Die beiden nordöstlichen Bundesstaaten in Malaysia, Kelantan und Terengganu, sind relativ weiße Flecken auf der Landkarte des Massentourismus

Es ist dir vollkommen schleierhaft, warum dieser Mann nicht schwitzt. Warum sein khakifarbenes Hemd praktisch faltenfrei ist und makellos trocken, während deine Klamotten schon eine Viertelstunde nach dem Duschen klatschnass sind. Natürlich sind die Einheimischen das tropische Klima gewohnt, die konstanten Temperaturen von um die 30 Grad, verstärkt durch eine Luftfeuchtigkeit von annähernd 100 Prozent am Morgen, die sich dann im Laufe des Tages auf einigermaßen erträgliche 70 Prozent einpendelt. Aber du vermutest, dass es vielleicht auch daran liegen könnte, dass dieser Alex Lee, ein gebürtiger malaysischer Chinese, 50 Jahre alt, ziemlich tiefenentspannt ist. Denn er kann es sich leisten, die sprichwörtliche asiatische Emsigkeit und Hektik an sich vorbeiziehen zu lassen.

Die meisten Chinesen in diesem asiatischen Vielvölkerstaat haben es, wie Alex Lee, geschafft, jedenfalls wirtschaftlich gesehen. So war es schon immer: Die Malaien machen die Politik, die Chinesen die Geschäfte, und die Inder kümmern sich um den Dreck, entweder als Straßenkehrer oder als Rechtsanwälte. In Alex Lees Fall sind es mehrere Reisebüros und -agenturen, die dafür sorgen, dass seine Kinder auf ausländischen Eliteuniversitäten studieren können, während er sich hier, am Rand der Kleinstadt Penarik im nordöstlichen Bundesstaat Terengganu, seinen Lebenstraum erfüllen kann, den er stolz „Terrapurri“ nennt, das „Land der Paläste“. Einen Steinwurf nur von einem unglaublich breiten, unglaublich weißen und unglaublich menschenleeren Strand entfernt (den du dir lediglich mit ein paar Kühen teilen musst, aber die gehen nicht ins Wasser) hat Lee ein künstliches Kampung geschaffen, ein traditionelles Pfahldorf, für das er in ganz Malaysia jahrhundertealte Hütten ausfindig gemacht, demontiert und an dieser Stelle wieder aufgebaut hat.

Der Pool wird von einem kompliziert anmutenden Wasserleitungssystem aus alten Reismühlen gespeist. Da liegst du dann, umnebelt von einem sauteuren dschungeltauglichen Mückenspray, kannst dich am psychedelischen Farbspiel der Blumen und Glühwürmchen kaum sattsehen, saugst kühle Kokosmilch mit dem Strohhalm aus einer frisch gepflückten Nuss und denkst, ja, dass du es dir schon immer genau so vorgestellt hast. Das Paradies. Deshalb verzichtest du auch höflich, aber bestimmt, auf Alex Lees spontane Einladung zu einer Fahrradtour ins knapp fünf Kilometer entfernte Penarik. Es ist einfach immer noch zu warm, und außerdem hast du ja schon ein paar Entdeckungen hinter dir, hier oben, im wilderen Nordosten des Landes.

Die Zweieinhalb-Millionen-Stadt Kuala Lumpur mit ihren Petronas-Türmen, wo du dich in den zahlreichen luxuriösen Einkaufspassagen um den Verstand shoppen könntest; Malakka an der Westküste, wo du auf Schritt und Tritt der prächtig renovierten Kolonialvergangenheit dieses Vielvölkerstaates begegnest, oder Borneo, die drittgrößte Insel der Welt, wo du zum Orang-Utan-Gucken in den Regenwald eintauchst und Schrumpfköpfe dich das Gruseln lehren: Das kennst du alles von irgendwoher (und sei es bloß aus dem Fernsehen), doch die beiden nordöstlichen Bundesstaaten Malaysias, Kelantan und Terengganu, sind zumindest gebrochen weiße Flecken auf der massentouristischen Landkarte, und wenn es hier mal laut und voll wird, dann liegt es immer an den chinesischen Reisegruppen. Der kleinere Rest der Reisenden, der sich hierher verirrt, vorwiegend westeuropäische und amerikanische Langnasen, sind zumeist erkennbar Individualtouristen, häufig „Backpacker“, Rucksack- und Ökotouristen also.

Sie sind anscheinend auf der Suche nach dem „wahren Asien“. Mit diesem Slogan – „Truly Asia“ – wirbt Malaysia um seine Gäste aus aller Welt. Und fast alle entscheiden sich für Kota Bharu, Hauptstadt des nördlichsten Bundesstaates Kelantan, als Ausgangspunkt für ihre Entdeckungsreise. So auch Claudia, 31, Erzieherin aus Schwerin, die sich gemeinsam mit sieben Freunden für etwa 80 Euro pro Tag einen einheimischen Führer geleistet hat und jetzt glücklich und sonnenverbrannt bei literweise Eistee (in diesem konservativsten aller malaiischen Sultanate musst du auf alkoholische Getränke verzichten) auf der Terrasse des New Horizon Garden Restaurants ihren einwöchigen Trip in die weitere Umgebung der Provinzhauptstadt Revue passieren lässt. Am liebsten, sagt Claudia, würde sie hier im ärmellosen Shirt und kurzen Hosen sitzen, aber sie habe gemerkt, dass es den Einheimischen gegenüber einfach respektvoller sei und besser ankomme, sich etwas bedeckter zu kleiden, gerade als Frau.

Es ist kein herausgeschmissenes Geld, sich einen Guide zu mieten, der genau weiß, wo es langgeht in der Provinz, auch wenn du mit Englisch im Grunde prima durchkommst. Die Briten haben als letzte Kolonialmacht Malaysia schließlich erst 1963 in die endgültige Unabhängigkeit entlassen. Seitdem wählen neun Adelsträger alle fünf Jahre im Rotationsprinzip einen König aus ihren Reihen, der zwar nicht viel zu sagen hat, aber er eint das Volk und sorgt dafür, dass die vielen unterschiedlichen Religionen weitestgehend friedlich nebeneinanderexistieren.

Vom Islam geht hier also keine Gefahr aus, aber du selbst würdest mit Sicherheit Gefahr laufen, an einigen der vielen Attraktionen, die Kelantan zu bieten hat, einfach vorbeizufahren: zum Beispiel an den Naturschutzgebieten in den Distrikten Pasir Puteh, Jeram Pasu, Lata Rek und Lata Renyok mit ihren atemberaubenden, zerklüfteten Wasserfällen. Der spektakulärste Wasserfall bei Lata Beringin ist immerhin ganz gut ausgeschildert, aber der ist ja auch 120 Meter hoch.

Der Guide kennt die interessantesten buddhistischen Tempel: etwa den liegenden Buddha von Wat Photivihan in der Nähe von Kampung Jambu, mit gut 40 Metern vom Kopf bis zu den Füßen überhaupt einer der längsten liegenden Buddhas in Südostasien, oder den Drachenboottempel Wat Mayisu Wankiri bei Bhuket Tanah, wo dir ein frecher, sitzender Buddha beide „Stinkefinger“ entgegenreckt... Der Guide weiß ebenfalls, welche Bootsvermietungsfirmen dich nicht übers Ohr hauen, solltest du Lust auf die stundenlange Fahrt den Sungai Kelantan hinauf nach Dabong verspüren, auf dem du an zahllosen Dörfern vorbeigleitest und Kilometer um Kilometer intensiver konfrontiert wirst mit dem „wahren Asien“ und seiner freundlichen Bevölkerung.

Der Guide wird dich auch zu den besten Badeplätzen der Region führen: an den Pantai Seri Tujuh (Strand der sieben Lagunen), den Pantai Irama (Strand der Melodie) und natürlich an Kelantans berühmtesten Strand Pantai Cahaya Bulan, wo du dich zum Übernachten bloß zwischen einfachen „Nur-Dach-Hütten“ über preiswerte Pensionen bis hin zu einem Resort mit Tennisplätzen und Golfplatz entscheiden musst. Und schließlich hat der Guide für dich dieses unauffällige Restaurant in der 300.000 Einwohner zählenden Stadt herausgesucht, wo du das vermutlich beste Zitronenhuhn deines Lebens vorgesetzt bekommst. Die besten Garnelen in Safran. Und den besten gedünsteten Tintenfisch.

Das Essen spielt hier nicht nur eine große, es spielt die entscheidende Rolle im täglichen Leben. Malaien äßen immer, erzählt dir dein Guide, doch gerade in Kota Bharu mag dies auch daran liegen, dass die Provinzhauptstadt selbst nicht all zu viel zu bieten hat. Auch die Japaner sind hier 1941 im Krieg nach ihrer Landung rasch durchmarschiert; eine ihrer verrosteten Seeminen nebst einigen Maschinengewehren kannst du heute im „Kriegsmuseum“ besichtigen. Deshalb schleppt dich dein Guide vor der Weiterfahrt nach Penarik zu den luxuriösen Annehmlichkeiten von Alex Lees Terrapurri Heritage Village lieber noch rasch zum Wet Market, der all deine bisherigen Vorstellungen von Hygiene und Lebensmitteln über den Haufen wirft. Es ist ein dreistöckiger, achteckiger Bau, in dem beinahe 45 Grad herrschen, wobei schon das Erdgeschoss allein den Besuch wert ist: eine Ansammlung von kleinen Bühnen, auf denen bunt verschleierte Frauen ihre Waren anbieten, die meisten von ihnen mit einer Zigarette im Mundwinkel, die offenbar niemals verglimmt. Die Düfte von Obst und Gemüse, die Aromen zahlloser Gewürze vermengen sich mit den Gerüchen von frisch geschlachteten Hühnern und Lämmern und Fisch zu einer Art zähen Wolke, die dir schier den Atem raubt. Kühlung ist ein Fremdwort, das spärliche Eis, auf dem die Meeresfrüchte liegen, schmilzt in Minutenschnelle, und spätestens jetzt weißt du auch, warum die Malaien beim Braten, Frittieren und Kochen stets penibel darauf achten, dass die Speisen wirklich „durch“ sind.

Ein paar Stunden und eine Motorbootfahrt später entdeckst du ihn dann doch: den organisierten Tourismus, die sprichwörtlichen Busladungen lärmender Spaßgesellschaften, die sich nur auf Chinesisch verständigen und deren Mitglieder ihre Smartphones nur dann aus der Hand legen, wenn sie mit orangenen Schwimmwesten zum Schnorcheln ins kristallklare, 28 Grad warme Wasser des Südchinesischen Meeres plumpsen, um dem bunten Treiben der Korallenriffbewohner zuzuschauen.

Die Inseln Pulau Redang und Pulau Perhentian Besar, gut zwölf Seemeilen vor der Ostküste, gelten unbestritten als touristische Hotspots des nordöstlichen Malaysias. Die größere der beiden Inseln, Redang, ist dank Berjaya Air auch mit dem Flugzeug zu erreichen, aber die Motorbootfahrt vom Hafen Kuala Besut ist sehr viel aufregender.

Im Grunde ist die gesamte Insel ein einziges Urlaubsresort, wobei du dich zwischen verschiedenen Hotelanlagen unterschiedlichster Preis- und Güteklassen entscheiden kannst. In jedem Fall aber musst du den Malaien zugutehalten, dass sie diesen Naturschatz wenigstens schonend plündern. Denn sie sorgen dafür, dass weite Teile der Inselvegetation unberührt bleiben, und wer meint, beim Schnorcheln im seichten Wasser auf den empfindlichen Korallen herumtrampeln zu können, wird augenblicklich zurückgepfiffen.

Am Abend kannst du mit deiner Gruppe in einem der Holzstühle Platz nehmen. Nach 17 Uhr werden in den Hotelbars – Islam hin, Alkoholverbot her – auch harte Drinks ausgeschenkt, und so freust du dich auf einen entspannten Südseeabend. Leider haben deine chinesischen Mitbewohner etwas gegen die romantische Stille. Und so wetteifern nach Sonnenuntergang alle Resorts mit Live-Bands oder Technodisco, was vor allem eins ist: sehr laut. Etwas irritiert wendest du dich deshalb am nächsten Morgen an die charmante Managerin deines Laguna Redang Island Resorts. Wu Lei nickt verständnisvoll und bemüht sich um Diplomatie. Im August und September sei das große Unterhaltungsprogramm vorbei. „Dann ziehen wir auch schon mal den Stecker raus!“, verspricht Wu Lei, und das klingt auch sehr verdächtig nach Truly Asia.