In der kühleren Jahreszeit zeigt sich die goldene Stadt an der Moldau mit ihren berühmten 100 Türmen von seiner romantischen Seite – wobei Frühaufsteher in Prag besonders belohnt werden.

Das Romantik-Programm startet schon auf dem Rollfeld: Kaum ist die kleine Propellermaschine von Czech Air auf dem Václav-Havel-Flughafen gelandet, ertönt Smetanas „Moldau“ aus den Bord-Lautsprechern, während die freundliche Stewardess die Besucher in schönstem, völlig unverständlichem Tschechisch willkommen heißt. Draußen ist es grau, was einen gar nicht wundert. Sehr schnell und unkompliziert geht die Gepäckausgabe vonstatten, dafür dauert die Taxifahrt ins Zentrum umso länger. Rushhour, heftige Regenfälle und dazu noch eine recht unpraktische Verkehrsplanung, die die Stadtautobahn zweispurig mitten durch die tschechische Metropole führen lässt, verdoppeln die ansonsten halbstündige Tour. Doch gerade als man sich an den Gedanken gewöhnen will, dass ja auch Regen ganz stimmungsvoll sein kann, da knipst der Himmel über Prag die Abendsonne an. Und da liegt sie plötzlich vor einem: die goldene Stadt an der Moldau mit ihren berühmten 100 Türmen.

„Das Wetter wechselt hier bis zu viermal am Tag“, fügt Yvette Polasek von Prague City Tourism schnell hinzu, als wolle sie den Gästen Mut machen, auch bei einem kleinen Schauer nicht zu verzagen. Schließlich möchte sie, dass sich die Kapitale von ihrer besten Seite zeigt, soll heißen: von der romantischsten. „Heiraten ist ein großes Thema hier“, erzählt sie während der Autofahrt. „Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist Tschechien sehr liberal, was die Bestimmungen für eine Hochzeit angeht. Einer kirchlichen Trauung muss etwa keine standesamtliche vorausgehen.“ Hat man die Formalitäten im Heimatland geklärt, stehen einem in Prag nicht nur zahlreiche Sehenswürdigkeiten vom Gemeindehaus im Jugenstil über das gotische Altstädter Rathaus bis zu den blühenden Gärten der Prager Burg, sondern auch rund 300 Kirchen zur Auswahl. Dazu einige hochklassige Hotels wie Le Palais Hotel Prague sowie Restaurants mit ambitionierter Küche, etwa das Bellevue, das zudem noch einen tollen Blick auf den Fluss offeriert. Spezielle Agenturen sind bei der Organisation vor Ort behilflich. Die einzige Regel lautet: „Wo der Standesbeamte hinkommt, da darf geheiratet werden“, so Yvette Polasek lächelnd.

Kultur, Shopping, Geschichte – ein langes Wochenende reicht kaum aus

Tatsächlich werden wir im Laufe des Wochenendes unzählige Hochzeitsgesellschaften an den verschiedensten Orten entdecken, begleitet von professionellen Foto- und Kamerateams, die Herren in eng anliegenden Anzügen, die blassen Bräute in champagnerfarbenen, tief dekolletierten Kleidern und auf High Heels der Kälte und dem holprigen Kopfsteinpflaster aus dem Mittelalter trotzend. Die Stadt, die Filmen wie „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, „Mozart“ und „Liebe nach Fahrplan“ Atmosphäre einhauchte, ist auch die ideale Kulisse für den schönsten Tag im Leben. Hochzeiten an der Moldau seien vor allem bei Russen beliebt, weil sie um ein Vielfaches günstiger seien, erzählt Walter, der mit seinem Ford A aus dem Jahr 1928 Stadtführungen im Oldtimer-Cabriolet anbietet – ein echtes Erlebnis. Wobei Stadtführung etwas übertrieben ist: Vielmehr wirft der laut Visitenkarte „best driver in town“ anekdotische Brocken hin und zeigt die besten Bierkneipen (etwa Goldener Tiger), während er an einer Marlboro zieht. „Romantik? Ha, ein Wirtschaftsfaktor. Aber ein guter!“ Zu tun habe er das ganze Jahr über, nur im Februar werde es ruhiger, da mache er Inspektion an seinem Wagen.

Prag ist nicht nur für Ja-Sager attraktiv. Nachtleben, Kultur, Shopping, Geschichte – ein verlängertes Wochenende reicht kaum aus. Um die Stadt kennenzulernen, folgt man am besten einem der vielen sehr belesenen und oftmals deutschsprachigen Guides wie Ludmilla. Aus dem geplanten zweistündigen Spaziergang durch romantische Ecken und Gassen von Prag wird schnell ein ganzer Nachmittag. Unseren Treffpunkt, den geschichtsträchtigen Wenzelsplatz in der Altstadt, lässt die gebürtige Pragerin schnell zurück („Hier wird nur Nippes verkauft, und abends öffnen die Erotik-Bars“); stattdessen führt ihre Tour mit der Metro auf das linke Moldau-Ufer in den Ersten Prager Bezirk.

Vom Hauptplatz vor dem Hradschin gelangen wir über die Straße Kanovnická in die „Neue Welt“, auf Tschechisch Novy svět. Dieses kleine hübsche Viertel lag außerhalb der um 1320 gegründeten Stadt Hradschin, erst 1360 wurde es in die neue Burgbefestigung integriert und besiedelt. Heute haben hier viele Künstler ihre Ateliers, und besonders am Abend im Licht der nachgebildeten Gaslampen entfaltet das Viertel sein besonderes Flair. Weiter geht es via Kapucínská-Straße auf den nach italienischem Muster gebauten Loreto-Platz und zum Strahov-Kloster, eins der bedeutendsten architektonischen Denkmäler Tschechiens.

Der Blick auf die Prager Burg mit dem Laurenziberg (Petřín) zu ihrer Rechten ist eine der bekanntesten Silhouetten der Metropole. Letzterer ist laut Ludmilla bei Einheimischen als romantischer Zufluchtsort für den ersten Kuss, aber auch für die erste heimliche Zigarette und bei Kindern als Abfahrt auf Skiern beliebt. Wer möchte, fährt mit der Seilbahn hoch zum Aussichtsturm, dem Mini-Eiffelturm auf 318 Meter Höhe, und genießt von dort die wunderschöne Stadtaufsicht. Mitglieder des Clubs der tschechischen Touristen waren 1889 bei der Pariser Weltmesse so vom Eiffelturm begeistert, dass sie beschlossen, auch in Prag ein solches Wahrzeichen zu bauen. Von der Mittelstation Nebozízku aus geht es über die Straße Vlašská auf die Kleinseite (Malá Strana). Hier endet Ludmillas Romantik-Tour. Ein bisschen genervt vom Touristenrummel gibt sie uns noch einen guten Tipp: „Gegen den Strom schwimmen. Stehen Sie früh auf und besuchen Sie dann die Sehenswürdigkeiten, sonst sehen Sie gar nichts. Und auch mal kleine, abgelegene Wege gehen. So entdeckt man am ehesten die versteckten schönen Ecken von Prag.“ Zum Beispiel die familiengeführte Konditorei U Knofličků unweit der Seilbahn-Station, was so viel heißt wie „Zum Knöpfchen“. Dort gibt es Palatschinken gefüllt mit Quark – eine Kalorienbombe, absolut köstlich! Oder, statt in eins der großen Museen zu gehen, kleine Galerien wie die am Staroměstské-Platz besuchen. Dort ist der böhmische Maler Alfons Mucha ausgestellt, der durch das „Slawische Epos“ sowie durch das Renaissance-Plakat mit der Schauspielerin Sarah Bernhardt berühmt wurde, sich aber auch nicht zu schade war, um Briefmarken und Champagner-Werbung zu illustrieren. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, sollte man unbedingt eine Aufführung in der Staatsoper ansehen und anschließend ins Restaurant Cestr nebenan einkehren, wo man modern interpretierte tschechische Küche bekommt. Und so oft wie möglich mit der altmodischen Straßenbahn fahren.

Am Abreisetag verabschiedet sich die Stadt mit warmer Oktobersonne und goldglitzerndem Flusslauf. Ludmillas Tipp, möglichst früh aufzustehen, blieb leider nur Theorie. Und so spazieren wir mit Hunderten anderer Touristen ein letztes Mal über die Karlsbrücke. Ein Violinist schmiert eine tschechische Weise, die alte Damen zu Tränen rührt. In diesem Moment passt einfach alles zusammen: die Menschen, die Stadt, die Stimmung. „It’ s so romantic“, haucht eine Amerikanerin im Vorbeigehen. Yes, it is!