Ein ägyptischer Investor baut das Schweizer Dorf Andermatt zum Luxusresort um. Einige hoffen auf, andere befürchten ein zweites St. Moritz

Ein roter Zug rattert durchs weiße Nichts. Es ist die Matterhorn-Gotthard-Bahn, die über den verschneiten Oberalppass von Sedrun nach Andermatt fährt. Kalt ist es, minus 19 Grad. Pulverschnee rieselt, der Wind pfeift, die Hänge gehören Gämsen und Schneehühnern. Bald ändert sich das: Kommende Woche öffnet im Tal ein Luxusresort seine Pforten, bis 2017 sollen Liftanlagen, Restaurants und weitere Hotels entstehen – Andermatt wird der neue, große Skizirkus im Kanton Uri.

Die raue Gegend hat es in sich. Auf den Haarnadelkurven von Andermatt hinauf zum Furkapass und an der Aurora-Tankstelle im Ort wurde 1964 „Goldfinger“ gedreht – mit Sean Connery im silbernen Aston Martin als Agent 007. Trotz des Films machte das anheimelnd-altmodische Bergdorf auf 1447 Meter Höhe keine internationale Karriere als Wintersport-Dorado, Andermatt blieb buchstäblich in der Versenkung seines ziemlich schattigen Tals verschwunden. Lange war es kaum mehr als ein Geheimtipp, im Sommer für Montainbiker und Motorradfahrer, im Winter für ein paar Skicracks und Freerider, denen die paar Lifte genügten. Die Gasthäuser im Dorf sind noch heute geprägt vom Stil der 70er, heißen Ochsen oder Bergidyll (Zimmer 21, in dem Connery schlief, ist unverändert, das Bad mintgrün gekachelt).

Doch nun soll Glamour einziehen: Knapp 500 bis 1800 Euro kostet eine Nacht im Tempel des neuen Wohlgefühls. Am 20. Dezember öffnet das Hotel Chedi Andermatt, fünf Sterne plus. Ein Werk des ägyptischen Milliardärs Samih Sawiris. 2005 flog er bei Wintersonne im Hubschrauber übers Tal und erkannte sofort: ein Juwel, wie gemacht für ein Luxusresort, von Bergen umschlossen, am Fuße des Gotthards. Warum kam vor ihm niemand auf die Idee?

Jahrzehntelang war Luxus nicht gefragt – das Dorf lebte vom Militär

Vor allem, weil es „einen langen Schnauf braucht“, wie Hoteldirektor Alain Bachmann sagt – und etwas Geld. 400 Millionen Franken sind schon geflossen in den Bau des Projekts „Andermatt Swiss Alps“, 1,8 Milliarden sollen es am Ende sein: für insgesamt sechs Hotels (Vier- und Fünf-Sterne-Häuser) mit 850 Zimmern, 500 Appartements, 25 Villen, Schwimmbädern, Golfplatz, Parkhaus, Sport-, Freizeit- und Kongresszentrum auf einer Fläche von 1,4 Millionen Quadratmetern. Bescheiden geht anders. Aber Sawiris, den die Bergler wahlweise „Pharao“ oder „Rockefeller vom Nil“ nennen, will das Dorf auf „eine neue touristische Stufe heben“, nämlich auf eine mit St. Moritz, Davos oder Gstaad – da ist Selbstbescheidung fehl am Platz. Was die Zimmerpreise im Chedi betrifft, so bewegt man sich schon jetzt eindeutig in der Spitzenliga Schweizer Wintersportreviere.

Das Ansehen eines Nobelorts hatte Andermatt schon einmal. Bis zum Bau der Gotthardbahn 1882 musste jeder, der über den Gotthard wollte, durch Andermatt. Das lockte viele Gäste an, von kurenden Lungenkranken bis zum russischen Hochadel. Dort, wo das Chedi öffnet, stand seit 1872 die Nobelherberge Bellevue mit eigenem Eisplatz, den Sawiris im Chedi-Innenhof nachbauen will. Alte Fotos zeigen Frauen mit langen Röcken und Fellmützen auf Schlittschuhen vor Jugendstil-Fassaden.

An diese Ära will das Chedi anknüpfen. Dunkel, elegant und cool ist das Hotel: mit Indoorpool, beheiztem Außenbecken, 194 Feuerstellen, 2400-Quadratmeter-Spa. Architekt Jean-Michel Gathy, ein Belgier mit Sitz in Malaysia, setzt auf Glas, Granit, braunrotes Leder, Kuhfellteppiche, Loungesofas. Asiatisch modern und alpin mondän ist der Stil der ersten Filiale der Luxushotelkette GHM aus Singapur. Für die Kombination aus Altem und Neuen stehen Skibutler in Strickwesten, die im Living Room Gästen in gewärmte Skischuhe helfen und sie zur Piste bringen.

Eine neue Dimension des Luxus, kein Vergleich zur urigen Gemütlichkeit in den meisten anderen Gasthäusern des Ortes. Jahrzehntelang war Luxus hier nicht gefragt, nicht zuletzt deshalb, weil das Dorf mehr als 100 Jahre vom Militär gut gelebt hat. Der Gotthard war und ist strategisch wichtig, noch bis Ende der 90er-Jahre wurde der Häuserkampf geprobt. Heute trainieren in den steilen, mitunter eisigen Bergen rund um Andermatt nur noch wenige Gebirgsjäger der Schweizer Armee. „Es war wie eine Schockstarre“, sagt Hoteldirektor Bachmann über den Rückzug des Militärs, der ein ratloses Dorf zurückließ. Man hatte sich daran gewöhnt, dass Gasthäuser und Restaurants gefüllt waren. Es musste wohl jemand von außen sein, in diesem Fall ein koptischer Christ aus Ägypten, der in Berlin studiert hat und perfekt Deutsch spricht. Sprachkenntnisse und Religion waren entscheidend, damit die katholischen Urner dem Investor vertrauten.

Doch passen VIPs hierher? In Andermatt führt eine Hauptstraße über den eisigen Fluss, alte Holzschindelhäuser stehen um eine barocke Kirche – alles urig, ruhig, gestrig im besten Sinne. Morgens um vier macht Metzger Ferdinand Muheim köstliche Würste. Verkauft im Laden, mit ausgestopften Tieren geschmückt, Urschner Yakfleisch und würzige Hüswirschtli. Draußen steht ein Schild: „Gekochte Euter“. Der Metzger geht im Chedi ein und aus, kennt jeden, auch den Investor: „Ohne Sawiris wären wir ruiniert, alle weg. Jetzt haben die jungen Bauern wieder eine Zukunft.“ Wenn es nach ihm geht, sollen die VIPs nur alle kommen.

Das sieht Dorfarzt Andreas von Schulthess, 64, weißer Bart, Strickjacke, in seiner Praxis mit Kachelofen ganz anders: „Schon jetzt finden junge Andermatter keine günstige Wohnung mehr, viele müssen wegziehen ins Unterland.“ Es sei verhängnisvoll, dass sich Andermatt und das ganze Tal in Abhängigkeit von einem Investor begeben habe, den er einen „skrupellosen Spekulanten“ nennt. „Das architektonisch äußerst diskutable Hotel-Monstrum ist ein brutaler Eingriff“, findet er. Früher habe man die Kirche gesehen, das Dorf, sagt der Arzt, heute nur noch „dieses Riesen-Pseudo-Chalet mit lächerlichen Holzgittern, wie in Thailand sieht das aus“. Andere finden das modern und elegant: eine Art Chiang Mai im Schnee.

Ganz dicht dran am neuen Luxus, von ihm umschlossen sozusagen, sind die 22 Bewohner des Betagten- und Pflegeheims Ursern, im Durchschnitt 90 Jahre alt, viele aus Andermatt. „Wir sehen keine Sonne, keine Piste mehr, nur Beton, und laut ist es auch“, sagt Michaela Mattli, Leiterin des Pflegedienstes einerseits. Andererseits: „Man muss auch mal was Positives sagen: Wir freuen uns auf die Schönen und Reichen.“

Anders als El Gouna, ein aus dem Nichts gestampftes ägyptisches Resort am Roten Meer, das ebenfalls Samih Sawiris gehört, ist Andermatt kein Kunstdorf, sondern eines mit Tradition, das neuen Schwung braucht. Die Luxusferienwelt könnte den bringen. Ob das Projekt Erfolg haben wird, ist noch nicht ausgemacht. Nur eines ist sicher: Wer das beschauliche Andermatt noch einmal sehen will, sollte schnell hinfahren. Bald wird hier mehr los sein als ein roter Zug, der durchs weiße Nichts rattert.