Nach ihrem Studium in Hamburg zog es die Museumswissenschaftlerin Anna Ehrhardt in die raue Inselwelt an der norwegischen Küste

Am liebsten ist Anna Ehrhardt draußen. In den Außenstellen „ihres“ Museums Norveg rund um das mittelnorwegische Rørvik. Dort, wo die Museumsmanagerin Menschen treffen und die Natur spüren kann. „Das ist leider nur ein Teil meiner Arbeit“, sagt die 33-jährige Niedersächsin, „aber zum Glück ein wichtiger.“ Wie an diesem sonnigen Tag auf der Schäreninsel Sør-Gjæslingan führt die aus der Nähe von Bodenwerder an der Weser stammende „Distriktkonservatorin“, so ihr offizieller Titel, deutsche Besuchergruppen durch norwegische Kulturschätze, die zum Küstenmuseum hier im norwegischen Bezirk Trøndelag gehören.

„Sør-Gjæslingan hat eine ganz besondere Bedeutung für Norwegen“, erzählt Anna Ehrhardt beim Rundgang zwischen den gut erhaltenen weißen und roten Holzhäusern, die Wohnungen, aber auch einen vor 100 Jahren gut sortierten Laden, ein Versammlungshaus mit Kirche sowie Ställe beherbergen. „Auf diesen kleinen Inseln und Holmen betrieben die Menschen einst unter harten Bedingungen Landwirtschaft. Und sie fuhren aufs offene Meer zum Fischen hinaus, denn vor den Schären liegt ein großes Laichgebiet für Dorsch. Fiskevære heißt diese Siedlungsform auf Norwegisch, in der Bauern auch Fischer waren oder umgekehrt.“ Hinzu kommt einst wie jetzt, dass das Meer vor der Küste die wichtigste Verkehrsader des nordischen Königreichs ist. Als eines von nur zwei erhaltenen Kulturmilieus in Norwegen stehen die wörtlich „Gänseschwarm“ übersetzten Inselchen deshalb als bedeutender Teil der Küstenkultur seit 2010 komplett unter Schutz – sie sind sogar „geschützt durch königliche Resolution“.

Einige der wenigen Häuser auf Sør-Gjæslingan sind in Privatbesitz. Die meisten aber gehören zum Küstenmuseum und können im Sommer teils sogar als Ferienhäuser gemietet werden. „Komfort sollte man allerdings nicht erwarten“, schränkt Anna Ehrhardt ein, „es gibt zwar Strom, doch die Einrichtung ist einfach wie früher, die Küche klein, Komfort wie Fernsehen und Radio sucht man vergebens.“ Dafür sind Sommergäste mit dem Meer und der Natur (fast) allein. Zumal die Fähre vom Festland die autofreien Inseln nur ein paarmal in der Woche ansteuert.

Ihren täglichen Arbeitsplatz hat Anna Ehrhardt – deren Mutter aus Hamburg stammt, sodass das Studium von skandinavischen Sprachen und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in der Elbmetropole ein logischer Schritt war – aber im architektonisch sehenswerten Museum Norveg in Rørvik. Das 2004 eröffnete Haus in der 3000 Einwohner großen Hafenstadt liegt unmittelbar am Kai und wirkt mit seinem weißen Äußeren wie ein Segelschiff in voller Fahrt. Feste und Wechselausstellungen informieren über die spannende Geschichte der norwegischen Küste seit der Frühzeit bis hin zu modernen Erwerbsquellen wie Ölförderung und Lachszucht.

Von dort aus ist Anna Ehrhardt für insgesamt acht Museen in sechs umliegenden Gemeinden der Region Namsdalen zuständig. Sie berät, wie Themen am besten vermittelt werden können. Oder wie man neue Projekte übergreifend entwickeln kann. Sie schreibt Gutachten, wenn Förderungen beantragt werden müssen. Immer geht es darum, alte Traditionen zu erhalten und für nachkommende Generationen zu bewahren. Anna Ehrhardt: „Ich sage immer, dass ich Erinnerungsarbeit in vielfältiger Form leiste.“

Was die lebenslustige Wissenschaftlerin nach Skandinavien gezogen hat? „Nach der Schule wollte ich raus – aber auch etwas lernen. So besuchte ich über den Jahreswechsel 1999/2000 eine norwegische Folkehøgskole, also Heimvolkshochschule“, sagt Ehrhardt. Das Studium der nordischen Sprache und Kultur in ihrer „Mutterstadt“ war dann ein logischer Schritt. Den Kontakt nach Norwegen hielt sie auch während der folgenden Jahre, denn Anna Ehrhardt hatte ein Ziel: „Ich wollte meine Leidenschaft zum Norden, zur rauen Küste und zum Museum kombinieren.“ Das ist ihr gelungen. Und auch nach mehr als vier Jahren in Norwegen bereut die Deutsche, deren Mutter in der Entwicklungshilfe arbeitet, den Schritt nach Norden nicht. „Ich liebe die Natur, die Landschaft sowie die Mentalität und Hilfsbereitschaft der Norweger – deswegen bin ich hier.“ Den Großstadttrubel vermisst sie nicht. „Und falls doch, liegt die Unistadt Trondheim ja nur 350 Kilometer entfernt. Allerdings gibt es nur Landstraßen“, sagt sie lachend.