Ende Januar kommt Nelson Mandelas verfilmte Autobiografie in die Kinos – nur wenige Wochen nach dem Tod des südafrikanischen Freiheitskämpfers. Soweto, Johannesburg, Robben Island – wie sehen heute die Orte aus, die einst sein politisches Leben prägten?

Genau hier in Johannesburg hat es begonnen. In den wuseligen Straßenzügen im Stadtteil Ferreirasdorp, damals eine „non-white area“, war aus einem 1918 in der Provinz Transkei geborenen Hirtenjungen jener Nelson Mandela geworden, der bereits Anfang der 50er-Jahre für Furore sorgte im Südafrika der Apartheid. Im Chancellor House, einem Gebäude an der Fox Street 25, hatte Mandela zusammen mit Oliver Tambo (dem späteren ANC-Führer im Exil) eine Anwaltskanzlei eröffnet, um jenen mittellosen Schwarzen beizustehen, die immer wieder ins nahe gelegene Gerichtsgebäude zitiert wurden. Meist ging es darum, dass sie jenes „Pass-Buch“ nicht bei sich gehabt hatten, in dem penibel die Hautfarbe eingetragen war – ein Instrument der herrschenden National Party, um Bewegungsfreiheit einzuschränken und eine freie Arbeitsplatz-Wahl unmöglich zu machen. Und selbst die Kanzlei Mandela & Tambo konnte nur existieren, weil es indischstämmigen Hausbesitzern zeitweilig erlaubt war, an Schwarze zu vermieten.

Wer heute durch das lebendige und weiterhin von südafrikanisch-indischen Läden geprägte Viertel rund um die Diagonal Street streift, bekommt immerhin eine Ahnung von der damaligen Atmosphäre: multiethnisches Stadtleben im Schatten des Polizei-Hauptquartiers (in welchem auch der 1977 ermordete Studentenführer Steve Biko festgehalten wurde), anderer Hochhäuser sowie besagten Gerichtsgebäudes. Allerdings: Heute steht just davor eine Statue des elegant boxenden Mandela, der seinerzeit im Gerichtssaal wie auch im Boxring beträchtliches Aufsehen erregt hatte. Dazu erzählen in den Erdgeschossfenstern des frisch renovierten Chancellor House Texte und Bilder von den Anfängen jenes Mannes, den inzwischen fast alle im Land liebevoll bei seinem Stammesnamen nennen: Madiba. Am 5. Dezember 2013 ist er im Alter von 95 Jahren gestorben, als Nationalheld und Weltstar, der 27 Jahre in politischer Gefangenschaft verbringen musste, 1994 Südafrikas erster schwarzer Präsident wurde und 1993 den Friedensnobelpreis erhielt, weil er wie kein Zweiter zur Aussöhnung zwischen den Völkern und einstigen Feinden beitrug. Mit seinem Tod stieg Mandela quasi zum Heiligen auf, landesweit wird er vermisst und verehrt, was hier und da in einen regelrechten Star-Kult ausartet.

Zum Beispiel auf der Betonfassade des nahe gelegenen Hauptquartiers des ANC. Wen der protzige Mandela-Kult dort irritiert, der kann vis-à-vis im Gebäude des „Star“ zu einem druckfrischen Exemplar von Südafrikas beliebtester Zeitung greifen – und darin lebendige Kritik an der einstigen Befreiungsbewegung lesen, die nun unter Mandelas Nach-Nachfolger Zuma immer autoritärer wird. Auf Madibas Spuren unterwegs zu sein bedeutet nämlich auch dies: Durch Südafrikas junge, seit 1994 existierende Demokratie zu streifen, trotz der inzwischen immens verbesserten Sicherheitslage auf Johannesburgs Straßen wachsam zu bleiben – und dann oben im alten Festungs-Areal des jetzigen „Constitution Hill“ eine weitere spannende Geschichtslektion zu erfahren.

Wo heute das öffentlich zugängliche und architektonisch beeindruckende Verfassungsgericht darüber wacht, dass keine neue Diktatur entsteht, befand sich früher ein berüchtigtes Gefängnis, in welchem zu Beginn des 20.Jahrhunderts bereits Mahatma Gandhi gesessen hatte, der seine „Karriere“ als Freiheitskämpfer ja ebenfalls als junger Anwalt in Südafrika begonnen hatte. Später war kurzzeitig auch Mandela hier inhaftiert, danach (im Frauentrakt) seine damalige Gattin Winnie. Aber kennen die jungen schwarzen Museums-Guides all diese Geschichten nicht nur noch aus den Lehrbüchern? Also fragt man nach – und erfährt, dass auch manche ihrer Eltern hier eingesperrt waren.

Auch im inzwischen noblen Johannesburger Vorort Rivonia bleibt Geschichte ein lebendiges Lehrstück. Ein guter Ort, um dies auch emotional zu verstehen, ist in Rivonia die ehemalige Liliesleaf Farm. Hier, wo einst nur Felder gewesen waren, hatten im Jahre 1961 die beiden südafrikanischen Juden Arthur Goldreich und Harold Wolpe ein Farmgelände gekauft, um ihren schwarzen Mitkämpfern vom inzwischen verbotenen ANC Unterschlupf zu gewähren, da dem infamen Apartheid-System nicht mehr mit friedlichen Anwalts-Mitteln beizukommen war. Man schaut in die inzwischen restaurierten Häuschen hinein, sieht die Fotos und entdeckt darauf immer wieder den „Gärtner David Motsamayi“ – Mandelas Tarnung zu dieser Zeit. Kurz darauf war er der Polizei dennoch in die Falle gegangen, ehe dann im Juli 1963 auch die restliche Führungscrew des ANC auf der Liliesleaf Farm verhaftet wurde. Die Videos mit den Erinnerungen der überlebenden Zeitzeugen wie etwa des jüdischen Denis Goldberg oder des indischstämmig-„farbigen“ Ahmed Kathrada zeigen jedoch vor allem dies: Der Traum von einer „Regenbogennation Südafrika“ ist zwar noch nicht vollständig in Erfüllung gegangen, aber er hat seine robuste Basis im damaligen Engagement dieser großartigen Menschen.

Die Township Soweto bei Johannesburg, zu Apartheid-Zeiten Epizentrum des schwarzen Widerstands, hat derweilen noch immer seine Wellblechhütten und ein Armuts- und Kriminalitätsproblem, doch gibt es hier inzwischen auch schicke Wohnsiedlungen einer schwarzen Mittelschicht. Ganz zu schweigen vom Trubel in der Vilakazi Street, die sich rühmen kann, die Adresse gleich zweier Friedensnobelpreisträger zu sein: In Nummer 8115, heute ein Museum, lebte bis zu Beginn seiner Untergrundtätigkeit Nelson Mandela mit seiner Familie, und nicht weit davon entfernt wohnt noch immer sein guter alter Freund Desmond Tutu, der weltweit verehrte ehemalige Erzbischof und Antiapartheid-Aktivist.

Doch trotz aller einheimischen und ausländischen Touristen: Ausgerechnet das Mandela Family Restaurant bleibt völlig menschenleer. Weshalb? „Weil wir Madiba verehren, seine Ex-Frau Winnie aber trotz ihrer Verdienste sehr kritisch sehen. Zu viel Korruption und dunkle Geschäfte.“ Deprimierend? Eher hoffnungsvoll: Die Soweto-Bewohner mit solcher Beobachtungsgenauigkeit wären wohl die Zierde einer jeden Nation.

Der Regierungssitz Pretoria liegt eine Fahrtstunde von Johannesburg entfernt und bringt uns zu dieser Frage: Welcher Sieg könnte eindrucksvoller sein? Gegenüber dem wuchtigen Gerichtsgebäude, in dem 1963 Nelson Mandela im berüchtigten Rivonia-Prozess zu seiner lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde (und zuvor eine beeindruckende Verteidigungsrede hielt), steht auf dem Church Square nach wie vor die Statue des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Paul Kruger (1825–1904). Dieser, ein bärtiger Bure, hatte sich seinerzeit lediglich für das Wohl der eigenen weißen Ethnie eingesetzt. Unterhalb des Denkmals kauern – mit Hut und Gewehr – die Bronzefiguren weiterer, eher finster blickender Buren. Darauf aber turnen schwarze Kinder, posieren „farbige“ (der Begriff hält sich noch immer) Liebespärchen oder Einwanderer aus dem Kongo und bitten den deutschen Gast, sie genau hier mit ihrem Handy abzulichten; ein paar Sekunden später sind die Bilder dann auch schon auf Facebook gepostet.

Einen Kilometer Luftlinie von hier entfernt, auf den Treppen der Union Buildings, hielt am 10. Mai 1994 Nelson Mandela seine erste Ansprache als erster frei gewählter schwarzer Präsident des Landes. Heute werden unterhalb des Gebäudes Straußeneier verkauft, die mit Mandelas Konterfei verziert sind, wobei uns eine der schwarzen Verkäuferinnen verrät, dass sie gerade aus China zurückgekommen sei, die dort erhältlichen Fake-Label-T-Shirts könne sie hier in Pretoria mit 100 Prozent Gewinn verkaufen. Es sind Begegnungen wie diese, die von Mandelas Nachruhm künden – nichts Statisch-Heroisches, sondern die freundliche Gewitztheit von Menschen, die nun endlich als freie Bürger agieren können, so ganz ohne diskriminierende „Pass-Bücher“.

Was ohne Zweifel auch für das zwei Flugstunden entfernte Kapstadt gilt. Die Stadt ist eine der schönsten Metropolen der Welt: Tafelberg, Waterfront, das Meer. Und mitten darin Robben Island, die einstige Gefängnisinsel, auf der man Nelson Mandela 19 Jahre seines Lebens gestohlen hatte, ehe man ihn 1982 für weitere acht Jahre ins Pollmoor, dann ins Victor-Verster-Gefängnis überstellte. Heute ist ein Besuch der vom Atlantik umspülten Gefängnistrakte beinahe ein touristisches Muss, es gibt regelmäßige Fährverbindungen und geführte Touren. Auf der Insel kann es passieren, dass einer der Guides, allesamt ehemalige politische Häftlinge, sich mit einem freundlichen Kopfnicken vorstellt: „My name is Ahmed Kathrada, Madibas old friend.“ Doch selbst in solch bewegenden Momenten ist weniger die dunkle Vergangenheit präsent als eine Mut machende Gegenwart, in der es, auch nach Mandelas Tod, noch immer solch beeindruckende Menschen gibt.

Nicht an Madibas Grab im weit abgelegenen Provinzort Qunu, sondern hier im Gespräch mit den Zeitzeugen von Robben Island wird erfahrbar, was diese Geschichte bedeutet – für Südafrika und die ganze Welt. Vor dem ehemaligen Victor-Verster-Gefängnis, etwas außerhalb von Kapstadt und inmitten der legendären Kapwein-Region gelegen, erinnert dann eine Statue an jenen historischen Moment vom 11. Februar 1990 um 16.45 Uhr, als der innerlich stets freie Nelson Mandela nun auch endlich wieder in äußerer Freiheit war – nach insgesamt 27 Jahren Haft. Da ist die hochgereckte Faust, vor allem aber dieses unvergessliche Lächeln: Sanft und doch voller Stärke – geeignet, damit aus einem Staat des Hasses eine demokratische Regenbogennation zu machen. Viel ist seither geschehen, und das Beste ist dabei ihm zu verdanken: Nelson Rolihlahla Mandela, genannt Madiba.