Öland ist Schwedens sonnenreichste Insel und ab Mitte Juni die Urlaubsresidenz der royalen Familie um Silvia und Carl Gustav

Irgendwer hat wieder vergessen, den Mond zur gewohnten Zeit zu hissen und die Sterne ans Firmament zu kleben – weil ein anderer zuvor versäumt hatte, die Sonne einzuholen. Seit ein paar Wochen geht das schon so. Jetzt hängt sie auch abends um elf noch da oben, leuchtet die Wiesen rund um knallrot getünchte hölzerne Bockwindmühlen romantisch aus und scheint den Menschen auf Öland in die Seele: denen, die gerade das Boot klarmachen, um noch für zwei Stunden segeln zu gehen. Den anderen, die noch schnell zum Baden in die Ostsee steigen und anschließend am Strand Fisch grillen und schon ihre mitgebrachten Salate ausgepackt haben. Und den Leuten, die irgendwo in der Heidelandschaft des Binnenlandes die Picknickdecke ausgebreitet haben – oder einfach auf der Ferienhausterrasse hocken und die langen, hellen Tage und die kurzen milden Nächte des Nord-Sommers in vollen Zügen genießen. Es duftet nach frisch gemähtem Gras, irgendwie nach Juli und nach Hochsommer-Leichtigkeit. Von irgendwoher dudelt leise Musik, einer hat eine Gitarre dabei und fängt an zu singen.

Manchmal spaziert ein älterer Herr mit Brille und schütterem Haar vorbei, der kurz grüßt, hier und da ein bisschen plaudert, dann in einen Volvo PV60, Baujahr 1946, einsteigt und weiter über seine Lieblingsinsel tuckert. Irgendwie kommt einem der Mann bekannt vor, irgendwo hat man auch seine attraktive, dunkelhaarige Frau schon mal gesehen. Im öländischen Sommer sind die beiden allgegenwärtig – irgendwie überall und doch nirgends. Und erst wenn sie wieder außer Sichtweite sind, fällt bei den meisten der Groschen: dass sie gerade ein paar Worte mit König Carl Gustaf und Königin Silvia von Schweden gewechselt haben. Typisch skandinavisch geben sie sich nahbar und völlig normal, sind ganz ohne Brimborium unterwegs, wenn ihnen der Sinn danach steht, vor die Schlosstür zu treten und einen Ausflug zu machen. Jeder Kellner auf der Insel hat Anekdoten parat, kennt den Lieblingstisch der beiden in seinem Restaurant, und fast jeder Eisverkäufer weiß die aktuelle Lieblingssorte der beiden – auch dass Carl Gustaf selber gerne kocht und gemeinsam mit Silvia die Kuchensorten aussucht und abschmeckt, die im Café des öffentlich zugänglichen Schlossparks auf die Karte kommen. Sein Favorit ist zurzeit Baiser mit Nüssen, ihrer ist Chokladbollar, am ehesten vergleichbar mit einer Rumkugel. Jedes Jahr kurz vor Mittsommer ziehen sie ein, Mitte August geht es zurück nach Stockholm: Die schönsten Monate des Sommers verbringt die schwedische Königsfamilie traditionell in ihrem weißen Schloss Solliden bei Borgholm – gut drei, vier Autostunden südlich von Stockholm auf der Insel Öland. Macht nichts, dass das große, 1906 in italienischem Stil errichtete Schloss keine Heizung hat. Denn nirgendwo in Schweden weist die Statistik mehr Sonnenstunden aus als auf Öland, dieser 137 Kilometer langen und nur maximal 16 Kilometer breiten Insel, die seit 1973 durch eine lange Brücke über den Kalmarsund mit dem Festland verbunden ist. Und sollte es doch mal zu frisch werden, kann Familie König einen Ofen im Erdgeschoss anfeuern lassen – oder sich bei Hofgärtner Stefan Andersson-Junkka aufwärmen. Der wohnt mit seiner Familie ganzjährig in einem kleinen Häuschen auf dem Gelände – und hat dort Zentralheizung. Sein Lieblingsplatz auf dem Anwesen? Er lacht. „Meine kleine Terrasse. Und natürlich die Sonnenblumenwiese, die wir jedes Jahr anlegen. Die Blüten sind zur Deko im Schloss bestimmt.“

Nebenbei steht der freundliche Mittvierziger mit dem Solliden-Logo auf der Brusttasche seines sandfarbenen Hemdes in täglichem Kontakt mit Königin Margrethe von Dänemark, mit Schwedens Kronprinzessin Victoria und ungeachtet ihres Thronverzichts mit Beatrix der Niederlande und darf sie auch mal zurechtstutzen – oder gießen: Denn im Park von Solliden sind etliche Rosenzüchtungen gepflanzt, die nach Royals aus der europäischen Nachbarschaft benannt sind

Sechs Gärtner kümmern sich um das 90-Hektar-Grundstück, wovon acht Hektar als öffentlich zugänglicher Garten angelegt sind. Der Rest ist privater Rückzugsraum – Wälder gehören dazu, Gemüsebeete, Gewächshäuser, ein Hühnerstall, Pferdekoppeln, sogar ein Privatstrand. Über die meisten Mitarbeiter hier hat Karl Erik Persson das Kommando. Über 50.000 hören mehr oder weniger auf den Befehl des königlichen Imkers und schwärmen in den Gärten von Solliden, aber auch darüber hinaus aus, um zusammenzutragen, woraus im Jahr gut 400 Glas Honig für den Eigenbedarf bei Hofe werden. Gibt es Überschuss, wird er im Souvenirshop des Schlosses verkauft.

„Wir haben auf Öland gezeltet, in Hängematten geschlafen, konnten uns hier immer frei bewegen“, hat Königin Silvia mal in einem Interview gesagt. Als ihre Kinder noch klein waren, haben sie hier oft Reitausflüge in der Alvaret-Heide im Süden gemacht oder Touren mit dem Ruderboot auf dem Kalmarsund – nicht anders als die Urlauber, die sich eines der verstreut liegenden Ferienhäuser gemietet haben: kleine Holzhäuser meist, oft dicht am Meer, fast immer dunkelrot getüncht. Und selten allzu nah beieinander.

Der Fisch, der dort auf dem Herd landet, stammt direkt vom Kutter, zum Beispiel aus dem kleinen Hafen Gråsgårdshamnen an der Ostküste. Obst, Gemüse, Marmeladen, Honig, Eier, auch die Milch – all das stammt oft aus den vielen kleinen Scheunen-Shops der Bauernhöfe. Typisch schwedisch gibt es dort fast nirgends Verkäufer oder Kassierer, sondern eine offene Blechkassette mit einem Fach für Scheine und ein paar mehr Unterteilungen für die Münzen. Wer etwas mitnimmt, trägt den Preis in einer Liste ein, legt die Summe dafür in die Kassette, nimmt sich gegebenenfalls Wechselgeld heraus. Kontrollieren muss keiner – in Skandinavien nicht nötig, auf Öland schon gar nicht. Diesen Nachmittag zupft der Wind an den Bockwindmühlen bei Torngård, als wollte er sie motivieren, ihre am Erdboden fixierten alten Holzflügel zu drehen und die warme Sommerluft zu quirlen. Über 2000 gab es davon noch vor etwa einem halben Jahrhundert. Gut 400 sind es quer über die Insel verstreut noch heute. Die Ostsee trägt derweil auf der offenen Seite der Insel zarte Gischtkronen auf den Wellen, und draußen auf dem Wasser reiten Fischkutter auf Rückfahrt zurück in die Häfen die Dünung aus. Auf der gegenüberliegenden Sund-Seite ist die See zur selben Zeit spiegelglatt – wie fast immer. Dort duftet es rund um die kleine Hafenbäckerei von Storarör gerade nach frisch gebackenem Bio-Brot, und ein paar Dutzend Meter weiter riecht es bereits wieder nach Lachs vom Grill. Noch ein Stückchen weiter haben wieder ein paar Leute ihre Picknickdecken ausgebreitet. Eigentlich dürfte Carl Gustaf mit seinem alten Volvo nicht weit sein. Und mit Königin Silvia auf dem Beifahrersitz.