Am 17. September beginnen die 27. Dithmarscher Kohltage, bei denen Gastronomen Traditionelles und Kreatives aus dem gesunden Gemüse zaubern

Mit dem Sauerkraut ist das so eine Sache. Monatelang tüftelte Hubert Nickels an dem Verschluss herum. Der Kohl gärt ja noch, soll sich somit im Glas selbst konservieren und damit ganz frisch und lecker auf den Tisch kommen. Das war die Idee von Hubert Nickels, Lebensmitteltechniker und Krautmeister aus Dithmarschen, Schleswig-Holstein. Bis zum Horizont wächst hier Kohl, es ist das größte Anbaugebiet in ganz Europa. Da muss man aus dem Besonderen doch was noch Besseres machen. Dachte sich Hubert Nickels. Das Sauerkraut im eigenen Reaktor also entwickelte sich zur Leidenschaft und fast zum Fluch von Nickels, der beinahe sein ganzes Berufsleben mit Kohl und Kraut verbrachte.

„Nach etlichen Monaten Tüftelei hatte ich es dann endlich raus“, sagt Nickels, worüber seine Frau sich vermutlich am allermeisten gefreut haben dürfte. „Ich habe einen Verschluss für das Glas entwickelt, der an der Unterseite eine Art Gummischaum hat. So kann das bei der Vergärung entstehende Gas entweichen, trotzdem dringt keine Luft in das Glas ein“, erklärt er im Keller des KOHLosseum in Wesselburen. Hier hat der Techniker Nickels an dem Bio-Reaktor so lange rumgebastelt, bis das Glas mit dem frischen Kraut endlich Serienreife hatte. Hier unten sieht´s aus wie eine Mischung aus Küche und Bastelkeller. Ja, auch Kohl kann Leidenschaft sein.

„Ich wollte, dass sich das Sauerkraut sozusagen selbst im Glas konserviert. Dass es frisch bleibt und haltbar ist. Sauerkraut darf man nicht zu Tode kochen, dann verliert es die meisten Vitamine und Vitalstoffe. Außerdem schmeckt es frisch viel besser“, sagt der Krautmeister. 50.000 dieser Gläser verlassen inzwischen jedes Jahr die Produktion in Dithmarschen. Gehen bis nach Übersee. „Ich hatte hier schon Hilferufe aus der ganzen Welt. Es musste unser gutes Dithmarscher Sauerkraut sein; nichts anderes“, berichtet Nickels als er die Kellerwerkstatt abschließt. Auch das kann Heimweh sein. Das große Ziegelsteingebäude in Wesselburen war einst eine Sauerkraut- Fabrik, Nickels hat dort gearbeitet, bis 1995 die letzte Dose vom Band lief. Heute befindet sich in den historischen Backsteingemäuern ein Bauernmarkt – hier gibt es alles Mögliche und Unglaubliche, was man aus Kohl machen kann: vom Schnaps bis zum Shampoo (wobei der Kinder-Lutscher ein Gag ist, da ist – ganz ausnahmsweise – kein Kohl drin). Und eines der wohl ungewöhnlichsten Museen Deutschlands: eben das KOHLosseum, ein Kohl-Museum. Die Ausstellung erzählt die Geschichte vom Kohl und ist ein bisschen auch Heimatmuseum. Boden und Klima sind die beiden Gründe, weshalb Dithmarschen mit rund 80 Millionen geernteten Köpfen pro Jahr Europas Kohlanbaugebiet Nummer eins ist. Marschboden hat einen vorzüglichen Nährstoffhaushalt, hält Feuchtigkeit und verhindert den Befall mit einer Krankheit. Und das ausgewogene Klima – nicht zu kalt, nicht zu warm – lässt gesundes Gemüse heranwachsen, das man hier im stetigen Wind prima lagern kann.

Die „Ackerpille“ vom Westhof gilt als eine der Urformen des Kohls

Denn Kohl ist zickig; „Kohl muss man behandeln wie ein rohes Ei!“, sagt Hubert Nickels. Oder eben fein zersäbelt mit einer exakten – und zwar einer ganz exakten – Menge Salz in den Mini-Reaktor stecken. Dann geht’s auch, dann schmeckt’s gut. Einst war Kohl ein Arme-Leute-Essen, wie Krabben und Austern auch. Aber: „Kohl hat sich längst zu einem Nobel-Produkt gewandelt“, sagt Küchenmeister und Fernsehkoch Thies Möller. Es kommt eben darauf an, was man daraus macht. Und wenn es Kohlrouladen mit Krabben sind. Thies Möller betreibt zusammen mit Ehefrau Tanja, ebenfalls eine im wahren Wortsinn ausgezeichnete Köchin, das Restaurant „Kochschule: Bi Thies und Tanja to Huus“ in Schülperweide nahe Wesselburen. Möller, gebürtig aus Dithmarschen, und seine Frau machen aus dem Bodenständigen das Besondere. Genauso fühlt es sich an, wenn man das schmucke Reetdach-Haus betritt: freundlich, licht, helle Möbel, gemütlich, ein antiker Herd, schöne Kleinigkeiten – wie zu Hause eben. Dass Kohl als klassische Roulade von Möller zubereitet, selbst welterfahrene Fachleute entzückt, kommt nicht von ungefähr. In dieser Küche wird das Bewährte mit Kreativität zubereitet.

Thies Möller ist von regionalen Produkten überzeugt; was durch seine Küche geht, kommt vom Acker nebenan und aus der nahen Nordsee. Gleich hinter seinem Gartenzaun baut Bauer Groth Gemüse nach Öko-Richtlinien für Thies’ und Tanja Möllers Küche an. Oder zum Beispiel die „Ackerpille“ von Bio-Land-Hof Westhof ein paar Kilometer südwärts. Dieser Weißkohl ist eine seltene Sorte, die fast vergessen war und – wie viele andere Gemüsesorten auch – beinahe in der Versenkung verschwunden wäre. Neben anderem Bio-Gemüse baut Rainer Carstens eben auch die „Ackerpille“ an.

Ihren Ursprung hat sie im 17. Jahrhundert und gilt als eine der Urformen des Kohls. Sie lässt sich prima in der Küche verarbeiten, hat einen köstlichen Geschmack (man kann in das rohe Gemüse reinbeißen und es so essen, der Geschmack erinnert an junge Erbsen aus der Schote) – und sie riecht beim Kochen nicht nach Kohl. Dies – und die Tatsache, dass diese Sorte nicht bläht – dürfte zu ihrer Wiederkehr beigetragen haben. Zu Hunderttausenden rollen diese Köpfe wieder jährlich in Dithmarschen. Hier gedeiht auch das Gute von gestern.

Richtig gutes Essen hat auch etwas mit Aufgehobensein zu tun, mit ihrer bodenständigen Küche bedienen Thies und Tanja Möller gewiss auch eine Sehnsucht. Und sie tun dies mit einer Leidenschaft, die ansteckt. Heute gibt es einen Eintopf aus Kohl, Bohnen und Kartoffeln, dazu kommen Birnen, Äpfel und Apfelmus, vorab wurde ein Stück Schweinenacken angebraten und mit Whisky flambiert. Auf den Eintopf kommt Bärlauchschmand, dazu wird eine Bratwurst vom Salzwiesenlamm serviert. Sage noch jemand, Kohl sei von gestern. In Dithmarschen ist er wieder ganz modern.