sandbänke sind zu sehen und gleich darauf Dutzende goldener und roter Dächer, die meisten davon gehören zu einem Wat. Luang Prabang, gerade mal 30.000 Einwohner habend, ist die Stadt der Pagoden, 32 zählen die Reiseführer auf, aber es sind, mit den heiligen Stätten in der unmittelbaren Umgebung, wohl an die 100.

Als ich zu Beginn der 90er-Jahre das erste Mal in diese Stadt kam, der Eiserne Vorhang in Europa war gerade hochgezogen, der Bambusvorhang in Südostasien aber noch recht stabil, war Luang Prabang im Westen noch kein Begriff, in keinem Reisekatalog war Laos damals vertreten. Seinerzeit habe ich im Freundschaftshotel gewohnt. Der Blick ins Reisfeld war traumhaft, der Komfort in den Zimmern bescheiden. Das eine hat mich gefreut, das andere nicht gestört. Es hätte ohnehin kaum eine Alternative gegeben; allenfalls wäre ein Schlafplatz in Klöstern möglich gewesen oder, mit etwas Glück, bei einer der skandinavischen Hilfsorganisationen, die als Minenräumer halfen, den Schrott und die Traumata der Kriege zu minimieren.

Damals wirkte ganz Luang Prabang wie ein großes Monasterium, sehr still, sehr friedlich. Kein Hotel organisierte, wie es inzwischen üblich geworden ist, frühmorgens den Ausflug zum Tak Bat, dem rituellen Einsammeln der Morgengabe für die Mönche. Einige Nobelherbergen stellen ihren Gästen sogar Deckelkörbchen, mit Klebreis gefüllt, zur Verfügung; es soll so authentisch wie möglich zugehen. Manche Hoteldirektoren sind überzeugt, damit eine Form des sanften Tourismus zu praktizieren; sensible Reisende halten die Geste hingegen bestenfalls für gut gemeint, was ja eher selten aufs Gute hinausläuft.

Die Auswahl an Hotels ist so vielfältig wie das Angebot an Lokalen und Bars. Mit etwas Glück lässt sich ein Zimmer mit Blick auf den Phou Si buchen. Von der Terrasse der Residence Phou Vao beispielsweise, der Name bedeutet Drachenberg und steht für die wohl schönste Unterkunft der Stadt, schaue ich frühmorgens zu, wie die ersten Sonnenstrahlen den goldenen Kegel auf der Bergspitze ausleuchten. Das Hotel hat sich eine Philosophie zugelegt, die zum Gegenüber des heiligen Berges passt.

Gärtner Pheng beispielsweise ist Teil dieser sanften Gesinnung. Er ist unter anderem zuständig für die Geisterhäuser, die übers weiträumige Gelände verteilt sind. In jedem dieser Häuschen, die auf den ersten Blick wie Vogelkästen aussehen, wohnt ein Buddha, von frischen Blumen umrahmt. Für sie sorgt Pheng fast noch ein wenig liebevoller als für den Kräuter- und Gemüsegarten oder das Grün rund um das Spa-Haus, einen kleinen, feinen Tempel der Wohlgerüche und des Wohlbefindens.

Wer sich in der Stille der Klöster verlieren mag, kann über Tage und Wochen von einem Wat zum anderen wandern, Glasmosaiken bestaunen im Xieng Thong, dem kunsthistorisch bedeutsamsten Tempel, oder vor den zahlreichen Statuen Buddhas die Andacht der Gläubigen respektvoll teilen. Abends, wenn die Hitze vom milden Wind verweht wird, trifft sich gamz Luang Prabang in den kleinen Open-Air-Restaurants am Fluss. Zeit, die Eindrücke zu ordnen, ein kühles Beerlao oder einen tropischen Cocktail zu trinken.

Irgendwann aber wird man dann doch aktiv werden wollen, zum Beispiel auf Elefanten reiten in einem Camp in der Umgebung von Luang Prabang. Oder hinaus in die dörflichen Vororte radeln. Die meisten dieser Ban sind jeweils einem Handwerk gewidmet, den Seidenwebern, den Holzschnitzern und den Papiermachern, die ihren Stoff aus der Rinde des Maulbeerbaumes gewinnen. Die Szenerie ist ländlich geblieben, trotz steigender Touristenzahlen hat sich ein Hauch des alten Asiens erhalten.

Oder man wird mit dem Tuk-Tuk, der dreirädrigen Motorrad-Rikscha, zu den Wasserfällen von Tad Kuang Si fahren und dort in den Kaskaden baden wollen. Und man wird, das ist ein Muss, mit einem Langboot zu den heiligen Höhlen von Pak Ou tuckern, die nur auf dem Wasserweg zu erreichen sind. Tausend und abertausend Buddhafiguren bewachen dort den Fluss, seine Geister und seine magischen Kräfte.

Wohl nirgendwo auf seinem langen Weg vom Himalaja ins Delta von Vietnam zieht der Mekong seine Besucher so nachdrücklich in den Bann wie in und um Luang Prabang. Wer Zeit und den richtigen Blick hat, wird hier dem Mythos dieses großen Stromes ganz nahe kommen. An seinen Ufern spielen, heute wie vor dem touristischen Zeitalter rotznäsige Kinder mit Reifen, Männer werfen in hohem Bogen ihre Netze aus, auf einer Sandbank wird Schnaps aus Reissud destilliert. Lao-Lao heißt dieser nationale Fusel, und er ist so berühmt wie berüchtigt.