Im Sunshine-State geht’s auch mal ruhig zu: An der Golfküste können Touristen mit Seekühen schmusen und nach Naturschwämmen forschen.

Vielleicht ist es der Zauber des ganz frühen Morgenlichtes, der die Kulisse so verwunschen wirken lässt. Am Crystal River, etwa 80 Meilen nördlich von Tampa, ist es jetzt ganz still. Nur ein kleines Boot tuckert gemächlich durch das Naturschutzgebiet, ein grünes Dickicht aus Palmen, moosbehangenen Bäumen und Gräsern. Wie gemalt fliegt ab und zu ein Reiher oder Pelikan über das Wasser hinweg.

Captain John lenkt das Boot leise durch den Flusslauf. Ab und zu stoppt er ab. Horcht. Scannt mit seinen Augen die Wasseroberfläche. Fährt weiter. Hält wieder. So geht es eine Weile, bis er irgendwann nickt. Das ist das Signal: Jetzt dürfen wir in Schnorchelmontur ins Wasser. „Ganz langsam“, sagt John noch mal. Das ist die wichtigste Regel im Crystal River, wo nicht die Menschen das Tempo vorgeben, sondern die Manatees. Und viel langsamer als Manatee-Geschwindigkeit geht eigentlich nicht. Zwei bis drei Kilometer schaffen die Seekühe in der Stunde – wenn sie denn wollen. Der Lebensrhythmus der wuchtigen Tiere ist bestimmt von schlafen, ausruhen, essen und kuscheln. „Und wenn ihr Glück habt, dann schmusen sie auch mit euch“, sagt John zu der Kleingruppe, die er heute mit den Manatees bekannt machen möchte.

Um die Unterwassertiere nicht zu stören, versuchen wir, uns fortzubewegen ohne Wellen zu schlagen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, wie Bretter auf dem Wasser.

Lange müssen wir nicht warten. Nach ein paar Minuten taucht ein Paar schwarzer Kulleraugen auf, die einen anschauen, wie es sonst nur Golden Retriever können. Nicht ganz dazu passt der wahrhaft riesige Körper der Seekuh. „Da kann man sich schon mal verjagen“, klingt Johns Anmerkung noch im Ohr. Etwa eine halbe Tonne wiegen ausgewachsene Manatees. Der Kopf kann zu dem stolzen Gewicht jedoch nicht viel beitragen. Der wirkt, als sei er aus Versehen auf dem falschen Körper gewachsen. Aber jetzt ist keine Zeit für derlei Oberflächlichkeiten. Längst stupst die Seekuh mit der Nase an die Wade, von der anderen Seite taucht noch ein zweites Tier auf und geht in Schulterhöhe auf Kuschelkurs. Ein paar Meter weiter ziehen Mama- und Baby-Manatee unbeeindruckt vorbei.

Crystal River in der Kings Bay ist einer der wenigen Orte, in denen es erlaubt ist, mit den bedrohten Tieren in „passiver Interaktion“ zu schwimmen. Zahlreiche Touristen kommen jedes Jahr zum Crystal River, um mit den zutraulichen Säugern zu tauchen. Die Saison beginnt im November, wenn es den Manatees im Meer zu kalt wird. Dann ziehen sie sich langsam in die von warmen Quellen gespeisten Flüsse zurück, in denen es nie kälter als 20 Grad wird. In dieser Zeit gilt es als nahezu sicher, dass man bei den Tauchgängen auch auf Manatees stößt. Eine Garantie für ein hautnahes Erlebnis gibt es aber nicht: „Wenn die Tiere sich nicht von alleine nähern, respektieren wir das“, sagt John. „Allein die Tiere entscheiden, ob sie Lust auf Gesellschaft haben oder nicht.“ Wie ein Mantra wiederholt er die Verhaltensregeln – er weiß schließlich, dass der Manatee-Tourismus unter Tierschützern umstritten ist. Und so gelten hier strenge Regeln: Wer sich danebenbenimmt, muss mit Bußgeldern rechnen.

Crystal River ist einer der Orte, den die Menschen hier meinen, wenn sie von dem „alten“ oder „anderen“ Florida erzählen. Mehr als fünf Autostunden von Miami entfernt, geht es hier an der Golfküste zwischen Clearwater, Tampa und St.Petersburg ruhiger zu. Kein Wunder: 39,5 Millionen Fluggäste landen pro Jahr in Miami, in Tampa sind es jährlich nur knapp 17 Millionen.

Dass das auch Vorteile hat, spürt man zum Beispiel auf den Düneninseln vor St. Petersburg, die zusammen eine Halbinsel bilden. Besonders in den Wintermonaten, die auch in Florida mild ausfallen, sind die kilometerlangen Strände wahrlich nicht überfüllt. Und genauso wenig eintönig: Am St.Pete Beach geben weißer Sand, türkisfarbenes Wasser, coole Strandbars und hüpfende Delfine ein nahezu perfektes Sunshine-State-Bild ab. Ein paar Kilometer weiter südlich, im Fort de Soto Park, liegen die Menschen auf Decken im Sand, zwischen Schilf und Dünen, der Nachwuchs spielt mit Eimer und Schippe, ein paar Angler werfen ihre Ruten von der hölzernen Seebrücke aus ins Wasser. Wäre es nicht 30 Grad warm, könnte man sich auch an der Ostsee wähnen.

Das „andere Florida“ können Touristen auch ein paar Meilen weiter in dem Örtchen Tarpon Springs erleben. Würde man hier rausgelassen werden, ohne zu wissen, wo man ist, würde man sich vermutlich im Kontinent irren. Statt Burgern und Hummern stehen hier Souvlaki und Moussaka auf der Speisekarte. An der Hafenpromenade von Tarpon Springs, dem Dodecanes Boulevard, reiht sich Taverne an Taverne. Alte Männer sitzen am Straßenrand. Ihre Sprache: Griechisch. Einer von ihnen ist der 87-jährige George Billiris, eine Art inoffizieller Bürgermeister des kleinen Städtchens. Den Großteil seines Lebens hat er unter Wasser verbracht. Genau wie sein Vater. Und wie sein Großvater. Und wie überhaupt die meisten hier.

Um die Jahrhundertwende 1900 sind die ersten Griechen nach Tarpon Springs gekommen, um hier nach Naturschwämmen zu tauchen. „Schwämme sind im Prinzip die zweitdümmsten Tiere nach Amöben“, witzelt er. Und doch schwört er auf das Naturprodukt, das seinen Lebensrhythmus bestimmt und seine Existenz gesichert hat. Mittlerweile geht Billiris nicht mehr selber tauchen, sondern lässt tauchen – auch für Touristen. In kleinen Touren können Besucher so erleben, wie die Arbeit der Schwammtaucher aussieht. Wie sie sich mit ihrer Montur aus Ritterrüstung und Astronautenanzug ins Wasser hieven und nach den gelbbraunen Schwämmen suchen. Früher war die Arbeit der Taucher häufig lebensgefährlich. „Wir haben jeden Tag gelebt, als wäre es der letzte“, sagt Billiris. Seitdem künstliche Produkte auf dem Markt sind, ist die große Zeit des Schwammtauchens vorbei. Und so lebt Tarpon Springs vor allen Dingen von seiner Vergangenheit. Nur einmal in der Woche verkaufen Händler hier ihre Ware in einer großen Schwamm-Auktion an der Hafenpromenade.

Rund eine Autostunde entfernt öffnet sich eine ganz andere Welt – die des neuen Floridas mit der Geschäftsstadt Tampa, den gigantischen Freizeitparks und Shopping Malls. Wem Letzteres zu trubelig ist, der macht es einfach wie die Manatees: sich treiben lassen, abtauchen und ausruhen.