Die Åland-Inseln zwischen Finnland und Schweden sind ideal für Wassersportler – eine Seekajak-Tour durch das Labyrinth der Schärengärten hat eine zauberhafte Wirkung

Eins schon mal gleich vorneweg: Diese Tour ist nichts für Weicheier. Paddeln auf offenem Meer ist anstrengend, definitiv. Wer aber einigermaßen bei Kondition ist und sich auf das Abenteuer im Seekajak einlässt, kann sein wahres Åland-Wunder erleben: laue Mittsommernächte, erfrischende Gischtspritzer und Hot-Stone-Massagen auf heißem Granit. Ich habe mich getraut und bereue keinen Augenblick, vor allem jetzt nicht. Nach zwei Tagen Eingewöhnung gleitet unser Doppel-Kajak wie ein Pfeil durch sanfte, schaumsprudelnde Wellenkämme. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, Möwen kreischen in der Ferne. Ich fühle mich ganz eins mit der Natur und unserem schmalen Boot. Das wirkt wie angewachsen, wie der Schwanz einer Meerjungfrau, nur dass ich sitze, statt zu schwimmen. Frauke, meine Vorderfrau, und ich sind also Wassernixen, die Tandem mit den Armen fahren. Unsere Paddel durchpflügen das Wasser in vollkommener Harmonie. Rechts, links. Rechts, links. Immer wieder, ohne Worte. Die Zeit zerrinnt, der Atem fließt, der Alltags-Stress hat sich in Luft aufgelöst. Eine bessere Meditation kann ich mir nicht vorstellen.

Gestern war das alles ganz anders. Gestern kämpften wir bis zu Erschöpfung gegen Wind und Wellen. Donner grollte hinter den Felsen der vorgelagerten Inseln und drohte uns zu überrollen. Blitze zischten über dem offenen Meer. Der Campingplatz lag kilometerweit vor uns und schien schier unerreichbar zu sein. Hinter der Brücke sollte es gleich links in einen Sund hineingehen, aber der Nordwind blies uns heftig entgegen und peitschte das salzige Ostseewasser in unsere Gesichter. Wir kamen kaum vorwärts, obwohl wir paddelten, bis die Arme brannten. „Bleibt dicht zusammen und nah am Ufer“, ermahnte uns Tour-Guide Verena. Sie hat schon ganz andere Wetterlagen überstanden, zum Beispiel beim Eispaddeln im Winter. Das macht uns Mut. Eine Frau an der Spitze der Gruppe beweist, dass auch Frauke und ich es schaffen können.

Trotzdem fühlten sich die Hände gestern wie Eisklumpen an, trotz Neopren-Handschuhen. Zum Glück hatten wir wie immer die Spritzdecken fest unter unsere Schwimmwesten gezurrt. Ihre Säume krallten sich um die Luken herum, in die man sich beim Kajakfahren hineinquetscht. Unsere meerjungfräulichen Beine blieben also warm und trocken. Auch Zeltstangen, Kochgeschirr und Nahrungsmittel lagen sicher verwahrt im Bootsrumpf. Die Vorstellung, im Regen Nudeln mit roter Sauce zu kochen, blieb jedoch ein Grauen. Trotzdem wollten wir nur eins: ankommen, festen Grund unter den Füßen spüren, die Zelte aufschlagen und in die molligen Schlafsäcke krabbeln. Tapfer bissen wir die Zähne zusammen und paddelten weiter. Zehn kleine Abenteurer in der Meeresenge von Bomarsund

Heute sind wir nur noch neun. Ein Gefährte hat aufgegeben. Bereits die Einführung am ersten Tag hatte ihn erschöpft. Er klagte über Rückenschmerzen, Muskelkater und Blasen. Der gestrige Kampf mit den Wellen gab ihm den Rest. Eine Sehnenscheidenentzündung setzte seiner Reise ein Ende, aber darüber schien er nicht traurig zu sein. Als wir heute Morgen in See stachen, nahm er frohgelaunt den Bus Richtung Fähre. Auf einen Aktivurlaub mit Zelten hatte er eigentlich sowieso keine Lust gehabt, verriet er uns noch. Die Führung durch das mittelalterliche Schloss Kastelholm fand er aber toll. Sein Bootspartner fährt jetzt Einer. Und freut sich, dass er nicht mehr für zwei paddeln muss.

Der Abend verlief noch versöhnlich. Irgendwann erreichten wir die Brücke, danach löste sich das Unwetter auf. Es zog ab gen Osten nach Finnland. Wir bogen in die entgegengesetzte Richtung ab und landeten auf einer trockenen Wiese. Der Campingplatz hatte heiße Duschen und finnisches Bier. Ein kitschiger Sonnenuntergang mit tiefrotem Himmel auf der russischen Festungsruine Bomarsund entschädigte selbst die miese Nudelpampe, die wir auf dem Gaskocher fabriziert hatten. Auch Kochen in der Gruppe will gelernt sein. Frauke und ich schwörten uns, die nächste Mahlzeit in die Hand zu nehmen. Jetzt schnurren wir aber erst einmal durch die åländischen Schärengärten. Rote Granitklötze liegen zu unserer Linken, vom Wind gepeitschte Kiefern zur Rechten. Die Männer reden von Luv und Lee, mir ist das egal. Ich paddele, spüre meinen Körper, die Muskeln, die Kraft, die Ausdauer. Dabei lass ich die Gedanken schweifen. Frauke und ich sind ein gutes Team. Das andere Frauenboot wirkt ebenfalls harmonisch, und auch die Männer haben ihren Spaß. Wir fotografieren uns gegenseitig, und zur Lagebesprechung bilden wir ein „Bootspäckchen“, indem wir die anderen Paddel festhalten. 22 Kilometer Strecke stehen heute auf dem Plan, das ist nicht ohne. Gegen verspannte Muskeln hilft ein kühles Bad in der Ostsee oder die Wärme der aufgeheizten Steine. In der Mittagspause strecke ich mich lang darauf aus und halte ein Nickerchen. Die wohlige Wärme geht tief bis in die Knochen. Danach fühle ich mich wieder frisch und abenteuerlustig. Gegen den Hunger schmieren wir Knäckebrote und Vollkornschnitten. Dazu gibt es Schokolade und Nüsse. Kraftnahrung ist absolut notwendig.

Am Abend suchen wir einen Rastplatz in freier Natur. Die Insel Levernäs ist unser Ziel, aber hier stehen viele Ferienhäuser, und die Besitzer wollen uns nicht haben. Drei Anläufe sind nötig, bis wir endlich eine große Steinplatte finden. Schnell stehen die Zelte, ein Feuer knistert und Frauke und ich verteilen die Küchenaufgaben. Es gibt Couscous mit Curry aus Gemüse und Sojageschnetzeltem. Dazu eine Flasche Rotwein, die ich ins Gepäck geschmuggelt hatte. Das Mahl ist köstlich, wir massieren uns gegenseitig die Nacken und starren lange in den nächtlichen Himmel. Zu unseren Füßen schwappen die Wellen gegen die Steine. Das hier ist das Paradies. Mehr braucht man nicht. Obwohl ich mich schon darauf freue, morgen wieder in mein Meerjungfrauenkostüm zu schlüpfen und durchs Wasser zu zischen.