Im Szeneviertel Soho der britischen Metropole wurde der Vorstadtjunge David Robert Jones zum Weltstar – ein Rundgang auf den Spuren des Musikers

Als das Londoner Victoria and Albert Museum Anfang des Jahres ankündigte, die erste große Ausstellung zu Leben und Werk David Bowies zu veranstalten, waren Freude und Aufregung unter Fans und Bewunderern des Musikers groß. Und von denen scheint es eine Menge zu geben. Denn „David Bowie is...“ ist seit Monaten ausverkauft. Wer keine Lust hat, eines der 400 Tagestickets durch frühmorgendliches Warten vor dem Museum zu erstehen, kann eine rund um die Uhr geöffnete Bowie-Freiluftschau besuchen. Sie führt einmal durch das im Herzen von London gelegene Viertel Soho. Im Viereck zwischen Oxford Circus, Piccadilly Circus, Covent Garden und Tottenham Court Road wurde Bowie der Star, als der er jahrzehntelang – und bis heute – Einfluss auf die Popkultur und ihre Anhänger ausüben sollte.

Zum Beispiel auf Alison Wise. Sie stammt eigentlich aus Kalifornien, zog aber vor 13 Jahren aufgrund ihrer anhaltenden Liebe zur britischen Popmusik nach London. Aktuell führt die Mittdreißigerin Touristen auf Bowies Spuren durch Soho. Passend zum Anlass trägt sie silbernen Glitter auf den Augenlidern und den berühmten Blitz als Ring am Finger, der Bowies Gesicht auf dem Cover des Albums „Aladdin Sane“ schmückt. Ihre Tour bietet einen guten Einstieg in die Gegend, in der man an jeder Ecke über denkwürdige Bowie-Orte stolpert.

Die Bowie-Tour geht vorbei an Pubs, Buchläden und vereinzelten Sexshops

Denn 1963, als der Vorstadtjunge David Robert Jones 16-jährig in London ankam, war Soho das Zentrum dessen, was man heute Kreativindustrie nennen würde. Hier befanden sich Plattenläden und -labels, Clubs, Musikstudios und Treffpunkte, an denen sich Gleichgesinnte herumtrieben. Oder, wie er nur zwei Jahre später im Song „London Boys“ sang: „Bright lights, Soho, Wardour Street / You hope you make friends with the guys that you meet“.

Die kleine Gruppe Bowie-interessierter Menschen, die sich an diesem stürmisch-kühlen Sonnabendnachmittag zur Erkundung des Viertels getroffen hat, macht sich auf in Richtung Denmark Street. „Hier hat alles angefangen“, sagt Tourguide Alison. In den meisten Läden kann man heute Gitarren, Saxofone und Verstärker kaufen. Zu Bowies Zeiten beheimatete praktisch jedes der dreistöckigen georgianischen Häuser dieser Straße einen der Orte, an denen man sein musste, wollte man es in die Musikindustrie schaffen. In der Nummer fünf befand sich die Redaktion des „New Musical Express“, der bis heute wöchentlich die neuesten Pop-Sensationen ausruft. In der Nummer acht, beim Musikverlag Southern Music, packte Bowie Pakete. Seinen Verdienst gab er gleich nebenan wieder aus. Die Nummer neun, das Haus mit der schwarz-weißen Mosaikverzierung, beherbergt noch immer das Giaconda. Was heute ein Restaurant ist, war damals ein eher schäbiges Café. Und in dem saßen Bowie und sein neu gefundener Freund Mark Feld tagelang herum und lasen sich durch Kleinanzeigen der Rubrik „Musiker gesucht“. Im Mai 1965 schließlich bekam Bowie den Job als Frontmann seiner ersten Band The Lower Third. Mark Feld sollte sich später in Marc Bolan umbenennen und der Kopf von T.Rex werden. Beide, Bowie und Bolan, wurden zu den Mitbegründern des Glam Rock.

Weiter geht es über die Shaftesbury Ave, vorbei an Pubs, Buchläden, vereinzelten Sexshops und den allgegenwärtigen Coffeeshop-Ketten, in denen sich junges Publikum drängelt. Es sei das erste Mal, erzählt Alison, dass sie diese Tour veranstalte. Seit zwei Jahren führt sie, deren Hauptberuf DJ ist, Interessierte auf den Spuren von The Clash, Blur und Amy Winehouse durch Pubs und Clubs von Camden. Die Bowie-Tour hat sie ins Programm genommen, weil sich dieses Jahr mit der Ausstellung und dem ersten Album des Musikers seit zehn Jahren geradezu wie ein einziges David-Bowie-Festspiel ausnimmt.

Beim Anblick der blütenweißen Fassade des Dean Street Townhouse, eines piekfeinen kleinen Hotels mit angeschlossenem Restaurant, wird Alison Wise ganz nostalgisch zumute. „Hier befand sich das Blitz. Der Club war der Grund, warum ich nach London kam.“ Dann erzählt sie die kurze Geschichte des Ladens. Ab 1979 feierten hier die Blitz Kids – Jugendliche, die gelangweilt waren vom Punk und stattdessen Bowies Musik bevorzugten – jeden Dienstag wilde Partys. Ganz wie sie es von ihrem Idol gelernt hatten, trugen sie bizarr anmutende, selbst gemachte Kostüme zu jeder Menge Make-up. Unter ihnen waren spätere Musiker wie Boy George und Siouxsie Sioux, aber auch der Modedesigner John Galliano. „Das Studio 54 in New York mag der bekannteste Club der Welt gewesen sein“, sagt Alison. „Aber das Blitz war mit Sicherheit der einflussreichste.“ Nur drei Monate residierten die Partys hier, dann zog man aufgrund des Riesenerfolgs in einen größeren Club nach Covent Garden. Weiter geht es, vorbei am Marquee Club an der Wardour Street, wo Bowie ab 1966 an jedem Sonntagnachmittag spielte, „The Bowie Showboat“. Heute befindet sich in dem Gebäude ein Restaurant, die Etagen darüber werden derzeit zu Lofts ausgebaut. In den Trident Studios am nahe gelegenen StAnnes Place nahm er nach seinem Durchbruch in schneller Folge ein paar supererfolgreiche Alben auf, darunter „The Rise And Fall of Ziggy Stardust and The Spiders From Mars“.

Im Grill Room des Hotel Café Royal hätten die Wände von Bowie zu erzählen

Das Foto auf der Plattenrückseite zeigt ihn, wie er in einer roten Londoner Telefonzelle posiert. Es wurde 1972 an der Heddon Street aufgenommen, eine im vergangenen Jahr angebrachte Plakette am Haus mit der Nummer 21 erinnert an diesen Moment, in dem Bowies Kunstfigur Ziggy geboren wurde, das geschlechtslose Alienwesen mit den leuchtend roten Haaren und den Plateauschuhen. Die Telefonzelle steht da allerdings nicht mehr. Geht man am Haus entlang weiter und hält sich links, steht am Ende einer Sackgasse dann doch eine Telefonzelle, als hätte man sie lediglich umgesetzt. Allein, gibt Alison Wise hier am Ende des gut einstündigen Rundgangs zu bedenken, es kann sich nicht um das Original handeln. Die Anordnung der Fensterkreuze stimmt nicht mit der auf dem Foto überein.

Das Gefühl, von Wänden umgeben zu sein, die, wenn sie nur sprechen könnten, noch einiges über Bowie zu erzählen hätten – dieses Gefühl verschafft einem der Grill Room des Hotels Café Royal an der Regent Street. Von Fans wird der Ort geschmäht, seit eine Investorengruppe ihn 2012 zum Teil eines von David Chipperfield entworfenen Fünf-Sterne-Luxushotels machte. Hier feierte Bowie vor fast genau 40 Jahren, am 3. Juli 1973, eine Beerdigung. Kurz zuvor hatte er bei seinem Konzert im Hammersmith Odeon Theatre den Tod Ziggys erklärt. Die Fans waren schockiert angesichts dessen, was wie Bowies Karriereende aussah. Sie konnten doch nicht ahnen, dass er munter weiter auftreten sollte, nur eben unter anderen Namen und mit anderen Verkleidungen.

Der 1865 eröffnete und von Oscar Wilde, Virginia Woolf und Elizabeth Taylor frequentierte Grill Room ist einer der Orte, die noch so aussehen wie zu Bowies Zeiten. Umgeben von Spiegelwänden und vergoldeten Louis- Seize-Ornamenten, kann man sich Bowie gut vorstellen, wie er in Gesellschaft von Mick Jagger, Ringo Starr und Lou Reed Champagner trinkend seinen Weltruhm feierte. Schon im Jahr darauf verließ er die Stadt in Richtung USA, zurückgekehrt ist er seitdem nur besuchsweise. Soho hat sein Gesicht seitdem so oft und so nachhaltig verändert wie Bowie seine Bühnencharaktere. London jedoch zehrt noch immer von dem, was er daließ.