Dietmar heißt mein Gesprächspartner, ist zehn Jahre jünger als ich und arbeitet für eine Baufirma. Das kann eigentlich nicht gut gehen, denn unsere Leben haben zu wenig Überschneidungen. Doch nun habe ich mich auf eine „Vienna Coffeehouse Conversation“ eingelassen, da muss ich durch. Etwa ein Dutzend Menschen trifft sich im Café Museum, einst vom Architekten Adolf Loos gestaltet und 1899 eröffnet, im 1. Bezirk von Wien. Gegenüber reckt sich das Gebäude der Wiener Secession empor, eine prächtige Kulisse der alten Hauptstadt der Habsburger. In ihrer Zeit gelangte die Kaffeehauskultur zur Blüte, sie vereinte Künstler, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Hofschranzen, die teilweise ihr Stammcafé als zweites Zuhause empfanden. Im Café Museum waren Robert Musil und Joseph Roth Dauergäste, auch Maler Gustav Klimt und Psychoanalytiker Sigmund Freud. Sie debattierten stundenlang miteinander und tranken Kaffee. Irgendwann rechnete sich das nicht mehr, die Betreiber wollten mehr Kasse machen, das Kaffeehaus-Gespräch verröchelte unter diesem Anspruch.

Eugene Quinn fand das schade, als er nach Wien kam, um dort für eine Kulturorganisation zu arbeiten. Seit dem Frühjahr bietet der Engländer die Gespräche an (Termine unter www.wien.info). Zwei Menschen sitzen sich zwei Stunden lang gegenüber. Manche brauchen keinen Fragenkatalog, andere nehmen ihn gern in Anspruch. Da steht: „Wie haben sich die Prioritäten im Laufe Ihres Lebens verschoben?“ Oder: „Was sind die Grenzen Ihres Mitgefühls?“ Bei meinem Mann vom Bau, er hat mit Projektierungen zu tun, lösen die Fragen eine Lawine an Gefühlen aus. Dietmar hat eine schwierige Scheidung hinter sich, zwei Kinder, fährt gern Mountainbike und hat Lust an existenziellen Fragen. Wir offenbaren uns voreinander. Nach 20 Minuten ist das Gespräch kein Small Talk mehr. Am Ende weiß ich so gut wie alles von Dietmar. Ich habe nun einen Freund in Wien. Wir haben uns organisiert einander ausgetauscht, nun vertrauen wir uns wie alte Kneipenkumpel. Seltsam, im Kaffeehaus gelernt zu haben, mit einem Fremden über Persönlichstes zu sprechen. Aber es fühlt sich gut an.