Die Schönheit der russischen Küstenregion am Schwarzen Meer soll der Welt mit den Olympischen Spielen zugänglich gemacht werden

Russen bekommen leuchtende Augen, wenn sie das Wort hören: „Sotschi“– das klingt nicht nur nach Olympischen Winterspielen, nach Langlauf, Bobfahren und Eishockey. In russischen Ohren klingt das auch nach Palmen und Lianen-umschlungenem Immergrün in verwunschenen Wäldern, Hünengräbern, Wasserfällen in wilden Canyons, Thermalquellen und gletscherbedeckten Bergen in einem Naturreservat von wilder Schönheit. Nirgendwo in Europa (und wohl auch nicht weltweit) gibt es eine Landschaft, die so kontrastreich ist wie die russische Küstenregion am Schwarzen Meer.

Es weiß nur kaum jemand außerhalb Russlands. Das, so hoffen die hier zu Füßen der Gipfel des Westkaukasus lebenden Menschen, wird sich mit den Spielen, die am 7. Februar, beginnen, ändern. Dominierten bisher Negativschlagzeilen zu den ökologischen Risiken und den miserablen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen die Sotschi-Berichterstattung, dürfte mit der Bildberichterstattung der Medien über die Spiele mehr und mehr die Schönheit der Natur in den Vordergrund rücken.

Sotschi ist die größte Stadt einer gleichnamigen Region, zu der ein gutes Dutzend Ortschaften und 146 Kilometer Küste gehören. Schon die Zarenfamilie, höchste Beamte und Industrielle erwarben an der „russischen Riviera“ Land. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden viele große Sanatorien, und in den 60er-Jahren verwandelten sich die Strände, die Palmen- und Magnolienalleen von Sotschi in den alles überstrahlenden Sommerurlaubstraum, den sich Millionen Sowjetbürger alljährlich erfüllten.

Der vorolympische Bauboom beendete Sotschis nachsowjetischen Dornröschenschlaf. Die Milliarden-Investitionen flossen nicht nur in den Bau der Sportstätten, sondern vor allem in die Infrastruktur, die bisherige Achillesferse der Region. Ein russisches Sprichwort lautet: Eigentlich wollen wir immer nur das Beste, aber was herauskommt, ist immer das Gleiche! – ergo: Niemand weiß, ob sich die Investitionen auszahlen werden und damit Staus, Luftverschmutzung und lange Fahrtzeiten von Ort zu Ort dann wirklich der Vergangenheit angehören. Die Hoffnung aber ist groß, denn ab diesem Jahr sollen in Sotschi Formel-1-Rennen stattfinden, und im Sommer 2018 werden einige Spiele der Fußball-WM hier ausgetragen. Was auch immer passiert – der eigentliche Reichtum Sotschis ist die Vielfalt seiner Natur auf engstem Raum: die mit subtropischem Mischwald dicht bewachsenen Berg- und Karstlandschaften der Küstengebirge, die Hochgebirgswelt des Kaukasus, der Botanische Garten (Dendrarium) von Sotschi-Stadt und der Park der südlichen Kulturen im äußersten Süden, in Adler. Genau zwischen Adler und Sotschi-Stadt, an den Hängen des 663 Meter hohen Berges Achun, befindet sich der zum Weltnaturerbe der Unesco gehörende Eiben- und Buchsbaumhain.

Das Einzigartige des Hains besteht darin, dass sich im feuchten und warmen Küstenklima eine einmalige subtropische Wald-Flora mit einer immensen Artenvielfalt bewahrt hat. Lianen, Moose, Baumfarne und der von den Zweigen herabhängende Efeu verleihen ihm seine üppige Fülle.

Ebenso zum Weltnaturerbe gehört das Westkaukasische Biosphärenreservat, das sich über die Hochgebirgslandschaften der bis zu 3360 Meter über dem Meeresspiegel aufsteigenden Bergketten erstreckt. Am Hang des Berges Fišt, des westlichsten der Gipfel, befindet sich in 1980 Meter Höhe einer der am niedrigsten gelegenen Gletscher Europas. Die kaukasische Bergwelt fasziniert durch die enorme Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren ebenso wie durch Dutzende Wasserfälle mit bis zu 100 Meter Fallhöhe, wilde Bergschluchten und die mehr als 100 im Sommer von blühenden Blumenteppichen und kaukasischem Rhododendron eingefassten Bergseen.

In den vergangenen Jahren unternahm die Verwaltung des Reservats Anstrengungen, den sanften Tourismus zu fördern. Die für Touristen offenen Wanderrouten sind auf mehrere Tage angelegt. Man benötigt für sie einen vom Reservat ausgestellten Passierschein und ebenso einen Bergführer, da die meisten Pfade nicht markiert sind.

Die beiden zu Sotschi gehörenden Bergdörfer Krasnaja Poljana (Schöne Lichtung) und Esto-Sadok (Estnischer Garten) haben am meisten von den Olympischen Spielen profitiert. Sie liegen nur rund 40 Kilometer vom Meer und dem internationalen Flughafen in Adler entfernt und sind in wenigen Minuten mit dem Zug und auf zwei Straßen erreichbar. In ihrer Umgebung entstanden im Vorfeld der Olympischen Spiele die alpinen Sportanlagen sowie Dutzende neuer Hotelsiedlungen. Berühmt sind die Hänge um das Tal im Winter für ihren Pulverschnee, der durch das Zusammentreffen verschiedener meteorologischer Faktoren in großen Flocken fällt und in manchen Nächten bis zu einen Meter Neuschnee beschert. Die Küste ist durch das milde Klima und die natürlichen Bedingungen das ganze Jahr über ideal für Kuren.

„Macesta“ (brennendes Wasser) nennen die Einheimischen das schwefelhaltige Mineralwasser aus den Quellen im Tal des gleichnamigen Flusses südlich von Sotschi-Stadt. Dieses Wasser ist das eigentliche Geheimnis von Sotschi. Es weist eine einmalige Zusammensetzung aus Jod, Brom, Radon, Fluor und anderen Mikroelementen auf. Mehr als 150 Krankheiten werden mit dem Mineralwasser behandelt.

Dass sich hier nur wenige ausländische Gäste tummeln, liegt zum einen an den fehlenden touristischen Traditionen und zum anderen an der Unkenntnis der westlichen Welt über die Schätze der Region. Zwischen Adler und Sotschi-Stadt gilt das Wasser zudem als nicht besonders rein. Erst im Norden, ab dem Badeort Loo, gibt es naturbelassene Strände. Noch! Denn man muss kein Prophet sein, um Sotschi ein großes Potenzial als Destination für Aktivurlauber vorauszusagen. Skifahren und Wandern, Baden und Kuren – die Mischung stimmt einfach.