Der Süden Marokkos ist landschaftlich wie kulturell eine Offenbarung – der Hohe Atlas trennt die fruchtbaren Küstengebiete von der Sahara

Hier wachsen Datteln, Aprikosen, Oliven, Mandeln, Feigen, Trauben und Granatäpfel“, erzählt Moulay, nur das Wort „Maulbeerbaum“ will ihm nicht stolperfrei über die Lippen kommen. Macht nichts: Mit schallendem Gelächter untermalt er seine gelegentlichen putzigen Abstecher ins Deutsche und empfängt dafür Lob und Beifall seiner Gäste. Der quirlige Berber führt uns durch die Oase von Tinerhir. Eine der größten im Süden Marokkos und eine der schönsten dazu: Das dunkelgrüne Band von Abertausenden Dattelpalmenwipfeln bildet einen schönen Kontrast zu den rostroten schroffen Felsen in seinem Rücken.

Schon die puren statistischen Daten beeindrucken – die Oase ist 24Kilometer lang und versorgt 30.000 Familien mit Obst, Gemüse, Getreide, Tee, Gewürzen sowie Holz und Palmwedeln als Bau- und Brennstoff. Noch erstaunlicher ist es, mit welchem Fleiß und Erfindungsreichtum die Bauern jeden Tropfen Wasser nutzen, um dem extremen Umfeld ihre Lebensgrundlagen abzuringen.

Oasenfelder mit pastellfarbenen Blüten sprenkeln Tupfer ins Braun der Berge

Nur einmal trübt sich Moulays blendende Laune auf diesem ebenso lehrreichen wie amüsanten Spaziergang. Als wir am Wegrand auf teils verrottete, teils abgefackelte Palmstämme stoßen, erzählt er von der mysteriösen Krankheit, die Bäume in ganz Nordafrika befallen und auch um Tinerhir keinen Bogen gemacht habe. Eine echte Katastrophe, „denn für uns ist die Dattel so lebenswichtig wie für euch Europäer Kartoffeln oder Brot“. Um Allah zu beschwören, den Fluch zu bannen, hebt er plötzlich die Hände und spricht magische Formeln in den wolkenlosen Himmel. Sein Glaube wird schon helfen, so hoffen wir. Inschallah!

Zauber – diesmal für die Augen – ist im Spiel, wenn es um den Fluss Todra geht, der das Oasenwunder erst möglich macht. Er entspringt im Hohen Atlas und sprudelt in großen Schleifen durch imposante Berge, die sich kurz vor Tinerhir dramatisch verengen. Hier fallen die 300 Meter hohen Steilwände beinahe senkrecht ab, und der schmalste Durchgang misst gerade mal zehn Meter. Eine umwerfende Landschaft, in der man sogar übernachten kann – zwei einfache Hotels machen es möglich. Nur 20 Kilometer weiter lockt bereits die nächste spektakuläre Schlucht. Diesmal ist es der Dades, der sich ein wild zerklüftetes Flussbett durch steinerne Kulissen gefräst hat. Auch hier sprenkeln Oasenfelder mit saftigem Grün und Obstbäume mit pastellfarbenen Blüten leuchtende Tupfer ins Braun der Berge. Daneben tauchen prächtige Kasbahs und Kasbah-Ruinen auf, deren eingefallene Türme gen Himmel ragen. In den nächsten zwei Tagen werden diese für den Süden Marokkos so typischen Lehmbauten unsere ständigen Begleiter sein. Allein im Dades-Tal soll es 1000 Kasbahs geben, und auch wenn diese Zahl eher des touristischen Slogans wegen publiziert wird und auch typologisch nicht alles Kasbah ist, was für uns wie Kasbah aussieht: Wir haben längst aufgehört zu zählen, was da links und rechts an Flussufern oder Berghängen lehmfarben emporwächst und genau jene unglaubliche Exotik entfaltet, die man von Marokko erhofft. Majoub, unser stets freundlicher, umsichtiger und allwissender Fahrer, setzt noch einen drauf. Er kennt die Geheimtipps unter den Sehenswürdigkeiten und führt uns zum Beispiel zum behutsam renovierten Kasbah-Schmuckstück von Amridil in der Oase Skouna und dem trutzigen Bauwerk von Tifoultoute in Ouarzazate.

Hauptattraktion dieses boomenden Wirtschafts- und Tourismuszentrums ist – natürlich – wieder eine Kasbah. Der verschachtelte Wohnburgkomplex von Taourirt war einst Residenz des berühmt-berüchtigten Berberfürsten Thami El Glaoui. Der kontrollierte alle Passstraßen, unterwarf rücksichtslos andere Berber-Gruppen, zwang Oasenbauern zu Tributen und etablierte ein Feudalreich, das bis 1956 bestand. Dann brach ein geplanter Sturz des Sultans dem allmächtigen Glaoui-Klan das Genick – und sein gesamter Besitz wurde enteignet.

In Ait Benhaddou wurde „Lawrence von Arabien“ mit Omar Sharif gedreht

Ein weiterer Höhepunkt jeder Marokko-Reise liegt eine halbe Stunde nördlich von Ouarzazate: Ait Benhaddou, das berühmteste aller südmarokkanischen Stampflehmdörfer, das mit seinen Türmen, Zinnen und schießschartengroßen Fensteröffnungen wie eine uneinnehmbare Festung wirkt und seit 1987 zum Unesco-Welterbe gehört.

In der Ferne verschmelzen die schneebedeckten Viertausender des Hohen Atlas mit dem blassblauen Himmel. Davor eine surreale Ödnis, in der sich das Dorf, umgeben von Obstgärten und Feldern, so harmonisch an den Hang schmiegt, als sei es von Natur aus entstanden.

Kein Wunder, dass Ait Benhaddou vor vielen Jahren schon ins Blickfeld einer speziellen Industrie geriet. Hollywood drehte schier durch vor Begeisterung und produzierte – ungeachtet extremer klimatischer Bedingungen und heftiger logistischer Probleme – einen Monumentalschinken nach dem anderen.

Der alte Youssuf war bei jedem am Set dabei und zählt wie aus der Pistole geschossen auf: 1961 „Lawrence von Arabien“, womit für Omar Sharif die internationale Karriere begann. Ein Jahr später „Sodom und Gomorrha“ unter der Regie von Robert Aldrich. Martin Scorsese drehte hier 1988 Szenen des umstrittenen Films „Die letzte Versuchung“.

Steven Spielberg ließ für „Die Jagd nach dem Juwel vom Nil“ Michael Douglas mit einem Jet durch ein riesiges Tor düsen, das täuschend echt vor die originale Kulisse gebaut wurde und heute noch so aussieht, als habe es schon immer dazugehört. Und natürlich erinnert sich der alte Mann noch bestens an den Sklavenmarkt und jene Kampfszenen aus „Gladiator“, als Protagonist Russell Crowe erstmals in die Arena muss – zum Kampf auf Leben und Tod.