Auf der größten irischen Insel verewigte sich einer der größten Protestler

Was genau Achillhenge ist, hatte Barry Murphy nicht verraten. Es sollte eine Überraschung werden. Und die ist dem Wanderführer offensichtlich gelungen. Seine Gäste hatten etwas Ähnliches wie Stonehenge erwartet. Nun stehen sie hinter der Kirche von Pollagh auf einem zerfurchten Acker und schauen fassungslos auf einen Kreis aus 30 viereinhalb Meter hohen Betonquadern. Errichtet wurde er von Joe McNamara in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Die Botschaft? Murphy zuckt mit den Achseln. Dazu hätte sich der lokale Bauunternehmer und Aktivist nie geäußert.

Der einzige Geldautomat der Insel liegt gegenüber dem einzigen Supermarkt

Vermutlich stecke eine Art Gleichnis dahinter, ein Symbol für den derzeitigen Zustand Irlands, die wirtschaftliche Krise. Schon öfter habe McNamara mit spektakulären Aktionen für Aufsehen gesorgt. Seine Wut richte sich dabei vor allem gegen die staatliche Rettungsaktion der pleitegegangenen Anglo Irish Bank. „Er ist verrückt“, sagen die Leute von Achill Island – und dabei schwingt ein Hauch von Bewunderung mit. Denn insgeheim finden sie, er sei ja doch ein Teufelskerl, dieser McNamara. Im Sommer wurde er vom Gericht zum Abriss des Achillhenge, für das es nie eine Baugenehmigung gab, verdonnert. Passiert ist nichts.

Achill Island ist Irlands größte Insel, hat schöne Strände, mutmaßlich die höchsten Klippen Europas – und immer noch Charme. Nach wie vor befindet sich der einzige Geldautomat in der 300-Einwohner-Ortschaft Achill Sound am östlichen Ende der Insel gegenüber vom einzigen Supermarkt. Einmal die Woche klappert die Bank auf Rädern die Inseldörfer ab. „Prepare to stop – animals crossing“ wird im Hauptort Keel vor freilaufenden Tieren gewarnt. Die zottigen schwarzgesichtigen Schafe wechseln gern die Straßenseite, um auf dem saftig grünen Golfplatz zu grasen. Gleich dahinter brechen sich die Atlantikwellen. „Trá“, das gälische Wort für „Strand“, weist den Weg dorthin. Der Wind bläst. Auf den Schaumkronen reiten Bodysurfer. In der weiten Trawmore Bay ist für alle Platz. Die meisten ausländischen Besucher kommen aus Deutschland und haben meist Heinrich Böll im Kopf. Jeder will das „Skelett einer menschlichen Siedlung“ sehen, das verlassene Dorf am Fuße des Slievemore, über das Böll im Irischen Tagebuch schreibt. 1957 wurde das Tagebuch veröffentlicht und verkaufte sich allein in deutschsprachigen Ländern über zwei Millionen Mal. Drei Jahre zuvor waren die Bölls das erste Mal nach Achill Island gereist, 1958 kauften sie ein Cottage in Dugort.

Elizabeth Barrett von Bervie’s Guesthouse in Keel erinnert sich noch gut an die Bölls. Damals war die heute zierliche sommersprossige Frau ein kleines Mädchen und wurde geschickt, frische Milch zum Keel House zu bringen, das die Bölls Mitte der 50er-Jahre von ihren Eltern gemietet hatten. Manchmal sei ihr Vater mit Heinrich Böll auf ein Bier ins Village Inn gegangen. Liz Barrett ist das siebte Kind von „Mrs. D.“, die Böll verewigt hat, Elizabeths älteste Schwester Mary taucht unter dem Namen Siobhan auf.

Das kleine Postamt, in dem Siobhan einst den Klappenschrank bediente, ist nun eine Drogerie. Das Keel House wird renoviert, das Village Inn existiert nicht mehr. Joe McNamara hat den Dorf-Pub 2005 für eine Million Euro gekauft, abgerissen und eine riesige Baugrube für ein Hotel mit Tiefgarage ausgehoben. Seit 2006 geschieht dort nichts mehr, außer dass sich das Regenwasser darin sammelt. Die Männer von Keel sind wütend. Überhaupt ist in der nahen Minaun Bar niemand gut auf McNamara zu sprechen. Mit seinem Gebaren habe er die Krise mit verursacht, so die einhellige Meinung. Der große Pub, der von drei Schwestern betrieben wird, ist die Zentrale des Widerstands. Früher stand eine Spendenbox für die IRA auf dem Tresen, heute wird für die republikanische Partei Sinn Féin gesammelt.

Guten Gewissens kann man einkehren zum Afternoon Tea im Wintergarten

Am letzten Tag auf Achill Island wird das gesamte Wetter-Repertoire abgespielt: Sonne, blauer Himmel, Regen, Regenbogen – und dann alles noch einmal von vorn. Die Kite-Surfer haben inzwischen aufgegeben, den Bodysurfern ist der Regen egal. Den Schafen, die vor Nässe triefen, sowieso.

Guten Gewissens kann man da bei Bervie’s Guesthouse zum Afternoon Tea einkehren. Gemütlich ist es im hauseigenen Wintergarten, während davor der Wind an der Strandpforte rüttelt und Wolken über den Himmel jagen. Bei einem großen Pott heißem Tee, frischen Scones, Himbeermarmelade und Schlagsahne dazu, lässt sich hier zumindest jede innere Krise ohne Weiteres aussitzen.