Bei einer „Tour de Wein“ lernt man nicht nur edle Tropfen zu genießen, sondern auch, wie sie hergestellt werden – schönste Aussicht inklusive

Uff! Liegt es jetzt am Wein? Wir gestehen, wir haben bei der Weinprobe beim Weingut Dautel in Bönnigheim nicht alles wieder ausgespuckt und doch manches geschluckt. Wär auch zu schade, bei den Tropfen! Laut Eichelmann 2013, einer der Weinbibeln, ist Dautel „Württembergs bester Erzeuger“. Und auch die Weine der Weingärtner Cleebronn und Güglingen, laut Gault Millau im Vorjahr die „Entdeckung des Jahres“, haben nicht nur in der Nase überzeugt. Doch die Reue folgt sofort. Jetzt wird gewandert. Schnappatmung ist angesagt. Kleiner Trost: Den anderen zehn Frauen und Männern, die dabei sind, geht’s ähnlich. Bleiben stehen. „Fotostopp“ wird vorgeschoben.

Wir wandern hoch durch die Felsengärten von Besigheim und Hessigheim. „Himmelsleiter“ heißt das letzte Teilstück mit seinen höllisch steilen 100 Stufen nach oben. Unter himmlisch haben wir uns was anderes vorgestellt: eine Sänfte vielleicht, die einen mit süßen Trauben im Mund nach oben trägt. Doch jammern gilt nicht. Immerhin müssen die Winzer aufgrund der terrassierten Steillage das ganze Jahr hier schuften wie im Mittelalter – alles per Hand.

Da man mit Maschinen nicht in die Weinberge kommt, kann nur der Helikopter helfen, etwa wenn Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Das macht den Wein so teuer. Alte, in Handarbeit erbaute Trockenmauern sind bis heute das Markenzeichen der Region, erklärt uns Guide Klaus Schrempf. Eidechsen sonnen sich, Thymian und Mauerpfeffer sprießen durch das alte Gestein. Ach, wie nett. Und eh man sich's versieht: geschafft, oben!

Die Steillagen an den Hängen der Flussufer sind das Markenzeichen der Region

Die Sonne schlägt scharfe Schatten, erleuchtet grell, was uns spektakulär zu Füßen liegt: der Zusammenfluss von Neckar und Enz sowie der 12.000-Einwohner-Ort Besigheim – für manchen, besonders für die Besigheimer, „der schönste Weinort Deutschlands“. Oben stehen eine Stele mit der Aufschrift „Schönste Weinsicht Württembergs“ und eine Bank zum Ausruhen und Genießen: „Na, was sagt ihr jetzt“, sagt Schrempf triumphierend. Einige Teilnehmer sagen erst mal: nichts. Sitzen und gucken auf das Meer aus Reben. Ihre Augen sagen: Mensch, wie schön! Willkommen in Württemberg, mit 11.300 Hektar Rebfläche das viertgrößte Weinanbaugebiet hierzulande. Das Viertele wird nicht getrunken, es wird geschlotzt, am liebsten in der Boiz, der Besenwirtschaft. Hier bauen die „Wengerter“ überwiegend Rotwein an. Wein findet sich in Württemberg am Rand der Schwäbischen Alb, in Esslingen, im Remstal und mit Steillagen am Neckar. Außerdem um Heilbronn herum und Weinsberg, in Hohenlohe und im Zabergäu. Auf der 511 Kilometer langen Württemberger Weinstraße können sich Besucher davon überzeugen, dass der Schwabe so gut Wein machen kann wie er schwäbelt. Auf beides ist er stolz. Auf der „Tour de Wein“ heißt es immer der Rebe nach. Trauben-Schilder markieren die Strecke. Sie führt von Weikersheim (bei Bad Mergentheim) im Norden bis nach Metzingen im Süden. Übrigens: Die Weinstraße führt mitten durch die Stuttgarter Innenstadt!

Der Weintourismus bringt Franken 1,6 Milliarden Euro Umsatz

Wer Württemberg öfter bereist, kennt das Bild: Unter im Tal kurvt ein Fluss durchs Land, an den Erhebungen und Steillagen gedeihen besonders feine Tropfen – Wärme und Sonne tun dem Wein bekanntlich gut. Die Sicht ist hervorragend, am Horizont zeigt sich der Stuttgarter Fernsehturm. „Geradeaus blicken wir auf Neckartal und Felsengärten, ein Naturschutzgebiet, das Kletterer schätzen. Rechter Hand, Richtung Süden, erstreckt sich das Enztal mit den terrassierten Steillagen an der westlichen Seite und Enz aufwärts an der östlichen Seite“, erklärt Klaus Schrempf, der als Stadtführer für Besigheim arbeitet und den Gästen davor ganz stolz seinen Ort präsentiert hat, der wirklich hübsch ist: viel Fachwerk im alemannischen Stil, verwinkelte Gässchen, Geschichte sitzt in jeder Mauerritze. Mit zwei Türmen aus der Stauferzeit, das Rathaus stammt aus dem Jahr 1459, alle drei Schritte steht man vor uralten Weingärtnerhäusern, deren Hofschilder zur Einkehr bitten. Der gesamte Stadtkern steht unter Denkmalschutz.

Der Gästeführer reicht oben auf dem Berg aus einer Box jedem einen hellroten Wein im Glas, einen leicht gekühlten Trollinger, dann ein Schlückchen Lemberger. Wo er das jetzt hergezaubert hat, egal. Trollinger und Lemberger sind die Hauptrebsorten Württembergs und neben dem Schwarzriesling, einer Besonderheit, der Stolz der Region. Im Glas sehen, riechen, schmecken, was am Ende nach einem Jahr mühsamer Arbeit herauskommt, was vor einem der liebe Gott am Rebstock wachsen lässt, das ist der Reiz einer solchen Reise durch ein deutsches Weinanbaugebiet wie das in Württemberg. Rund 250 Gruppen, erzählt unser Guide, kommen pro Jahr, um den örtlichen Wein und die dazugehörende Landschaft zu genießen. „Und es werden mehr.“

Das sagt auch Ernst Büscher, ausgebildeter Weinfachmann und inzwischen Pressesprecher vom Deutschen Weininstitut in Mainz. „Vom Tourismus profitiert nicht nur der einzelne Winzer, es profitiert die gesamte Region. Zahlen aus Franken beweisen, dass Tourismus das Zehnfache an Einnahmen zum Wein einbringt – durch Übernachtungen beim Winzer, Führungen, Gastronomie. In Franken stehen 160 Millionen Euro Umsatz im Weingeschäft 1,6 Milliarden im Weintourismus gegenüber. Auch in Württemberg wachsen daher Wein und Tourismus zusammen.“

Die Idee, die hinter weintouristischen Angeboten wie diesem steckt: Weinliebhaber wollen den Wein längst nicht mehr nur trinken. Sie wollen ihn körperlich erleben: sehen, wie er gekeltert wird, wo er lagert, wer dafür verantwortlich ist und welche Hülle das alles umgibt. Denn mittlerweile sind auch die Weingüter selbst aufgrund ihrer eigenwilligen Architektur eine Besichtigung wert. In Württemberg gibt es zum Beispiel „Wengert für ein Jahr“. Wer sich an diesem Projekt beteiligt, lernt im Schweiße seines Angesichts was für harte Arbeit ganzjährig im Weinbau steckt: Freiwillige pflegen Rebstöcke, helfen bei der Lese, pressen Trauben, füllen Wein in Fässer. Gäste können sich vor Ort ein Bild davon machen, wie dynamisch sich Württemberg entwickelt. Wie oft junge, begeisterte Winzer plötzlich Erfolg haben, weil sie mutig sind und andere Wege als ihre Väter gehen.

Bestes Beispiel dafür ist die Jungwinzergruppe „Vinitiative Lauffen“, welche aus 22 Leuten besteht, darunter Carolin, 25, und Lisa Stengel, 24, vom Wein und Sektgut Stengel. Oder der rasterlockige Christian Dautel, mit 28 schon heute ein Winzer mit Top-Weinen. Das Weingut Dautel bietet kulinarische Menüs an, Weinpartys, Lesungen mit Weinkrimiautoren. „Eben das, was uns selbst Spaß macht“, sagt er, und seine Augen lachen. Erfolg macht eben glücklich, wie ein Viertele im sonnigen Winzerhof zu schlotzen und den Tag Tag sein zu lassen. Denn seien wie ehrlich: Der ist nach einer Weinprobe eh gelaufen.