Der Muscle Beach bei Los Angeles ist eine Touristen-Attraktion – hier löste Arnold Schwarzenegger in den 1970ern den Fitness-Boom aus, und noch heute folgen ihm unzählige Kraftprotze

Die Augen der Kraftsportler leuchten. Man muss nur seinen Namen nennen, dann werden die Männer, die sich an diesem Sonntagmorgen hier versammelt haben und ihre Muskeln stärken, euphorisch. Arnold Schwarzenegger? Einer von ihnen, Mike, macht eine ernste Miene, als wolle er seine gleich folgende Botschaft mit angemessener Würde verkünden, dann sagt er: „Arnie? Ja, heute Morgen war er hier, so gegen acht Uhr. Er hat kurz gegrüßt, dann joggte er am Strand.“ Arnie sei immer mal wieder dort, ergänzt er, am Muscle Beach, dem berühmten Strandabschnitt bei Venice und Santa Monica. Es ist die legendäre Meile, wo einst der Fitness-Wahn entstand, die Keimzelle des Boom.

Mike ist 36 Jahre alt. Er hat Bizeps wie Arnie und einen von der Sonne Kaliforniens oder Sonnenstudios gebräunten Körper. Mit anderen Sportlern, ebenso reich bestückt mit Muskeln, trainiert er regelmäßig am Venice Beach. Dort, wo Arnold Schwarzenegger vor Jahrzehnten das erste Mal für seine Bodybuilding-Profi-Karriere schuftete, seinen Bizeps von 58 Zentimetern aufbaute, seinen sogenannten Masterplan ersann, der ihn zum fünffachen Mr. Universum, zum fünffachen Mr. Olympia, zum Filmstar und zum Gouverneur von Kalifornien machte, tummeln sich heute Touristen. Es ist ein Kultort. Und Drehort für unzählige Filme. Klar, Hollywood, Beverly Hills und den Walk of Fame auf dem Hollywood Boulevard, wo sich die Superstars verewigt haben, muss man gesehen haben, wenn man für ein paar Tage in Los Angeles ist. Andere Hotspots der Welt-Metropole oder Kunstmonumente wie etwa die Walt Disney Concert Hall mit ihrem futuristischen Architekturstil auch. Aber ein Abstecher nach Santa Monica ist etwas ganz Besonderes, eine Oase zum Durchatmen, Pause von der Hektik in Los Angeles und nur 30 Kilometer davon entfernt. Mit dem Bus „Rapid“ No. 10 geht es von der Hope Street, Ecke First Street, für zwei US-Dollar über Downtown L.A. und den Highway durch einige Stadtviertel, und man ist nach knapp einer Stunde am Ziel.

Ja, er ist noch zu spüren, der Mythos vom Muscle Beach aus den 1940er- oder 1950er-Jahren. In den 70ern machte dann Arnold Schwarzenegger Bodybuilding und Wellness endgültig in den USA populär. Auch viele Prominente drehen heute dort ihre Runden, skaten, rollern oder zeigen sich einfach nur. Auf der Promenade reihen sich die Souvenirläden aneinander gleich einer Perlenschnur. Kettchen hier, T-Shirts da, Pullover und mehr, von Schrill-pink bis blütenweiß kann man sie erwerben, Kitsch und Kunst. Der Muscle Beach, das ist eine weitläufige Strandmeile, aber streng genommen ist es heute ein mehrere Meter hoher Betonklotz, der zu Ehren der avantgardistischen Athleten von einst errichtet wurde. Der Muscle Beach Gym ist ein Bodybuilderstudio unter freiem Himmel. Eine Bühne mit einem kleinen Zaun. Ein paar Fitnessgeräte sind dort aufgebaut. Wer will und die Power dazu hat, kann sich für eine Tagesgebühr von zehn Dollar oder mit einer Jahres-Mitgliedskarte zu 170 Dollar in Form bringen. Gewichte stemmen, sich dehnen und strecken, sich quälen wie einst Schwarzenegger und all die anderen Idole und Fitness-Freaks. Ein Bild hängt von Arnie im Kassenhäuschen, mit seinem Autogramm versehen, Ehrensache. Dahinter sind ein paar Felder mit Körben für Basketball. Im übertragenen Sinn bezeichnet Muscle Beach heute auch die Umgebung in Venice, in der eine große Zahl von Bodybuilding- und Fitnessstudios eingerichtet wurden.

Bodybuilder Mike stemmt an diesem Morgen seine Gewichte. Er sei Jura-Student und Schauspieler, erzählt er knapp, und „in Hollywood zu Hause“. In welchen Rollen er auftrat? Da schweigt er, während er sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Haut wischt. Ein paarmal in der Woche trainiere er. Muskeln zu formen sei sein Hobby und Arnie sein Vorbild. „Natürlich möchte ich einmal so bekannt sein wie er.“ Auch er kenne und verehre den Österreicher, sagt Gregg Donovan. Jahrelang war er der „Beverly Hills Ambassador“, der Botschafter von Beverly Hills, eine Art Empfangsherr für Besucher des Rodeo Drive, einer der Touristenattraktionen von Los Angeles, jener Straße, in der Stars einkaufen gehen. Jeden Tag stand Gregg Donovan an der Kreuzung, lächelte Touristen an, beantwortete ihre Fragen. Immer wieder trainiert er hier am Muscle Beach. „Thomas Gottschalk, Arnold Schwarzenegger, ich kenne viele Berühmtheiten“, erzählt er wichtig, nachdem er ein paar Klimmzüge absolviert hat.

Fast jeder dort hat offenbar Schwarzenegger-Geschichten zu erzählen. „Früher habe ich ihn mal in seinem Restaurant in Santa Monica gesehen“, sagt Thorsten Hoins, Unternehmensberater aus Hamburg-Altona. Seit 27 Jahren lebt er mit seiner Familie in einem Vorort von Los Angeles. Einmal, vor vielen Jahren, habe er Schwarzenegger auch mal kurz gesprochen. Für eine Agentur aus Deutschland hatte Thorsten Hoins damals Drehbücher gesichtet. Einmal lieferte er eines in Hollywood ab. „Am Set war dann plötzlich Arnie, wir haben nett geplaudert.“

Auch Thorsten Hoins, der in seiner Kindheit oft in St. Peter-Ording war und heute schon mal „den frischen, kräftigen Nordseewind“ vermisst, hat seine Erinnerungen an Santa Monica und Venice Beach. „Dort habe ich viele Jahre gesurft, dort habe ich das Fahren auf Motorrollern gelernt“, sagt der Familienvater von drei Kindern. Vor allem an den Wochenenden hat die Strandpromenade, der Ocean Front Walk oder kurz Boardwalk, eine besondere Anziehungskraft für Bewohner von Los Angeles wie auch für Touristen. Ein buntes Völkchen tummelt sich dort: Spaziergänger, Straßenkünstler, Musiker, Maler, Wahrsager, Artisten. Der Strand selbst ist Treffpunkt von Beachvolleyballspielern, Wellenreitern, Wind- und Kitesurfern.

Und, die Fitness-Strandmeile hat eine lange Tradition: Der ursprüngliche Muscle Beach befand sich seit den 1930er-Jahren in der Nähe des Piers von Santa Monica, ein paar Kilometer nördlich. Schillernde, vergilbte Bilder erinnern an den Kult: Auf dem Gelände gab es einst öffentliche Vorstellungen von Turnern und Athleten. „Muscle Beach, die Geburtsstätte des Fitness-Booms des 20. Jahrhunderts“, steht auf einem Schild, das unweit des Piers in den Sand gerammt ist. In den 1950er- Jahren ging die Popularität des ursprünglichen Muscle Beach stark zurück. 1959 wurde er schließlich ganz geschlossen, nachdem es auf dem Gelände eine Vergewaltigung gegeben hatte. Ein paar Fitnessgeräte stehen dort heute noch, für einfache Turnübungen. John, ein Psychologie-Student, hangelt sich gerade an Seilen von Pfahl zu Pfahl. „Das ist eine Abwechslung zum Studium“, sagt der junge Mann. Ein paar Meter weiter machen die Schüler Narcis und Dominic ihre Surfboards startklar fürs Wellenreiten. „Wir sind damit aufgewachsen“, sagt Dominic, „surfen hier immer nach der Schule.“

Holzhäuschen mit Jeeps davor, sportliche Frauen und Männer in gelben Polo-Shirts am Strand erinnern an „Baywatch“, an die Bademeister aus der gleichnamigen weltberühmten TV-Serie. Am Muscle Beach wurden manche Szenen dafür gedreht. Da ist auch der Santa Monica Pier, 1909 gebaut, eine der bekanntesten Attraktionen. Er beherbergt neben dem kleinen Vergnügungspark Pacific Park mit Achterbahn und Riesenrad auch zahlreiche Restaurants und Geschäfte. Im Looff-Hippodrome-Gebäude am Anfang des Piers befindet sich seit 1947 ein altes Pferdekarussell. Den Eingang an der Ocean Avenue bildet ein weiß-blaues Tor. Nachts ist es mit Neonlicht angestrahlt – eine Kulisse für Kultfilme wie „Forrest Gump“ mit Tom Hanks. Nur ein paar Gehminuten sind es zur Fußgängerzone Third Street, zur Promenade. Geschäfte, Restaurants und Kinos findet man über drei Blocks zwischen dem Einkaufszentrum Santa Monica Place und dem Wilshire Boulevard. Für Nostalgie-Fans: In Santa Monica endet auch die historische Route 66 an der Ecke Lincoln/Olympic Boulevard.

Breite Wege wurden für die Freizeit-Sportler angelegt

Überall kann man Surfboards und andere Fitness-Ausrüstung mieten. Und natürlich Fahrräder, zum Beispiel bei Sea Mist Rentals, 1619 Ocean Front Walk, direkt unter dem Pier. Ein Rad gibt es für sieben US-Dollar die Stunde. Es ist Mittag geworden, und die Radler und Skater stürmen die Meile am Strand zwischen Santa Monica und Venice Beach. Breite Wege wurden für die Freizeit-Sportler angelegt. Die Sonne ist hoch über die Berge von Santa Monica aufgestiegen, Siesta in Kalifornien. Familien haben es sich am Strand bequem gemacht, ihre Kühltaschen fürs Picknick ausgepackt. Es ist kaum noch ein freies Plätzchen zu finden.

Zurück nach Venice Beach. Zur Meile. Ein Mann dreht auf Rollerblades seine Runden. Harry Perry ist sein Name, mit seiner Elektro-Gitarre tourt der 62-Jährige seit 1973 regelmäßig über den Boardwalk. Der Mann ist ein Unikum, jeder kennt ihn hier. Er kurvt umher, spielt Songs und lässt sich von Touristen dabei fotografieren. Eine Legende, die auch in zahlreichen Filmen zu sehen ist, wie er nicht müde wird zu erzählen. „Hierher kommen viele Stars“, sagt er, zum Beispiel unlängst Talkshow-Gastgeber Jay Leno. Perry erzählt hastig seine Vita. „Sorry, heute sind viele Touristen hier, ich muss arbeiten“, sagt er und saust nach ein paar Minuten von dannen. Wenig später hat er zwei japanische Frauen an seiner Seite, ein schnelles Fotomotiv als Souvenir, für ein paar Dollar.

Am Muscle Beach trainiert am Nachmittag niemand mehr. Verwaist ist die kleine Trainingsbühne. Kein Arnie weit und breit. Wer den Bodybuilder-Senior in Aktion sehen möchte, der muss früh morgens kommen. Oder die Website von Schwarzenegger besuchen: Dort gibt es Fotos und Videos von Arnie im Muscle Beach Gym, umgeben von Gleichgesinnten und Fans, die ihrem Idol hautnah kommen wollen. Der Fitness-Wahn am Muscle Beach, multimedial und rund um die Uhr zu bestaunen – die Show muss weitergehen.