Die Landfrauen vom Vega-Archipel in Nordnorwegen südlich der Lofoten sammeln die Daunen der Eiderenten für die besten Bettdecken der Welt.

Um ein Uhr nachts küsst die Sonne den Horizont; der Himmel errötet. Wie zum Applaus klatschen die Wellen an die vorgelagerten Inselchen, die als Silhouetten aus dem Meer lugen. Mit Geschrei kabbeln sich Heringsmöwen und Kormorane um das beste Nachtlager. Sie müssen sich beeilen, denn schon in 20 Minuten klettert die Sonne ein Stück weiter östlich wieder über die Kante. Richtig dunkel wird es in diesen Tagen nie. Es ist Mittsommer in Helgeland in Nordnorwegen. 24 Stunden lang könnte man mit einem Fernglas am Ufer auf einem Stein sitzen und den Vögeln zuschauen: wie Frau Möwe ihrem Gemahl in den Nacken stubst oder zwei Austernfischer mit ihrem roten Schnabel nach Schnecken picken.

Das Vega-Archipel südlich des Polarkreises ist ein Paradies für Ornithologen und Natururlauber. Die Landschaft wirkt grüner und lieblicher als auf den Lofoten, die gut zwei Tagesreisen weiter nördlich liegen. Vor der Küste erstreckt sich ein Mosaik aus 6500 Inseln und Schären, die seit 2004 zum Unesco-Welterbe gehören. Die meisten davon sind unbewohnt. Dort gibt es keine Wege und keine Häuser, höchstens eine alte Fischerhütte thront auf den Klippen. Die Eilande mit wilden Gräsern und kleinen, muschelübersäten Stränden sind nur per Boot erreichbar. Das „Jedermannsrecht“ erlaubt es, dort zu zelten und zu grillen. Auf dem Lovund-Felsen nisten Papageientaucher und weiter draußen die größte Kormoran-Kolonie der Welt. Doch die Stars des Archipels sind die Eiderenten.

Am nächsten Tag zupft Gastwirtin Anna Aga etwas Plüschiges aus einer Holzdose. Sofort pludert es sich zu doppelter Größe auf. „Man spürt es kaum“, sagt sie und reicht das Büschel: Der Brustflaum der Eiderente – Gold von Helgeland genannt – wiegt weniger als eine Feder und ist weicher als Kaschmir. „Daraus werden die besten Bettdecken der Welt gemacht“, sagt Anna und stopft ihren Schatz zurück in die Dose. Lange war die gelernte Restaurantfachfrau im Ausland unterwegs. Sie arbeitete auch als Barkeeperin auf Schiffen und ankerte mehrmals im Hamburger Hafen. „Ich erinnere mich, dass die Deutschen genauso gern Aquavit trinken wie wir Norweger“, sagt sie lachend. Dabei kräuseln sich winzige Fältchen an ihrer Nasenwurzel. Gemeinsam mit ihrem Mann Jon betreibt sie seit zehn Jahren ein Hotel direkt an der naturgeschützten Küste im Norden Vegas. Die Hauptinsel ist 15 Kilometer breit und genauso lang und eignet sich gut zum Radfahren und Wandern. Es gibt 16 markierte Wanderwege mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Eine etwas anspruchsvollere Tour führt auf den höchsten Berg Trollvastind auf 800 Metern über dem Meeresspiegel. Die Schuhe sinken in Mooskissen, man kraxelt über rund geschliffene Steine. Mit jedem Höhenmeter wird der Weg schroffer und steiler, die Aussicht grandioser: Holmen und Schären liegen wie hingewürfelt auf dem Meer.

Abends bereitet Jon Mönchsfisch zu. Eiderente wird er nie auf die Karte setzen, sie steht unter Naturschutz. „Die Polizei würde mich in Handschellen abführen“, sagt er scherzend. „Die Leute sind verrückt wegen der Enten.“

Die Insel Lånan ist das Königreich der Eiderenten. Ab Mai sitzen die Landfrauen gespannt vor der Haustür und warten darauf, dass Eli, Kerstin oder Mette Marit vom Meer kommen und zur Wohnungsbesichtigung an Land watscheln. Manche lieben die WG im großen Holzhaus, andere brüten lieber für sich, wie Sarah. Sie hat den Spitznamen „die Ärgerliche“, weil sie viel schimpft und meist allein unter einem Verschlag aus Steinen wohnt. Stammgäste bekommen ein Nest mit Namensschild. Wichtig ist, dass es nicht reinregnet. „Sie sind wie Kinder. Jede Ente hat ihren eigenen Charakter“, sagt Hildegunn Nordum. Die schlanke Frau mit kurzen, schneeweißen Haaren ist eine der sogenannten „Daunenladys“. Sie lebt die Hälfte des Jahres auf Lånan und baut mit ihren Verwandten überdachte Nester mit einer Liegefläche aus getrocknetem Seegras, manche sehen aus wie kleine Häuser. Während der Brutzeit rupfen sich die Enten die feinen Brusthaare aus und wärmen damit ihre Eier. Hildegunn tut alles, um sie zu schützen, verscheucht Krähen, Seeadler oder Otter, die es auf die Eier abgesehen haben. Zerspringt ein Ei, legt sie eine Glaskugel ins Nest, damit die Mutter es nicht merkt und weiterbrütet. Erst wenn Enten und Küken das Nest verlassen haben, erntet Hildegunn den Flaum, reinigt ihn und macht daraus die wärmsten Oberbetten, die es gibt. In Handarbeit, so wie es ihre Familie seit vier Generationen tut. Ohne Stromnetz und Wasserleitung leben die Nordums im Sommer nur für die Natur und die Enten. „Es ist ein hartes Leben – aber ein gutes“, sagt sie, und ihre Augen leuchten. Hier hat jeder eine besondere Beziehung zu „seinen“ Entendamen. Wäre nicht der keilförmige Schnabel, der direkt in die Stirn übergeht, könnte man sie fast mit zu groß geratenen Stockenten verwechseln. Das Männchen geht – gleich nachdem seine Gemahlin eine adäquate Unterkunft gefunden hat – zurück ins Meer, wo es sich mausert.

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts bauten die einheimischen Frauen Nester für die Vögel, die als heilig galten, und verdienten mit der Arbeit oft mehr Geld als ihre Männer, die zum Fischen aufs Meer ruderten. Heute wird die Tradition noch auf acht Inseln gepflegt.

Fischer Sverre Nilsen verdient sich etwas dazu, indem er Kutterfahrten mit Angelerlebnis anbietet. Die Tour startet am Hafen in Nes, der aussieht wie eine Anlegebucht für Spielzeugboote. Rote Häuschen am Ufer leuchten in der Sonne. Im Wasser schaukelt das Spiegelbild der Wolken und Segelmasten. Auf dem Kutter hat Sverre geputzt und aufgeräumt. Der Motor quirlt Gischt hoch, dann tuckert das Schiff los, vorbei an unzähligen Schären. „Dort bin ich auf die Internatsschule gegangen“, sagt Sverre und zeigt auf eine Insel mit einem weißen Haus, die eher nach Ferien aussieht. Weiter draußen verteilt er die Angeln und erklärt die Technik. Schon nach kurzer Zeit zappelt ein kapitaler Dorsch am Haken. Der Fischer hat Übung: Wie am Fließband zieht er Seehechte und Dorsche aus dem Wasser. Mehr als genug für ein Mittagessen. Er setzt einen Topf Meerwasser auf, hackt den Fang in Stücke und kocht ihn gleich vor Ort. Seine 62 Jahre sieht man Sverre nicht an. Er hat feine Gesichtszüge und rosige Wangen. Geboren auf Lånan, schläft er nachts unter einer Eiderdaunen-Decke, die er von seiner Großmutter geerbt hat. „Nicht jeder hat so ein Stück“, sagt er stolz. Heute kosten die Bettdecken mehr als 5000 Euro – und halten mehrere Menschenleben lang.

Zurück im Hafen lohnt sich ein Besuch im Entenmuseum E-Huset. Dort erfährt man die Gründe für den hohen Preis. Hildegunn sitzt an der Daunenharfe. Mit einem Holzknüppel streicht sie über die Saiten. „Durch die Vibration fallen Reste von Seetang und Eierschalen heraus“, erklärt sie. Die Arbeit an einem Federbett dauert wochenlang, es enthält Flaum aus rund 60 Nestern. Die wertvollen Bettdecken werden in alle Länder verkauft. Neben Geld muss man jedoch Geduld haben und auf der Warteliste Platz nehmen, denn pro Jahr lassen die Enten Federn für nur sieben bis acht Füllungen.