Bald singen wieder geschätzt zwei Milliarden Menschen „Stille Nacht“. Eine Reise ins Salzburger Land auf den Spuren der weltberühmten Weihnachtsmelodie.

Alles schläft. Einsam wacht nur das traute, in Bronze gegossene Paar. Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr stehen als Plastik wie Türsteher vor der Kapelle in Oberndorf bei Salzburg. Kommt herein, scheinen sie zu sagen, und hört Stimmen aus der Vergangenheit, die auch heute noch in aller Munde sind. Es ist schon dunkel, daher sind auf dem Platz gerade keine Touristen zu sehen, aber morgen früh herrscht hier wieder Hochbetrieb. Hier, wo wenig ist und auch früher nicht viel war außer einer Freundschaft, die zur Melodie wurde. Gruber und Mohr, ein Organist und ein Hilfspriester, kreierten gemeinsam das Lied, das zum größten Exportschlager Österreichs wurde: „Stille Nacht! Heilige Nacht!“

In Oberndorf an der Salzach erklang es 1818 zum ersten Mal. Heute wird es in über 300 Sprachen gesungen. Sogar auf den Fidschi-Inseln, selbst von den Inuit wurde der Text übersetzt. Ein unglaublicher Erfolg, ganz ohne Marketing und YouTube. „Das liegt an seinem Zauber“, sagt Brigitte Gstöttner, Kustodin des Heimatmuseums Oberndorf. „Das Lied ist so besonders und kostbar, weil es ein Geschenk war. Gruber und Mohr wollten den Menschen etwas geben.“ Denn zu der Zeit hatten sie nichts. Die alte Schiffergemeinde Oberndorf litt unter den Auswirkungen der napoleonischen Kriege sowie unter Ernteausfällen. Die Bäcker mischten Sägemehl mit in den Teig, damit es überhaupt etwas zu kauen gab.

Hilfspfarrer Mohr war selbst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen; er hatte einen Draht zu den Leuten, im Gegensatz zum strengen Priester von Oberndorf. So bat Mohr seinen Freund Gruber, eine Melodie zu den sechs Strophen zu schreiben, die er gedichtet hatte. Sie entstand angeblich in einer einzigen Nacht und wurde dann am 24. Dezember zum Abschluss der Messe in der St.-Nikolaus-Kirche mit einer Gitarre uraufgeführt. „Das muss man sich vorstellen: mit einer Gitarre!“, sagt Brigitte Gstöttner. „Die galt damals als absolutes Wirtshausinstrument.“ Doch die Orgel funktionierte nicht, für ihre Reparatur fehlte das Geld. Alle Zuhörer waren begeistert, denn das Lied gab ihnen etwas, das sie schon fast aufgegeben hatten: „Stille Nacht“ ist Hoffnung in D-Dur. Vor allem die vierte Strophe, die heute nicht mehr gesungen wird, versprach den so lang herbeigesehnten Frieden: „Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht väterlicher Liebe ergoss. Und als Bruder huldvoll umschloss Jesus die Völker der Welt, Jesus die Völker der Welt.“

Im Gästebuch der Mini-Kapelle versammelt sich die ganze Welt

Heute steht an der Stelle der ehemaligen St.-Nikolaus-Kirche die Stille-Nacht-Gedächtniskapelle. Mehrere Hochwasser Ende des 19. Jahrhunderts führten dazu, dass der Ort Oberndorf verlegt wurde, weiter weg vom Fluss Salzach. Und weil die Kirche bekanntlich immer im Dorf bleiben muss, wurde auch St. Nikolaus 1905 abgetragen. Auf dem alten Schuttberg steht nun seit 1937 die Kapelle. In den schlichten, achteckigen Bau passen kaum 20 Menschen. Doch im Gästebuch versammelt sich die ganze Welt. Einträge aus Brasilien, aus Namibia, aus Korea. „Die Melodie = Balsam für die Seele“, hat ein Mann aus Nürnberg geschrieben und eine Frau aus Elmshorn „Danke für den Trost“. Die Hoffnung stirbt nie aus. Und sie spricht viele Sprachen. Interessant klingt das Lied beispielsweise auf Walisisch und Litauisch. „Am schönsten finde ich es auf Spanisch“, sagt Gstötter und führt dabei durch das neben der Kapelle gelegene Heimatmuseum. Hier können Touristen mehr über die Geschichte der Schöpfer sowie über die karge Zeit der Salzschifffahrt erfahren, von der die Oberndorfer mehr schlecht als recht lebten. Dass ihr Ort knapp 200 Jahre später so viel Besuch bekommen würde, damit haben sie sicher nicht gerechnet. Brigitte Gstöttner liebt es, wenn zur Adventszeit Tausende von Menschen anreisen, den Weihnachtsmarkt besuchen, aus dem Sonderpostamt Karten mit dem „Stille Nacht“-Stempel verschicken oder sich am 24. Dezember um 17 Uhr zu einer Feier versammeln, an deren Ende der Chor und die Solisten der Liedertafel Oberndorf die Originalversion singen. Aber der Höhepunkt in den vergangenen Jahren sei der Besuch eines großen Chores aus Peking gewesen. 600 Personen sangen „Stille Nacht“ auf Chinesisch. Die Zuhörer haben dennoch jedes Wort verstanden.

Ein Hamburger Pastor veränderte den Text und schickte ihn auf Reisen

Wäre „Stille Nacht“ in Mundart geschrieben gewesen, hätte es wahrscheinlich nur regionale Bedeutung erlangt. Doch so nahm ein Zillertaler Volksmusik-Ensemble es in sein Repertoire auf und zog damit durch die Gegend, bis es schließlich nach Hamburg gelangte. Dort erhielt das Lied seine heutige Fassung. Der Pastor Johann Hinrich Wichern (1808–1881) erfand nicht nur den Adventskranz, sondern machte das Lied auch für Protestanten akzeptabel. Er setzte „Christus“ statt „Jesus“ im Text ein, was damals eine Art Markenzeichen für den Protestantismus war. Ab dann hieß es also beispielsweise: „Christ, der Retter ist da“ anstatt „Jesus, der Retter ist da“. 1844 veröffentlichte Wichern ein Singbuch, und so ging das Lied mit den von Wichern ausgebildeten Missionaren, die damals in die ganze Welt aufbrachen, auf Reisen. Ein Hamburger trägt also einen entscheidenden Anteil an der internationalen Verbreitung des Lieds.

Der Entstehungsgeschichte des Liedes lässt sich auch in Salzburg, Arnsdorf, Mariapfarr, Wagrain und Hallein nachspüren. Die Orte, in denen Gruber und Mohr gelebt und gewirkt haben. In Salzburg beispielsweise wurde Mohr im selben Taufbecken wie Mozart getauft. Und in Hallein beherbergt das alte Wohnhaus von Gruber das „Stille Nacht Museum“, unter anderem sieht man hier die besagte Gitarre. Am besten besichtigt man all diese Orte jetzt in der Adventszeit, wenn die Stimmung so ist wie das Lied: herzlich, hoffnungsfroh – und Glühwein gibt es auch dazu.

Auf den Adventsmärkten des Salzkammergutes treffen sich Brauchtum und Romantik. Im Mozartdorf St. Gilgen gibt es viele volkstümliche Veranstaltungen und eine Bastelstube, in der die Besucher ihre eigene Krippe anfertigen können. Besonders glänzt die weihnachtliche Stimmung am Wasser: In St. Wolfgang schaukeln 19 Meter hohe Friedenslichtlaternen am Wasser. Am See vor Strobl schwebt ein Komet über der Wasseroberfläche. Am Mondsee gibt es gleich zwei Weihnachtsmärkte vor der Basilika sowie im ehemaligen Kloster. Auf dem Attersee schwimmt ein Adventsmarkt über den See, und im Fuschl am See können Besucher Pferdeschlittenfahrten oder geführte Schneeschuhwanderungen unternehmen.

Wenn man von Weihnachten und Österreich spricht, darf natürlich nicht das berühmteste Christkind der K.-u.-k.-Monarchie unerwähnt bleiben: Sisi. Die spätere Kaiserin wurde am 24. Dezember 1837 geboren und wuchs im elterlichen Schloss am Starnberger See auf. Die berühmten „Sissi“-Filme jedoch wurden in den 50er-Jahren am Fuschlsee gedreht. Für viele ist das gelbe Schloss Fuschl mit den niedlichen Fensterläden daher Prinzessin Elisabeths Heimathaus, Realität hin oder her. Zur Winterszeit kommen die Sisi-Fans busseweise angefahren. „Dann ist bei uns Alarm“, sagt der Sicherheitschef des Schlosses und lacht. „Gerade die Asiaten scheinen die Filme hoch und runter zu gucken. Die erkennen hier jede Ecke wieder.“ Folglich wurde im Schloss eine kleine Sisi-Ausstellung eingerichtet. Dort wuseln die Besucher zwischen den Hinterlassenschaften der Kaiserin herum und schauen gebannt Making-ofs von den Dreharbeiten. Ein Bayer – eventuell angeregt durch den Punsch – hält seinen Finger gen Himmel und fragt: „Wäre es nicht schön, wenn sie nur noch einmal vorbeikäme?“

Ach, Sisi. Schlaf in himmlischer Ruh.