Laut „Lonely Planet“ ist die französische Kapitale die Trend-Stadt 2014: Wiedersehen mit einer alten Liebe, zielloses Bummeln durchs Quartier Latin und das Marais mit seinem jüdischen Viertel

Mag sein, dass hier ein paar Falten sichtbar sind, dort ein paar Narben. Und natürlich haben sich auch manche Lieblingsecken verändert, nicht immer nur zum Besseren. Aber wer liebt, sieht nur, was er sehen will. Erst recht in Paris, dieser Stadt, die für Träumer und Flaneure geschaffen wurde und die nach wie vor ein Fest fürs Leben bedeutet, jeden Tag aufs Neue.

Paris. Wir steigen am Rathaus, dem Hôtel de Ville, aus dem Labyrinth der U-Bahn ans Tageslicht. An dieser Station, einer von über 300, hängt noch ein Metro-Schild in alter Schrift. Diese Jugendstil-Lettern sind für uns ein Stück von dem Paris, das wir seit Jahrzehnten lieben. Und diesmal wollen wir das Wiedersehen ganz ohne Programm feiern: drei Tage ohne Eiffelturm und Champs Élysées, drei Tage ohne Louvre und Versailles.

Treiben lassen wollen wir uns, flanieren durch jene Viertel, die uns einerseits vertraut sind seit langer Zeit, denen wir andererseits ein paar Jahre lang untreu waren. Im Marais durch die Gassen zwischen der Rue Reaumur und der Rue de Rivoli bummeln, uns im jüdischen Viertel verlieren, in traditionsreichen Buchläden stöbern, die Gewürze der Levante in die Nase bekommen und mit Jo Moscovic, bei dem wir zuletzt vor zwölf Jahren Bagel und Baguette gekauft haben, über die Zukunft dieses Quartiers plaudern.

Saint-Germain war einst Künstlerviertel, heute ist es sehr „en vogue“

Und wir wollen mit der Metro fahren, immer wieder. Kein Bistro, kein Café ist weiter als 500 Meter von der nächsten U-Bahn-Station entfernt, es ist das dichteste innerstädtische Nahverkehrsnetz aller Weltstädte. Manchmal wird aus der Untergrundbahn für ein paar Minuten eine Hochbahn. Dann ist da plötzlich, auf der Linie 6 zwischen Passy und Bir Hakeim, ein kurzer Postkartenblick auf Seine und Eiffelturm möglich. Und ein anderes Mal fühlt man sich beim Umsteigen auf einmal verloren in der Unterwelt – und was passiert? Gleich zwei Pariser, einer schwarz, die andere weiß, bemühen sich, erklären den Weg zum gewünschten Ziel. Von wegen unfreundlich oder arrogant! Merci beaucoup, Madame et Monsieur.

Nostalgischer Sprung ans linke Seine-Ufer, wo sich vor 100 Jahren rund um die Kirche Saint-Germain-des-Près das Paris der Dichter, Philosophen und Lebenskünstler entwickelte. Boulevard Saint-Michel, die Cafés de Flore und Les Deux Magots, Jean-Paul Sartre, Simone Beauvoir, Juliette Greco – Saint-Germain war lange so etwas wie ein heiliges Viertel. Heute stellen sich hier die Reichen und die Schönen aus, das Paris der Moden und der sündhaft teuren Lebensart hat Besitz ergriffen vom ehemaligen Reich des Geistes.

Auch im Quartier Latin, nur wenige Hundert Meter die Seine aufwärts und mindestens so legendär wie Saint-Germain, haben viele alteingesessene Läden und Bars vor den rapide gestiegenen Mieten kapitulieren müssen. Und doch: Zwischen der Universität und dem Jardin du Luxembourg im Süden und der Île de la Cité mit der Kirche Notre-Dame im Norden hat sich vieles erhalten, was die Paris-Liebhaber immer gesucht und gefunden haben.

Längst gehört aber auch der Wandel zum Beständigen, etwa in der Rue Mouffetard, der alten Marktstraße, die sich krumm und eng durchs Lateinische Viertel schlängelt. Armenier und Perser haben hier schon vor Jahren ihre Bistros eröffnet, direkt neben den alteingesessenen Fischhändlern und kleinen „épiceries“, den französischen Tante-Emma-Läden. Und am oberen Ende der „Mouff“, auf der Place de la Contrescarpe, ruht man sich so stilecht aus wie eh und je, bei einer kleinen Käseplatte und einem trockenen Merlot unter der Markise.

Noch ein Postkartenblick von der Terrasse im neunten Stock des Instituts der Arabischen Welt auf Notre-Dame, noch ein starker Mokka im Café der Moschee gleich um die Ecke. Und dann wieder ab in die Metro, einmal über die Seine hinweg, ins Marais. Unter den Arkaden an der Place des Vosges zeigen immer mehr moderne Galerien, was die mondäne Welt heute für Kunst hält, während das L’Ambrosie, einer der namhaften Gourmettempel der Stadt, die Haute Cuisine nach wie vor auf klassische Art zelebriert.

Aber selbst an diesem noblen Platz, der als schönster von ganz Paris gilt, ist die Atmosphäre in den Cafés gemütlich geblieben, wenn auch nicht so romantisch wie in den „namenlosen“ Bistros auf dem Weg zur Rue des Rosiers, ins Herz des alten Judenviertels von Paris. Dort sind die meisten Geschäfte und Imbiss-Stationen, wo und was sie immer waren: Sacha Finkelsztajn mit seinen koscheren Köstlichkeiten, L’As mit den besten Falafeln westlich von Tel Aviv, Chir Hadach, die traditionsreiche Buchhandlung mit hebräischen und jiddischen Werken. Goldenberg allerdings, das legendäre Feinschmecker-Restaurant, hat sich von dem palästinensischen Terroranschlag im Sommer 1982 nicht mehr erholt. Dort wird jetzt Mode verkauft, nur das alte Namensschild ist geblieben.

Geblieben sind auch Joseph Moscovic und seine Bäckerei Murciano, 1909 von den Großeltern, österreichisch-ungarischen Juden, gegründet. Noch immer deckt sich das Viertel bei Jo, wie ihn hier alle nennen, zum Pessachfest mit Matze ein, dem ungesäuerten Brot. Das ganze Jahr über beliebt sind seine Strudel und Knishes, herzhaft gefüllte Teigtaschen. Jo hat nichts dagegen, dass sein Viertel „touristischer“ geworden ist, wie manche sagen: „Sollen doch alle kommen und sehen, wie wir hier leben, traditionell und friedlich, so soll es bleiben.“

Drei Tage Paris: Streifzüge, Momentaufnahmen, Gaumenfreuden. Der alte Fahrstuhl im Hotel rattert zur Rezeption herunter. Der Conciercge, Mohammed heißt er, hat einen Transfer zum Flughafen arrangiert. Sein Freund Hassan wird uns fahren, Marokkaner wie Mohammed. Mich und eine Australierin und einen Professor aus New York, der eine Tüte mit frischen Bagels mitgebracht hat, die er jetzt im Kleinbus verteilt. Was für ein passender Abschluss: Vorgestern erst haben wir dieses runde Hefegebäck, das eigentlich aus der jiddischen Küche in Polen stammt und seinen internationalen Erfolgsweg über die amerikanischen Delis zurück nach Europa gemacht hat, in der Rue des Rosiers genossen.