Walzer-Seligkeit, Weltstadt-Flair und Spezialitäten aus Großmutters Küche: In Wien erlebt der Besucher Szenen mit Seele, besonders zur Weihnachtszeit.

Mütterchen Russland lacht unter der Pelzmütze ihre Kunden an und zeigt gleich mehrere Goldzähne. Väterchen Frost hat sie auf dem Naschmarkt, dem Schlaraffenland am Secessionshaus, alle fest im Griff: die Besucher, die sich durch die Gänge zwischen den Ständen schieben, ebenso wie die Verkäufer der duftenden Köstlichkeiten aus dem nahen und dem ferneren Osten.

Polen, Tschechen, Serben, Slowenen und Slowaken bieten Gemüse und Gewürze an, und gleich neben dem Balkan beginnt der Orient, prall, saftig und bunt. Türken verkaufen, was sie überall verkaufen: Döner, Rosinen und Raki, die Levantiner haben Humus und diverse Sorten Falafel im Angebot, Mustafa und Mosche, halal und koscher, pflegen gute Nachbarschaft. Und auch das große Indien ist nicht weit weg: Basmatireis, Gewürze wie auf dem Basar von Bombay, Ayurveda-Naturkost, Sitarklänge auf CD.

Es ist Sonnabend (in Wien natürlich Samstag), ein kühler Wintertag, und wer lange genug erst über den völkerverbindenden Nasch- und danach über den angrenzenden Flohmarkt gestromert ist, wird nur zu gern auf eine Portion Grammelknödel und Guglhupf zur Sopherl auf die andere Straßenseite wechseln. Nebenan serviert die „Gräfin vom Naschmarkt“, ein weiteres der vielen urigen Lokale dieses Viertels, „Wiens beste Gulaschsuppe“ und andere Köstlichkeiten aus Grußmutters K.-u.-k-Küche. Und dort, an der Linken Wienzeile, glänzen auch Otto Wagners herrliche Jugendstilhäuser, am schönsten frühmorgens im idealen Fotolicht.

Kulturelle Highlights und kulinarische Überraschungen liegen in dieser Stadt an vielen Orten dicht beieinander. Und eine Portion Wiener Schmäh, ob vom Taxifahrer, vom Fiakerkutscher oder vom Kaffeehaus-Kellner serviert, gehört dazu wie der Schlagobers, der berühmte Klecks Sahne zur Melange im Kaffeehaus. Also: Fahr ma, Euer Gnaden, beispielsweise vom „Sockenkaiser“ auf dem Flohmarkt („Willst du billig Strümpfe kaufen, musst du zum Sockenkaiser laufen“) zu Sisi und Franz Joseph, hinaus nach Schönbrunn.

Wo vor dem Schloss noch bis zum Jahresende ein Christkindlmarkt mit herzigen Ständen wie der „Engelswelt“ und der „Weißnäherei Beckenbauer von 1893“ lockt, drängen sich zu jeder Jahreszeit Japaner, Amerikaner und deutsche Studienreisende. Auch in diesen Tagen schieben sie sich in großen Gruppen durch die Prunksäle, Salons und Kabinette der Habsburger Kaiser und Erzherzöge, der Damen Maria Theresia, Marie Antoinette und natürlich der Elisabeth. Nach so viel Glanz und Gloria tut frische Luft im Park gut, mit Blick aufs Schloss zur einen und der Gloriette auf der anderen Seite, die den krönenden Abschluss der Anlage darstellt, beides Weltkulturerbe wie im Übrigen auch das gesamte historische Zentrum der alten Kaiser-Metropole.

Früher bildeten Kellner und Stammgast eine Symbiose

Was soll man zuerst sehen, wo muss man unbedingt hin? Zum Stephansdom natürlich, durch die Hofburg bummeln, an der Staatsoper den Klängen lauschen, die nach draußen schallen und neugierig aufs laufende Programm machen (auch auf der Toilette in der U-Bahn-Station unterm Opernplatz wird Musik vom Feinsten geboten, kein Schmäh!nein: kein Schmäh!). Die großen Museen wären noch zu erwähnen, die Gassen und die Shoppingmeilen, der Graben, der Kohlmarkt, die Kärntner Straße. Und natürlich die Kaffeehäuser.

Neuerdings hat es diese Wiener Institution sogar als „immaterielles Erbe der Menschheit“ auf eine Unesco-Liste geschafft. Es mögen jedoch inzwischen deutlich mehr Touristen als Dichter und Musiker in so traditionsreichen Cafés wie dem Landtmann, dem Hawelka oder dem Sperl hocken. Oder auch draußen in Ottakring, im Café Ritter, einst das Stammlokal des unvergessenen HSV-Trainers Ernst Happel.

Früher war nicht nur mehr Lametta – früher, als der Typ knurriger Kellner und sein Stammgast noch eine Symbiose bildeten, stärker als manche alte Ehe, herrschten auch mehr Regeln im Kaffeehaus. Eine aber gilt es immer noch zu beherzigen: So einfach „einen Kaffee, bitte“ zu bestellen, das geht gar nicht. Es möcht’, bitt’schön, vor der Bestellung die Entscheidung fallen: ein Kleiner Schwarzer oder ein Großer Brauner, ein Fiaker, ein Biedermeier oder halt doch lieber eine Kleine Schale Gold...

Noch kuscheln die Wiener und ihre Wintergäste aus aller Welt auch auf ihren Weihnachtsmärkten, am Karlsplatz zum Beispiel, wo Feuertänzer für heiße Luft sorgen, auf dem Spittelberg, wo fast jeder Besucher ein Punsch-Häferl kauft, eine Tasse, die es nur dort gibt, als Andenken an den romantischsten aller Märkte, und natürlich auf dem Rathausplatz, wo der schönste Baum, der heuer aus der Steiermark stammt, die Herzen wärmt. Im Advent, zu Weihnachten und an den Tagen zwischen den Jahren geht es in Wien, mehr als anderswo, sehr gefühlig zu, immer schwingt auch ein Hauch von Melancholie mit.

Operettenmusik und Walzer wie zu Zeiten von Strauß

Aber danach, zum Jahreswechsel, wird es wieder lustig und besonders festlich, an manchen Orten beides gleichzeitig. Am 31. Dezember zum Beispiel, kurz vor und erst recht nach Mitternacht, macht sich fast ganz Wien auf den Silvesterpfad. Egal wie kalt es sein mag, egal ob es regnet oder schneit, man trifft sich am Rathausplatz oder an der Oper. Dort und überall dazwischen ist große Party, da tanzen 250.000 Menschen kreuz und quer durch die Altstadt, von Mittag bis tief in die Nacht. Klassikklänge hier, Techno dort, Operettenmusik und Walzer wie zu Zeiten von Strauß Vater und Sohn. Dabei hat dieses Open-Air-Festival nach Wiener Maßstäben noch keine wirkliche Tradition. Erst im 24. Jahr werden sich diesmal die Massen über sieben Stationen durch Wien schunkeln: Am Stephansplatz schauen sie neidisch den Tänzern der Wiener Walzerschulen zu, und am Abend sinnieren sie an derselben Stelle zu Wienerliedern und Schrammelmusik der guten alten Zeit.

Höhepunkt zum Jahreswechsel ist natürlich das Neujahrskonzert der Philharmoniker, diesmal unter der Leitung von Daniel Barenboim, Karten von 30 bis 940 Euro (auch kein Schmäh). Aber sie sind eh schon lange ausverkauft. Kenner der Wiener Seele und der Wiener Szene behaupten, dass die fast genauso glanzvolle Voraufführung am 30. Dezember, ebenfalls im prächtigen Saal des Musikvereins, auch immer mit dem Stardirigenten, mindestens so viel Atmosphäre hat wie das Ereignis, das am 1. Januar in alle Welt übertragen wird. Aber auch das Vorkonzert dürfte längst ausverkauft sein.

Also lohnt sich die Planung fürs nächste Jahr. Nur jeweils 700 Karten werden verkauft; sie werden bei einer Verlosung zugeteilt, an der alljährlich 60.000 Interessenten teilnehmen, kein Schmäh. Anmeldungen nehmen die Wiener Philharmoniker ab 2. Januar entgegen, die Chance einer Zuteilung liegt bei knapp einem Prozent...