Auf den teuersten vier Quadratkilometern an der Côte d’Azur, dem Cap d’Antibes, sind die Millionäre die meiste Zeit noch unter sich.

Abends grüßen sie einander, abends sind sie unter sich – auch wenn sie einander nicht kennen. Kurz vor Sonnenuntergang, wenn die Hitze des Tages weicht und regelmäßig leichter Sommerwind aufkommt, joggen sie mit Meerblick entlang der Küstenstraße dieser exklusivsten Landzunge der Welt, spazieren am Wasser. Die meisten Schaulustigen sind verschwunden, zurück in ihren Hotels anderswo an der Côte d’Azur, sitzen beim Abendessen im südfranzösischen Hinterland. Wer jetzt noch hier flaniert und nicht gerade einen großen Fotoapparat vorm Bauch hängen hat, muss einfach irgendwie dazugehören.

Wie die, die nun an den schmalen Buchten ins Wasser steigen und noch eine Runde schwimmen. Wie jene, die auf den Stegen kleiner Sportboothäfen hocken und den milden Abend genießen. Plötzlich grüßt jeder jeden, ruft „Bonsoir“, deutet ein Winken an. Und selbst die Verschlossensten nicken wenigstens mit dem Kopf einen hingelächelten Gruß herüber. Denn abends ist auf dem Cap d’Antibes auf ungefähr halbem Weg zwischen Cannes und Nizza nur noch unterwegs, wer hier in einer der gewaltigen Villen wohnt – ob als Besitzer, als Mieter, ob als Gärtner oder Hausmeister. Fast nur noch. Der Status ist dann egal. Und solange der Porsche, der Rolls-Royce oder der Maserati in der Garage bleibt, ist an Gesicht oder Sporthose sowieso nicht zu erkennen, wer hier Geld hat. Es ist die Uhrzeit, wenn das Cap d´Antibes zum Dorf wird.

Tagsüber tummeln sich hier die Schaulustigen, drehen mit dem Leihwagen ihre Runden übers nur 3,5 Quadratkilometer große Kap und hoffen, durchs heruntergekurbelte Fenster einen Blick auf Madonna zu erhaschen. Sie hat dort kürzlich für kolportierte 30.000 Euro am Tag eine 800 Quadratmeter große Villa als Ferienhaus gemietet. Oder auf Sting, der gegen Tagesgage auf ein Privatkonzert in einem der Paläste einflog. Oder auf die vielen anderen Prominenten wie George Clooney und Leonardo DiCaprio, die im exklusiven Hotel du Cap Eden Roc absteigen und – so man nicht selber dort wohnt – nur für zwei, drei Sekunden an der Toreinfahrt des Hotels sichtbar sind. Tom Cruise adelte das schlossartige Haus, als er im Kinofilm „Knight and Day“ vor Cameron Diaz diesen Satz aus dem Drehbuch sprach: „Es gibt vielleicht fünf Dinge im Leben, die man gemacht haben muss. Einer davon ist, einen Drink auf der Terrasse des Hotel du Cap einzunehmen.“

Unzählige Hollywood-Stars taten es vor ihm, ein Foto von Marlene Dietrich im Liegestuhl ziert heute die Bar-Karte. Macht nichts, dass die Preise es in sich haben und man allein für ein Club Sandwich 36 Euro hinblättern muss. Dafür ist der Eintritt in die Welt der Schönen, der Reichen und Berühmten inklusive – skurrile Erlebnisse nicht ausgeschlossen. Tarzan-Darsteller Johnny Weißmüller zum Beispiel erschreckte Gäste ebenso wie die Eichhörnchen im angrenzenden Pinienwald einst, als er auf der Bar-Terrasse zu später Stunde und allerbester Laune einen markerschütternden Urwald-Schrei zum Besten gab.

Was aber macht dieses Cap-Lebensgefühl aus? Was begründet diese Sehnsucht, einen Urlaub lang dazuzugehören oder gar – mit dem nötigen Multi-Millionenvermögen ausgestattet – hier in eine Villa zu investieren wie die Bierbrauer-Familie Heineken oder der russische Oligarch Roman Abramowitsch? Mehr noch als der Klang der Adresse ist es dieses Licht, diese Luft. Es ist das Sirren der Zikaden, dieses kitschige Rosa über dem Wasser bei Sonnenuntergang, dieser salzige Geschmack auf den Lippen. Es ist die Tatsache, an drei Seiten vom Meer umgeben zu sein, obwohl es nicht mal herausragende Strände gibt. Es ist die relative Ruhe der Halbinsel und die Nähe zu den Hotspots Cannes und Nizza.

Dass irgendwer mal damit angefangen haben muss, hierherzufahren, von diesem Flecken Erde zu schwärmen und größer zu bauen als andere, ist nur eine Facette. F. Scott Fitzgerald schrieb hier im Hotel Belle Rives, das es noch immer gibt, seinen Weltbestseller „Zärtlich ist die Nacht“. Ella Fitzgerald, Josefine Baker und Miles Davis machten hier Urlaub. Und noch einer kam fast ein halbes Jahrhundert lang immer wieder, weil die Gegend es ihm so angetan hatte. Sein Name: Pablo Picasso.

Das Meer hat sie sich geholt, vor langer Zeit schon. Die Kreidezeichnungen sind weg, die er aus einer Laune heraus auf die Steine der Uferbefestigung nah am Strand skizziert hatte. Genauso wie die Figuren, die er mit den Fingern im feuchten Sand von La Garoupe auf dem Cap d’Antibes gemalt hatte. Schon die übernächste Welle nahm sie mit. Die Umstehenden waren jedes Mal entsetzt. Es machte ihm Spaß, ausnahmsweise mal vergängliche Kunst zu schaffen. Geblieben ist die Erinnerung – auch bei Daniela Bensimon, die heute das Strandrestaurant César auf dem Cap d’Antibes betreibt, in das der Jahrhundertkünstler so gerne kam. Sie hat Zeitschriftenartikel von damals gesammelt, als Picasso ein und aus ging. „Früher war es ganz einsam. Wenn Pablo und ich morgens über die Straße zum Schwimmen gingen, waren wir fast immer allein“, erinnert sich Picassos damalige Lebensgefährtin Françoise Gilot.

Inzwischen kommen auch all die anderen: die normalen Leute, die denselben Blick aufs Mittelmeer schätzen. Diejenigen, die gegrillte Dorade am Strand dort essen wollen, wo Picasso seine Zeichnungen schuf. Es kommen auch die, die sich gar nichts aus all den Stars und Superreichen machen – und sie am Nebentisch gar nicht erkennen. „Weil Stars in den Ferien ganz anders aussehen als im Film“, sagt Daniela Bensimon. Sie muss es wissen.

Wer mag, kommt den Millionären, Milliardären, Wirtschaftsbossen und Kino-Berühmtheiten näher als je zuvor, seit die Gemeinde Antibes vor ein paar Jahren einen 2,7 Kilometer langen Pfad in die Klippen vom Garoupe-Strand bis zur Villa Eilenroc schlagen und mit Geländern versehen ließ: ein Teilstück des Chemin Littoral, eines für jedermann offenen Wegs in vorderster Küstenlinie. Die millionenschweren Anlieger, bisher exklusiv mit Meereszugang von ihren Villenterrassen aus gesegnet, mussten das hinnehmen, denn das französische Recht erklärt die Küsten grundsätzlich zu öffentlichem Grund – Klippen hin oder her. Die Hausbesitzer rüsteten einfach Zäune, Mauern und Überwachungskameras nach. Und manchmal, zur besten Picasso-Zeit am frühen Morgen, kommt nun der eine oder andere von ihnen durch sein Gartentor marschiert, um eine Runde im Mittelmeer zu schwimmen. Was er sagt? „Bonjour“ und „Wie geht’s?“ zum Beispiel, denn wer früh da ist, muss einer von hier sein und irgendwie dazugehören.