Am 10. Oktober beginnt am Bodensee die Lese, bei der auch Urlauber eingeladen sind mitzuhelfen – Impressionen eines Selbstversuches

„Zum Wimmeln gehört auch das Bibbele“, sagt Fritz Baur, Winzer in dritter Generation. Der fitte 77-Jährige wimmelt und bibbelt bereits seit seiner Kindheit. Was es damit genau auf sich hat, erfahre ich im Selbstversuch bei der Weinlese in einer Spätburgunder-Anlage am Bodensee, genauer gesagt am nördlichen Ufer in Hagnau, nur wenige Kilometer von Meersburg entfernt.

Dass wimmeln auf Alemannisch Wein ernten bedeutet, haben die Laienleser schon vor ihrem Einsatz erfahren. Wein trinken sie alle gern, aber das Wissen über den langen Weg vom Weinberg bis ins Glas ist bei den meisten eher begrenzt. Wie auch bei mir. Am schnellsten lerne ich zu bibbeln. Was übersetzt heißt, zwischendurch ein paar aromatische Beeren zu zupfen und zu naschen. Die Süße nicht nur mit dem Refraktor – einer Oechslewaage – ermitteln, sondern mit dem Gaumen. Sagt Fritz Baur, der als Mitglied des Hagnauer Winzervereins noch 20 Ar als „Altenteil“ besitzt. Seeblick inklusive.

Dann zeigt er mir, wie man richtig wimmelt. Blätter und faule Beeren entfernen, mit einer Hand die verbliebene Hälfte der blauen Traube packen, sie mit der anderen dicht am Holz abschneiden und in den großen Eimer geben. Die fehlende Hälfte wurde bereits gekappt, bevor sich Zucker anlagern konnte, damit sich die verbliebenen besser entfalten konnten. Vier Reihen sollen rund 15 Leute jetzt leeren. Schon muss die erste Helferhand wegen Fehlführung der Ernteschere verarztet werden. Wahrscheinlich hat sich der Arme erschrocken, als zur Abschreckung der Vögel plötzlich seltsame Tierlaute aus dem Lautsprecher durch die Reben schallten. Eimer auf Eimer füllt sich mit den prallen Trauben. Karl Megerle, Vorsitzender des Winzervereins, schüttet sie in große Kübel à 330 Kilogramm und transportiert sie mit dem Traktor in die Winzerei.

60 Familien haben sich auf insgesamt 150 Hektar dem kontrolliert umweltschonenden Weinbau verschrieben. An den sonnigen Südhängen am See gedeihen vielfach prämierter Müller-Thurgau, Weißburgunder, Grauer Burgunder, blauer Spätburgunder, Kerner, Bacchus, Regent und St. Laurent.

Locker geht das Wimmeln jetzt von der Hand. Die Verkostung am Vorabend hatte uns schon darauf eingestimmt. Als Anita Schmidt, Verkaufsleiterin des Winzervereins, den einzelnen Weinen Geschmacksnoten attestierte wie: leicht nussiges Aroma, fruchtige Note von Zitrusfrüchten und Pfirsich, Aromen von Mandel und frischer Butter ... Nur mit viel Fantasie schmecke ich irgendetwas heraus, und irgendwann wimmelt es auch im Kopf.

Vom Wein geprägt ist die Geschichte von Hagnau seit dem frühen Mittelalter. Die reichsten Klöster aus dem Voralpengebiet besaßen hier Rebhänge und Weinkeller. 1881 gründete Pfarrer Heinrich Hansjakob die erste badische Winzergenossenschaft. Dankbar sind ihm die 1500 Einwohner bis heute – eine Statue vor dem Rathaus zeugt davon, eine Straße trägt seinen Namen, und im Museum ist der Silberpokal ausgestellt, den er 1906 zum 25-jährigen Bestehen des Winzervereins gestiftet hat und der beim alljährlichen festlichen Winzertrunk, gefüllt mit bestem Wein, noch immer die Runde macht.

Wahre Schätze lagern in den Riesenfässern des historischen Weinkellers im Winzerhaus. Doch heute wird dort Suser (oder Sauser) serviert, der junge Wein, der den Namen angeblich von seiner durchschlagenden Wirkung erhalten haben soll. Spritzig ist er, und süß schmeckt er. Den Selbstversuch, ob der Bodenseewein, der als besonders leicht gilt, auch nach mehreren Gläsern wirklich den unbeschwerten Genuss verheißt, trete ich dann doch lieber nicht an. Wie gern würde ich jetzt aber das Resultat meines selbst gewimmelten Weins verkosten. Doch für diesen mit Sicherheit köstlichen Tropfen muss ich mich bis zum nächsten Jahr gedulden.

Auch Karl Megerle ist rundum zufrieden. Doch weder er noch Altwinzer Fritz Baur dürfen sich lange auf ihren Lorbeeren ausruhen. Denn der Weinbau am Bodensee erfordert ganzjährigen Einsatz.