In Washington wird es möglich. Das International Spy Museum zieht Besucher hinein in die gefährliche Welt der Geheimdienste, Spitzel und Spione.

Gestatten, Dimitri Iwanow. 48 Jahre alt, aus Kirow in Russland, zu Besuch bei Verwandten in den USA. So weit die Legende. Eine solche muss annehmen, wer das Spy Museum in Washington betritt. Gleich am Eingang heißt es: neue Identität aussuchen und einchecken in die Welt der Spitzel und Spione. Erster Einsatz: Auf Fotos verdächtige Gestalten mit Koffern und Handy am Ohr enttarnen, Wanzen finden oder Briefe dechiffrieren, die mit unsichtbarer Tinte geschrieben wurden. Was am Anfang noch nach drolliger Mischung aus Schlapphut-Memory und Chemiebaukasten aussieht, wird schnell realer und beklemmender – spätestens mit dem „Kiss of Death“, der Lippenstift-Pistole einer Sowjet-Agentin aus den 60ern. Und dem bulgarischen Schirm mit vergifteter Spitze. Er wurde dem Dissidenten Georgi Markow 1978 an einer Londoner Bushaltestelle ins Bein gerammt, sodass er daran starb. Überraschende Erkenntnis angesichts dieser Exponate: Es gibt nicht nur die Film-Figur Q, der für James Bond Fantasie-Waffen baut, sondern offenbar ganz viele solcher Todes-Tüftler!

Noch gebannt vom Killer-Kuriositäten-Kabinett in den Vitrinen, ruft die Pflicht. Der Besucher alias Spion Iwanow muss einen Auftrag entgegennehmen, sich diesen genau einprägen und dann in der Lobby des fiktiven Royal Hotels einen geheimen Kurier enttarnen – per Video am Bildschirm. „Schärfen Sie Ihre Sinne, das muss schneller gehen“, mahnt der unsichtbare Spionen-Ausbilder. Dermaßen angestachelt, schleichen viele Nachwuchs-Agenten weiter durchs Spy Museum, auf der Suche nach genialen Tricks und Vorbildern, finden aber nur die Trottel vom (Geheim-)Dienst: Henry Cabot Lodge etwa, US-Botschafter in Moskau 1946, ließ sich von russischen Schülern ein geschnitztes US-Wappen überreichen, stellte es stolz auf seinen Schreibtisch und merkte erst sechs Jahre später, dass darin eine Wanze eingebaut war.

Ja, solche Räuberpistolen begeistern die Leute im wuchtigen, dreistöckigen Backsteingebäude, das in Washington schräg gegenüber vom FBI liegt und früher mal eine kommunistische Parteizentrale war. Vielleicht fühlt sich Oleg Kalugin deshalb hier so wohl. Als KGB-General soll er den Regenschirm-Mord an Dissident Markow befohlen haben, heute ist Kalugin einer der beiden führenden Köpfe des Spy Museums. Der andere heißt Peter Earnest und war 36 Jahre lang CIA-Agent. Zwei ehemals feindliche Spione nun in friedlicher Koexistenz? Nicht ganz, denn das Wettrüsten geht weiter, nämlich in der Frage, woher mehr Ausstellungsstücke kommen. „Der Warschauer Pakt liegt vorn“, sagt Thomas Borghardt, der 41-jährige deutsche Museumskurator aus Grevenbroich, „arbeitslose Ost-Agenten brauchen offenbar harte Dollar.“

Vorbei an James Bonds Aston Martin mit allerlei bedrohlich ausfahrenden Schießprügeln geht es auf den Geschichts-Boulevard des Spy Museums. Ein Flur mit Themen-Zimmern vom Trojanischen Pferd über spionierende Tauben bis hin zum sogenannten „Vorhof der Hölle“ – einem düsteren Grusel-Kabinett, in dem Felix Dserschinski gerade den Vorläufer des KGB gründet. Motto: „Wir stehen für organisierten Terror.“

Spätestens hier wird klar: Dies ist ein zutiefst patriotisches und parteiisches Museum, mit der Sichtweise aus einem Fort im US-Western – die Guten drinnen bekämpfen die Bösen draußen. Erst britische und spanische Kolonialherren, dann Nazis und Kommunisten, Castro und Saddam. Das Totalversagen von CIA & Co. im Vorfeld der Terroranschläge von 2001 wird watteweich verpackt: Spionage stehe im 21. Jahrhundert mit dem radikalen Islamismus vor neuen Herausforderungen, heißt es da, man müsse vorbeugend agieren.

Wie das geht? Natürlich topsecret. Hoffentlich sind heutige Methoden etwas origineller als die von Colonel Norris im Zweiten Weltkrieg: Er forderte Kinobesucher per Werbespot auf, ihre Urlaubsfotos an den Geheimdienst zu schicken – es könnte ja was Verdächtiges drauf zu entdecken sein.

Immerhin, den Agenten-Krieg gewonnen haben die Amerikaner mithilfe von Indianern und Hollywood, dokumentiert das weltgrößte Spionage-Museum: Die in Europa unbekannte Sprache der Navajos funktionierten sie zu einem Geheimcode um, und John Chambers, der Erfinder der Spock-Ohren, entstellte offenbar auch US-Agenten bis zur Unkenntlichkeit. Auch das aber würde Spionen-Neuling Dimitri Iwanow gegenwärtig noch nicht vor Enttarnung retten: Vergesslich und nachlässig sei er, schimpft der unsichtbare Ausbilder am letzten Prüfungs-PC des Museums. Die Geheimaktion sei um ein Haar aufgeflogen, nur in letzter Minute habe Iwanow von einem Spezialkommando gerettet werden können.