Am Niederrhein vermittelt Jutta Becker-Ufermann auf ihrem Hof alte Handwerkskünste und Kochen mit Wildkräutern

Es gibt Landschaften, die ihrem Klischee entsprechen. Oder zumindest zu entsprechen scheinen. Wie der Niederrhein im Westen von Nordrhein-Westfalen zwischen Ruhrgebiet und holländischer Grenze. Die Landschaft ist so flach, dass man schon freitags sieht, wer am Sonntag zum Kaffee kommt. An Feldern, Bächen und Altrhein-Armen knorrige Kopfweiden – die Natur-Wahrzeichen der Region.

„Auch im Wappen unseres Kreises Wesel findet man die Kopfweide: 13 Zweige stehen für jede zugehörige Gemeinde und Stadt“, sagt Jutta Becker-Ufermann. Die staatlich zertifizierte Kräuterpädagogin aus Schermbeck hat ein ganz besonderes Verhältnis zur Kopfweide: „Ich liebe diese Bäume seit meiner Kindheit. Es gibt rund 100 Weidenarten. Ihre Zweige waren vor unserem Plastikzeitalter ein wichtiges Material – man flocht daraus Reusen zum Fischfang, Flechtzäune für Gärten, Bienenkörbe, Tragekörbe oder stellte Holzschuhe und sogar Möbel aus Weidenholz her.“ Dass die 52-jährige Niederrheinerin viel von diesem Wissen bewahrt hat, verdankt die Kreative vom Obsthof Appelbongert einem Nachbarn. „Auf dem Nachbarhof wohnte damals Onkel Busch, so nannten wir ihn. Er war Schreiner und beschäftigte sich im Winter mit dem Flechten. Von seinem Wissen und seiner Handwerkskunst profitiere ich noch heute“, sagt Jutta Becker-Ufermann.

Die Grafik-Designerin, die in vierter Generation mit Mann und Kindern auf dem 1904 erbauten Familienhof vor den Toren des Ruhrgebiets lebt, gibt diese Leidenschaft weiter. In Workshops mit Gruppen von fünf bis sechs Teilnehmern lehrt Becker-Ufermann die Kunst des Weidenflechtens. Dabei geht es nicht wie früher um die Herstellung von Praktischem, sondern meist um Dekoratives für Haus und Garten wie Rankhilfen für Blumen oder geflochtene Fische. „Mich fasziniert immer wieder, wie gern meine Gäste mit ihren Händen arbeiten möchten und sich dann am Ergebnis erfreuen“, sagt die Naturkennerin.

Wer ihre Weiden-Kurse besucht? Männer und Frauen aus der Region, „aber auch aus Norddeutschland, Hessen – und sogar aus der Schweiz waren neulich zwei Damen da“, sagt Becker-Ufermann. Die Seminare finden meist im Winter statt. Dann sind die nach der Kopfbaumpflege der rund zwei Meter hohen Weiden geschnittenen Zweige frisch und biegsam.

In den Frühlings- und Sommermonaten bietet Becker-Ufermann Kurse im Filzen oder in Naturkosmetik an, geht aber besonders gern mit Neugierigen auf Kräuterwanderungen. Was für viele Städter als Unkraut gilt, ist für die Landfrau das leckerste Wildgemüse der Welt. Löwenzahn, Giersch, Gundermann oder Spitzwegerich werden in der gemütlichen Hofküche des Appelbongert – zu dem auch vier Ferienwohnungen gehören – zu Ölen und Limonaden. Oder zu leckeren Salaten, Un-Kraut-Quiche oder Hopfensprossen: „Unsere Großeltern wussten noch, dass man Brennnesseln als Spinatersatz verwenden kann. Dieses traditionelle Wissen über die Pflanzen möchte ich weitergeben“, sagt Becker-Ufermann, die nachhaltig lebt und wohnt. Viele Möbel und Gegenstände in Haus und Hof sind seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Zum Beispiel der Steinbackofen, in dem schmackhaftes Brot gebacken wird.

Seit vergangenem Sommer besitzt der Lernort Appelbongert ein internationales Gütesiegel. Die Uno nahm Jutta Becker-Ufermann und ihren Mann Joachim, der Landschafts- und Naturführer ist, ins Dekade-Projekt „Biologische Vielfalt“ auf. Eine Motivation mehr für die Eheleute, ihren Hof im Dämmerwald samt 100 Hektar großer Streuobstwiese und 50 Apfelbäumen für die Zukunft zu erhalten.